Argumente statt Verbote
Die Phrase «...weil es verboten ist» gehört abgeschafft. Eltern tun gut daran, ihren Kindern zu erklären, warum gewisse Dinge erlaubt sind und andere nicht. Denn nur so lernt der Nachwuchs, Verantwortung zu übernehmen.
Veröffentlicht am 4. Juli 2008 - 17:03 Uhr
Kürzlich sprach mich eine Kinderärztin auf meine Beratungstätigkeit beim Beobachter an und fragte, ob ich eigentlich für alle und alles immer Verständnis hätte. Hab ich das? Schwierig finde ich jene Leute, die angeblich nichts dafür können, wenns in der Beziehung nicht haut, im Job nicht läuft und die jegliche Verantwortung weit von sich weisen, weil sie keinen Knopf annähen, nicht kochen oder keine Glühbirne auswechseln können. Folglich habe ich meine liebe Mühe mit Personen, die bei jeder Unzulänglichkeit und jeder Unpässlichkeit sagen: «Ich kann nichts dafür, ich bin so erzogen worden.» Solche Leute kommen mir wie kleine Kinder vor, die sich hinter Mama und Papa verstecken, wenns brenzlig wird. Neben den Eltern finden sie immer einen Prügelknaben, der am eigenen Unvermögen schuld ist - sei es der Boss, der Partner, der Nachbar, der Bundesrat oder der liebe Gott.
Grenzen setzen sollen die andern
«Kenn ich gut», sagte die Ärztin. Schwierig werde es, wenn solche Leute Kinder erziehen. Sie rede da aus Erfahrung. Wer nicht lernen wolle, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen, für sein Handeln Verantwortung zu übernehmen und die Konsequenzen daraus zu tragen, könne den Kindern diesbezüglich auch kein Vorbild sein. Es seien jene Eltern, die ihren Kindern kaum Grenzen setzen, dies aber von Schule, Staat und Politik verlangen. «Sie empfinden dann Ausgehverbote und staatliche Restriktionen gegenüber ihren Kindern als Unterstützung in der Erziehung und merken nicht, dass damit erstens ihre Autorität untergraben wird und zweitens die Probleme dann erst recht beginnen.» - «Was für Probleme?», fragte ich etwas naiv. «Ich bitte Sie, wo leben Sie? Wer erklärt den Jungs denn, dass sie weder kiffen noch gewalttätig sein müssen, um cool zu sein? Wer erklärt den Mädchen, dass sie toughe Mädels sein können, auch wenn sie sich im Ausgang nicht ins Koma saufen und nicht halbnackt rumlaufen? Niemand.» Stattdessen würden die Kinder immer nur den einen Satz hören: «Es ist verboten!»
Die Kinderärztin kam in Fahrt: «Zwist, Streit und endlose Auseinandersetzungen sind programmiert, sobald sich durchsetzungsschwache Eltern hinter Gesetzen oder fragwürdigem Brauchtum verschanzen. Kinder wollen stattdessen, dass man ihnen die Welt erklärt.» Wie ich als Kind wissen wollte, warum die Banane krumm ist, dachte ich. Mit der Antwort «Darum!» hatte ich mich nicht zufriedengegeben.
Sie hat recht: Statt Verbote muss es einen Spielraum geben, in dem das Aushandeln individueller Regeln möglich ist - sei es, wann man abends daheim sein muss, wie man sich benimmt, ob und wie viel Alkohol getrunken werden darf oder welche Kleidervorschriften gelten. Sich nur auf Verbote und Gebote zu berufen ist feige. Das Resultat vom Aushandeln und Erklären ist, dass sich Kinder mit sich und der Welt auseinandersetzen, sie die Welt mitgestalten und realisieren, dass sie Verantwortung für ihr Tun übernehmen können. Dafür brauchen sie Vorbilder. Haben sie keine, lehnen sie sich später als Erwachsene zurück und sagen: «Ich kann nichts dafür, ich bin so erzogen worden» - und gehen mir auf die Nerven.