«Bin ich zu stur?»
Frage: «Wir haben ein Mädchen und einen Knaben im Primarschulalter. Vor allem Sarah wird zunehmend frecher. Ich verlange aber einen angemessenen Ton und möchte auch, dass sie regelmässig Ämtli übernehmen. Leider nimmt mein Mann das alles nicht so ernst. Bin ich zu stur?»
Veröffentlicht am 23. Oktober 2009 - 18:50 Uhr
Stur würde ich es nicht nennen, sondern konsequent. Und Konsequenz ist ein ganz wichtiger Erziehungsgrundsatz. Im Gegensatz zu Ihrem Mann stehe ich als Psychologe und Pädagoge voll hinter Ihnen. Das reicht aber nicht. Sie müssen sich mit Ihrem Mann zusammensetzen und ernsthaft über die Erziehungsgrundsätze reden, die in Ihrer Familie gelten sollen. Am besten halten Sie einige Regeln schriftlich fest, die Sie dann in der Küche, auch für die Kinder sichtbar, aufhängen. Das hilft mit, dass sich alle daran halten. Und natürlich müssen Vater und Mutter am selben Strick ziehen, damit die Kinder Sie nicht gegeneinander ausspielen können. Erziehen ist ein Job. Das kann man nicht einfach. Man merkt es erst, wenn die Kinder da sind. Zuerst macht man alles so, wie man es selber als Kind erlebt hat, zumindest wenn die Erfahrung positiv war. Im anderen Fall versucht man, die Fehler der eigenen Eltern nicht zu wiederholen. Aber selten hat man ein eigentliches Erziehungskonzept – und noch seltener sind die Vorstellungen beider Eltern aufeinander abgestimmt.
Zu einem Erziehungskonzept gehören zwei Dinge: Erstens muss man sich über die Ziele klar sein und zweitens über die Mittel, um diese zu erreichen. Ziele könnten etwa sein: sich anpassen können, sich durchsetzen können, ehrlich sein, ehrgeizig sein, verantwortungsbewusst sein und so weiter. Die Mittel dazu zeigen sich in den Erziehungsstilen. Eine Grobeinteilung unterscheidet autoritär, laisser-faire (alles machen lassen) und einen konstruktiven Mittelweg (sozialintegrativer Stil). Eine deutsche Umfrage (Familien-Analyse 2002, Institut für Demoskopie Allensbach) hat gezeigt, dass zwei Drittel der Eltern in der Erziehung unsicher sind und oft Probleme im Umgang mit ihren Kindern haben.
Der deutsche Pädagogikprofessor Klaus A. Schneewind hat ein Elterncoaching entwickelt, das mit Büchern und interaktiven Videobeispielen von Konfliktsituationen arbeitet. Man kann dabei verschiedene Lösungsvarianten wählen. In zweien werden klassische Fehler begangen, die dritte zeigt einen konstruktiven Weg. Schneewind nennt sein Erziehungskonzept «Freiheit in Grenzen». Es ist kein antiautoritärer Stil wie in den Sechzigern, aber auch keine Rückkehr zum Despotismus. Es ruht auf drei Säulen:
1. Elterliche Wertschätzung. Das bedeutet nicht, dass man seine Kinder loben oder verwöhnen soll, sondern dass man sie ernst nimmt, sich für sie interessiert und sich bewusst ist, dass sie ganz eigene Persönlichkeiten sind, die sich auf ihre eigene Art entfalten wollen.
2. Fordern und Grenzen setzen. Das Zusammenleben der Menschen erfordert Regeln. Später muss man sie oft erspüren, aber für Kinder müssen sie klar formuliert werden. Das Allerwichtigste dabei ist allerdings, dass man konsequent auf ihrer Einhaltung besteht. Ein Drittel der Eltern, zeigt die oben genannte Umfrage, haben damit am meisten Schwierigkeiten.
3. Gewähren und Fördern von Eigenständigkeit. Wir sind nicht nur Gesellschaftswesen, die sich anpassen müssen, sondern eben auch Individuen, die viele Bereiche des Lebens frei gestalten können. Bereits Kindern soll man im geeigneten Rahmen Gelegenheit dazu geben. So fördert man Kreativität, Initiative und Selbstbewusstsein.
Buchtipps
- Klaus A. Schneewind, Beate Böhmert: «Kinder im Grundschulalter kompetent erziehen»; Verlag Hans Huber, 2008, 192 Seiten, Fr. 34.90
- Klaus A. Schneewind, Beate Böhmert: «Freiheit in Grenzen», mit interaktiver DVD; Verlag Hans Huber, 2009, 208 Seiten, 84 Franken (auch für Kinder im Vorschul- und Kinder im Jugendalter erhältlich)