Bettina leidet wie ein Hund. Weil sie unbedingt Kinder will und ihr nicht mehr viel Zeit bleibt. Meine beste Freundin ist seit sechs Jahren Single. Wenn wir uns treffen, kann sie über nichts anderes mehr reden. Ihre Gedanken drehen sich nur noch um dieses «verdammte Alleinsein», das an ihr klebt, an dem sie nagt und zerrt und das trotzdem nicht wegzukriegen ist. Bettina ist schuld, dass mir das Single-Dasein wie ein Leiden vorkommt, wie Hunger: Die Suche nach Nahrung wird zum Lebensinhalt; der Mangel zum Dauergedanken. Manchmal rutscht mir der Satz raus: «Du könntest doch jeden haben, du bist so eine tolle Frau!» Bettina hasst das. Erstens will sie gar nicht jeden. Zweitens geben sich Frauen, die sich zu toll fühlen, keine Mühe mehr bei der Männersuche. Und drittens: «Wer diesen Satz sagt, der will schnell weg. Der will sich keine Sorgen machen müssen.» Da hat sie recht. Mir ist nach Flucht, wenn ich ihr zuhöre. Mein platter Standardtrost hat weniger mit ihr als mit mir zu tun, mit meiner Angst, selbst irgendwann allein dazustehen. Als könnte mich ihr Single-Dasein anstecken.
Wir halten uns die Singles und ihre Sorgen mit blöden Sprüchen vom Hals. Um ehrlich zu sein, haben wir gar keine Ahnung, wie Singles sich fühlen, was sie bewegt, warum sie überhaupt allein sind. Dass die TV-Serie «Sex and the City» mit den vier New Yorker Frauen bei uns so tolle Quoten erzielte, passt in dieses Bild. Vor «Sex and the City» ist nach «Sex and the City» – punkto Know-how über Singles hat es uns keinen Schritt weitergebracht, vier attraktiven, alleinstehenden Frauen bei ihren Affären und Shoppingtouren durch Manhattan zuzuschauen. Nur, dass wir Singles jetzt vielleicht nicht mehr bemitleiden, sondern irgendwie bewundern. Sogar beneiden. Diese Hedonisten müssen auf nichts und niemanden Rücksicht nehmen!
Vom Neid zur Häme ist es ein kleiner Schritt. Weil wir nichts über sie wissen, sind Singles die perfekten Sündenböcke für alles Mögliche, was in der Gesellschaft in den letzten Jahren schiefgelaufen ist: fehlende Solidarität, Werteverfall, Kindermangel. Das deutsche Magazin «Der Spiegel» titelte bereits 2006: «Jeder für sich» und bilanzierte: «Unsere Gesellschaft verlernt die Liebe.» Der Soziologe Horst Opaschowski warnt vor einem drohenden «Zeitalter des Narzissmus». Auch der Journalist Frank Schirrmacher haut in seinem Buch «Minimum» die Singles in die Pfanne: Ihr seid schuld am Verfall der Gesellschaft! Wegen euch schrumpfen unsere sozialen Beziehungen auf ein Minimum! «Kann es in diesem Umfeld Uneigennützigkeit und Altruismus, selbstlose Hilfe und Unterstützung für den anderen überhaupt noch geben?»
Arme Bettina! Für mich das bemitleidenswerte Wesen, für die Medien wahlweise Hedonistin, Egoistin oder Narzisstin. Diese Zerrbilder sind ziemlich hartnäckig. Es gibt kaum Zahlen, die Nüchternheit und Bodenhaftung in die Diskussion bringen würden. Niemand weiss zum Beispiel so genau, wie viele Singles es gibt. Zuerst müsste sich die Forschung mal darauf einigen, was ein Single überhaupt ist.
Die Soziologen alter Schule machen es sich einfach: Ein Single ist ein Mensch, der allein wohnt. Also leben in der Schweiz mehr als eine Million Singles, denn so viele Einpersonenhaushalte gibt es. Aber ist eine 81-jährige Witwe in ihrer Einzimmerwohnung wirklich Single? Jüngere Soziologen sind mutiger. Ein Single, sagen sie, ist jemand ohne festen Partner – auch wenn sie mit dieser Definition auf exakte Zahlen verzichten müssen. So weit in die Privatsphäre ist die Statistik noch nicht vorgedrungen.