Weil er sich im Kindergarten aggressiv verhielt, wurde der fünfjährige Nils therapeutisch begleitet. Man bat ihn, seine eigene Familie als Tierfamilie darzustellen − eine Methode, die Kindern hilft, ihre Sicht der Rollenverteilung darzulegen. Nils zeichnete eine Katzen-Mama, die Eier in ein Nest legt. Was hatte das mit seinem Problem zu tun? Warum schubste er andere Kinder, warum schrie er sie an oder schlug sie?

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Auf der Verhaltensebene wurde bald klar, dass Nils nichts anderes im Sinne hatte, als Kontakt zu anderen Kindern aufzunehmen. Leider stiess er öfters auf Ablehnung, was ihn nicht nur verunsicherte, sondern auch aggressiv machte. Die aufgestauten Gefühle brauchten ein Ventil.

Aggressivität, Rückzug, Verweigerung

Mit gemeinsam getroffenen Verhaltensregeln, mit Boxsack oder «Wuthöhle» als erlaubtem Ventil, mit Lob und nötigenfalls Konsequenzen kann man einem kleinen Rowdy normalerweise auf die Sprünge helfen. Trotzdem gibt es Kinder, die darauf nicht ansprechen. Dann kann es sein, dass die Ursachen des Problems tiefer liegen. Wie bei Nils.

Kinder wie Nils wollen durch ihr Verhalten etwas mitteilen. Sie sagen es aber nicht durch die Blume, sondern in Form von Aggressivität, Rückzug, Verweigerung. Ob und wie wir Erwachsenen diese Sprache verstehen und darauf antworten, ist entscheidend für die weitere Entwicklung des Kindes.

Manchmal geht es dabei nicht um eine aktuelle, belastende Lebenssituation, sondern um Dinge, die schon länger zurückliegen, die vor, während oder in der ersten Zeit nach der Geburt geschehen sind. Es gilt heute als gesichert, dass bereits das Ungeborene die Emotionen der Mutter aufnimmt. Über die Nabelschnur und die Sinnesorgane ist der Fötus an die Gefühlswelt der Mutter angeschlossen: Wenn sie Angst hat, schlägt ihr Herz schneller, ihre Blutgefässe verengen sich, die Gebärmutter zieht sich zusammen. Der Lebensraum des Fötus wird enger, der Sauerstoff in seiner Blutzufuhr knapp. Gleichzeitig dringen über die Nabelschnur Botenstoffe in seinen Organismus, die ihn biochemisch auf Angst und Furcht programmieren.

Auch während und nach der Geburt ist das Baby mit seinen Bezugspersonen so eng verbunden, dass es genau spürt, wann seine Eltern aufgewühlt, überfordert, gestresst sind. Macht das Kind solche ersten Erfahrungen besonders häufig, lange oder intensiv, können sie bis ins Grundschulalter Folgen haben. Und auch als Erwachsene reagieren solche Menschen sensibler auf jede Belastung. Bei Nils Mutter wurde damals eine Schwangerschaftsvergiftung festgestellt. Das Kind musste einen Monat vor Termin auf die Welt geholt werden.

Unbewusste Ängste überwinden

Dass die Mutter grosse Angst um ihr Kind hatte, versteht sich von selbst. Nils bekam unbewusst alles mit. Seine Eltern hatten jedoch nie mit ihm darüber geredet. Auch nicht über die späteren Fehlgeburten. Ob dies die Eier waren, die Nils gezeichnet hat? Wir wissen es nicht. Doch nach einem kindgerechten Gespräch zwischen Mutter und Sohn, bei dem auch Fotos von Nils ersten Lebenstagen miteinbezogen wurden, geht es dem Fünfjährigen sichtlich besser. Seither kann er sich auf die Verhaltensregeln im Kindergarten einlassen. Nicht immer, aber immer öfter.