Kleine Nervensägen
Kinder sind so herzig. Kinder sind so süss. Darum muss man Kinder einfach lieben. Dass sie auch ganz gehörig nerven können, traut man sich oft kaum zu sagen.
Veröffentlicht am 5. Juli 2010 - 16:02 Uhr
Wer Kinder und kleine Hunde hasst, kann kein schlechter Mensch sein. Dies sagte mal der amerikanische Komiker W. C. Fields. Hat was! Kinder sind nämlich unmöglich. Zum Beispiel im Supermarkt, wenn sie an der Kasse ihre Eltern tyrannisieren. Oder wenn sie abends nicht ins Bett und morgens nicht aufstehen wollen. Wenn sie grösser werden, wirds nicht besser: Dann kiffen sie, ziehen sich doof an und hören zu laute Musik. Mühsam, mühsam.
Kinder können Erwachsene ganz schön nerven. Wir sie aber selten. Sie drehen uns meist keinen Strick daraus, wenn wir wegen ihnen die Augen verdrehen und uns für ihre Begriffe völlig danebenbenehmen. Sie finden uns etwas spiessig, damit hat es sich. Kinder haben nämlich eine enorm hohe Toleranz, was das Verhalten von Erwachsenen betrifft – Kinder akzeptieren uns meist, so wie wir sind. Umgekehrt ist das leider oft nicht der Fall.
Daran musste ich neulich denken, als im überfüllten Zugabteil ein Kind zu plärren anfing. Es war schwül und heiss, es war ein Gedränge, und ich war nicht der Einzige, der grimmig aus der verschwitzten Wäsche schaute. Wenn Blicke töten könnten – ich schwöre, alle Reisenden hätten auf die Mutter und ihren Gof gezielt – auch Sie! Und natürlich wussten alle, wie das Kind zu beruhigen gewesen wäre und was die Mutter falsch machte. Oder hätten Sie es so locker genommen wie jener junge Mann, der der verzweifelten Mutter zulächelte und ruhig sagte: «Lassen Sie sich von den anderen bloss nicht stressen. Wir sind alle mal klein gewesen!»
Dieses Statement hat die erhitzten Gemüter im Waggon auf der Stelle abgekühlt. Eine ältere Dame scherzte danach gar, dass sie früher ihre eigenen Kinder in solchen Situationen ganz gern mal günstig verkauft hätte. Jemand anders meinte, der Kleine habe offensichtlich starke Lungen und werde bestimmt mal ein guter Arbeiter, der später unsere AHV finanziere. Und ich ärgerte mich darüber, dass ich mich überhaupt geärgert hatte.
Dass Kinder nerven und Aggressionen auslösen können, ist ganz normal und nicht weiter schlimm. Problematisch wird es erst, wenn man sich seiner Gefühle nicht gewahr wird. Dann verharrt man darin, kann mit ihnen nicht umgehen und sein Verhalten nicht lenken. Das kann tragisch enden, denn unreflektierte Gefühle können unkontrolliert ausbrechen, zum Beispiel in verbaler oder körperlicher Gewalt.
Wer sich also über kleine Kinder nervt, muss kein schlechter Mensch sein – könnte es aber werden! Man tut gut daran, zum Beispiel Kindergeschrei wie meine Mitreisenden mit Humor zu nehmen. Abstellen kann man es ja doch nicht. Mit bösen Blicken und lauten Seufzern wirds auch nicht besser. Das stresst die Eltern nur noch zusätzlich, und selber entwickelt man sich zu einem mürrischen Stänkerer, der mit sich und der Umwelt unzufrieden ist und ständig was zu nörgeln hat. Wenn Sie mich fragen: Kindergeschrei ist mit etwas Gelassenheit einfacher auszuhalten als griesgrämige Mitmenschen.
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