Seine Frau will ständig diskutieren – über Probleme und die Beziehung –, er möchte lieber seine Ruhe. Oft kommt es zum Streit, weil der 37-jährige Familienvater Mühe hat, seine Gefühle auszudrücken. Als Kind habe er das nie gelernt. Diese zurückgezogene Art bringt seine Frau zuweilen so stark auf die Palme, dass sie in rasender Wut auf ihn losgeht – mit Fäusten, Pfannen und sogar schon einmal mit einem Messer. Der Gedanke, dass er ein Opfer häuslicher Gewalt sein könnte, kommt ihm gar nicht. Beim Beratungszentrum des Beobachters erkundigt er sich nur nach der Möglichkeit einer Scheidung.

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Männer in der Opferrolle

Im vergangenen Jahr registrierte die Polizei 17'297 Straftaten im häuslichen Bereich, darunter vor allem Tätlichkeiten, Drohungen, Beschimpfungen und einfache körperliche Verletzungen. Rund die Hälfte davon ereignete sich in Paarbeziehungen, wie es im Informationsblatt des Bundesamts für Statistik (BfS) heisst. In drei von vier Fällen gelangen zwar weibliche Betroffene an die Opferberatungsstellen, diese gehen jedoch davon aus, dass die Dunkelziffer gerade bei Männern gross ist.

«Das Rollenbild der Männer hat sich noch immer nicht gross verändert», erklärt Sozialarbeiter Guido Ginella von der Opferberatung Zürich. Einerseits in der Gesellschaft, andererseits sehen sich auch die Betroffenen selbst ungern in der Opferrolle. Lieber wollen sie ihre Probleme selber lösen, als diese nach aussen zu tragen. Um nicht schwach zu wirken, spielen sie die Gewalt herunter oder weisen sich gar selbst die Schuld zu. Manchmal hoffen sie auch einfach, dass die Situation wieder besser wird.

Bis sie sich Hilfe von aussen holen, vergeht meist viel Zeit. Manchmal haben die Männer unmittelbare Erfahrungen gemacht, in den meisten Fällen leiden sie aber bereits seit Monaten oder Jahren. «Zuerst kommt es zu kleineren Streitereien, die immer heftiger werden, demütigende und entwürdigende Worte fallen. Später folgen vielleicht Drohungen und plötzlich eskaliert der Streit in Gewalt», so Ginella.

Wenn Kinder im Spiel sind

Besonders schlimm wird es, wenn Kinder im Spiel sind: Die Betroffenen haben Angst, die Familie auseinanderzureissen und ihre Kinder nicht mehr sehen zu dürfen. Verzweifelte Mütter haben neben den Opferberatungsstellen die Möglichkeit, an eines von 17 Frauenhäusern in der Schweiz zu gelangen. Für Männer hingegen gibt es nur den «ZwüscheHalt», ein einziges Väterhaus im Kanton Aargau. Dabei ist der Bedarf durchaus vorhanden: «Mit durchschnittlich vier bis sechs Männern in den letzten Jahren ist das Väterhaus zur Zeit sehr gut ausgelastet», erzählt Gründer Oliver Hunziker. Die meisten Männer bleiben einige Wochen im «ZwüscheHalt», bis die Trennung von der Partnerin und die damit zusammenhängenden Angelegenheiten geregelt sind. Während dieser Zeit leben sie in einer Art Wohngemeinschaft mit den anderen Betroffenen, betreuen ihre Kinder, gehen arbeiten und nehmen Beratungsgespräche mit Psychologen in Anspruch.

Die Dunkelziffer ist gross

Auf den Aufenthalt folgt in den meisten Fällen eine Trennung, da oft schon viel passiert ist, wenn die Männer an das Väterhaus gelangen. «In einem Fall kam ein Mann mit Stichverletzungen zu uns, in einem anderen drohte eine Frau der Familie des Betroffenen und fuhr durch den ganzen Kanton, um ihn zu finden», erinnert sich Hunziker. Bei der Neuaufnahme wird neben der Polizei auch die Partnerin umgehend informiert – ohne allerdings die Adresse des Väterhauses zu nennen. Oliver Hunziker kann sich aber auch an positive Beispiele erinnern: «Nach einer psychologischen Beratung entschieden sich ein verzweifelter Vater und seine Partnerin zwar gegen ihre Beziehung, aber für die alternierende Obhut des Kindes.»

Wie Guido Ginella geht auch er von einer grossen Dunkelziffer aus. «Wir arbeiten gerade daran, weitere Väterhäuser in den Kantonen Bern und Luzern zu etablieren.» Bisher scheiterte eine Erweiterung des Projektes an der Finanzierung. Während Frauenhäuser meist mit einem Kantonsbeitrag rechnen können, müssen sich Väterhäuser nämlich vollständig privat finanzieren.

Hilfe für Betroffene

  • Opferberatung
    Welche Rechte hat das Opfer? Wann sollte eine Strafanzeige erstattet werden? Wer übernimmt Anwalts- und Therapiekosten? Opferhilfe-Beratungsstellen beantworten Ihre Fragen persönlich oder am Telefon. Des Weiteren vermitteln die Stellen Soforthilfe durch Psychotherapeuten, Anwälte, Notunterkünfte, etc.
    Opferhilfe-Beratungsstellen in verschiedenen Kantonen
      
  • Väterhaus «Zwüschehalt»
    Oliver Hunziker rät Betroffenen, besser früh als zu spät anzurufen: «Den meisten hilft es schon zu wissen, dass wir im Notfall für sie da sind.» Neben einer sicheren Unterkunft bietet «ZwüscheHalt» auch Beratungsgespräche.  

  • Elternnotruf 

  • Mannebüro
Rechtsratgeber
Mehr zu Opferhilfe

Wer Opfer einer Straftat geworden ist, hat ein Recht auf Opferhilfe. Doch was heisst das konkret und wohin können sich Betroffene wenden? Erfahren Sie als Beobachter-Mitglied unter anderem, welche Schutzmassnahmen Ihnen bei einem Verfahren zustehen und welche Bedingungen für eine finanzielle Entschädigung erfüllt sein müssen.