«Wenn etwas verboten ist, dann ist das so»
Wie erzieht eine Pfarrerin ihre Kinder? Erika Compagnos Sprösslinge gehen zwar nicht mehr regelmässig zur Kirche. Aber manchmal müssen sie. Und nicht nur das.
Beobachter: Frau Pfarrerin, Ihre Kinder sind mitten in der Pubertät, in der Rebellionsphase. Wird da viel geflucht?
Erika Compagno: Ja, doch, ab und zu. Wenn ich gut drauf bin, lasse ich es geschehen, und nach einer halben Stunde ist wieder alles in Ordnung. Wenn ich aber nicht zwäg bin, stelle ich sie zur Rede. Das finden die Kinder aber nicht so toll, da meine Gesprächsbereitschaft meist viel grösser ist als ihre.
Beobachter: Wie reagieren Sie, wenn den Kindern mal ein «Gottverdammi» rausrutscht?
Compagno: «Verdammi» gibt es bei uns nicht als Formulierung, «Herrgottnochmal» aber schon manchmal. Dann sage ich entweder, dass «Er» nichts dafür könne – dann gibts ein Grinsen oder sie rümpfen die Nase, die Pfarrerin schon wieder –, oder ich halte eine Predigt…
Beobachter: Fluchen Sie denn auch?
Compagno: Ein «Schei…benkleister» ist mir auch schon über die Lippen gekommen, ja.
Beobachter: Gibt es bei Ihnen zu Hause religiöse Rituale? Zum Beispiel Beten vor dem Essen?
Compagno: Als die Kinder noch klein waren, hatten wir ein Abendritual. Kerzenlicht, wir setzten uns in einen Kreis, liessen den Tag Revue passieren und sangen ein Dankeslied. Das ging bis etwa zum Primarschulalter so, dann hat es von selbst aufgehört.
Beobachter: Sind Feiertage speziell wichtig?
Compagno: (lacht) Ja, meine armen Kinder müssen an Weihnachten und an Ostern in die Kirche. Sie mussten kürzlich auch in den Jugendgottesdienst. Mein Jüngster hat nun aber verkündet, dass er nicht konfirmiert werden will, weil ihm das nichts sage.
Beobachter: Was sagen Sie dazu?
Compagno: Das geht in Ordnung – nur weil er Pfarrerskind ist, muss er das nicht. Er testet jetzt halt grad seine Grenzen aus. Es gab und gibt ständig heftige Diskussionen bei uns. Momentan finden alle gerade den Religionsunterricht stier und anstrengend.
Beobachter: Sie haben auch schon Konfirmandenunterricht erteilt. Mit welchen Themen haben Sie die Jugendlichen gepackt?
Compagno: Die Themen sind nicht so wichtig. Es geht um Beziehungsarbeit, auf der persönlichen Ebene muss ich sie packen, dann machen sie bei jedem Thema mit. Je schwieriger die Klasse, umso besser. Schwierig im Sinn von aufmüpfig. Die heutige Jugend ist oberflächlicher als noch vor 20 Jahren. Die Jungen schauen mehr drauf, was ihnen etwas bringt, als sich für die Allgemeinheit einzusetzen. Sehr berechnend, zielorientiert.
Beobachter: Apropos zielorientiert: Ist die Berufswahl bei Ihren Kindern schon ein Thema?
Compagno: Seraina will Gerichtsmedizinerin werden, inspiriert vom Fernsehen natürlich. Ihre Begründung ist, Medizin sei schon spannend, aber da mache man immer dasselbe. Bei der Gerichtsmedizin müsse man bei jedem Fall etwas Neues herausfinden, ein Denksport. Das interessiere sie. Die Jungs wissen es noch nicht.
Beobachter: Sind Ihre Kinder gläubig?
Compagno: Schwierige Frage – ich denke, sie haben ein gesundes Grundgottvertrauen, auf das sie zurückgreifen können. Den normalen Gottesdienst zum Beispiel finden sie aber genauso langweilig wie alle anderen Jugendlichen in dem Alter.
Beobachter: Ist es den Kindern manchmal peinlich, eine Pfarrerin als Mutter zu haben?
Compagno: Früher, als wir noch in einem kleinen Dorf wohnten, waren sie sogar stolz darauf. Jetzt ist es einfach ein Beruf, ich denke, die meisten ihrer Kollegen wissen es gar nicht.
Beobachter: Wie gehen Sie mit Meinungsverschiedenheiten um? Wie setzen Sie sich durch?
Compagno: Es gibt Sachen, da gibts einfach keine Diskussion. Mein Mann sagt dann jeweils: «Ende der Diskussion, wir sind die Eltern, punkt.» Zum Beispiel beim Umgang mit Computern, da bestimmen wir Eltern, da gelten gewisse Regeln, über die dann dauernd wieder gestritten werden muss.
Beobachter: Wer spricht das finale Machtwort?
Compagno: Da generell ich mehr rede, wohl ich. Sagen wir es so: Ich führe meist die Gespräche, und mein Mann sagt dann die Quintessenz am Schluss. Zurzeit ist das Computerthema die grösste Baustelle, manchmal auch das Lernen generell.
Beobachter: Müssen Sie Ihre Kinder zum Lernen anspornen?
Compagno: Den Ältesten kaum. Er lernt einfach spätnachts, was ich komisch finde, aber er kanns nur so, sagt er. Die Tochter verliert sich manchmal in ihren Manga-Comics, da muss ich aufpassen. Und den Jüngsten muss ich den Lernstoff abfragen, damit er merkt, wo es noch hapert.
Beobachter: Gibt es Anreizsysteme in Ihrer Erziehung?
Compagno: Ja, für schulische Leistungen bekommen sie manchmal eine Belohnung. Der Ältere hat ein Computergame gekriegt, als er nicht ins Provisorium fiel. Meine Tochter darf zum Beispiel ins Reitlager, was sie toll findet. Dort wird aber französisch gesprochen; so holt sie ihre Defizite dort auf und hat zugleich noch etwas Schönes.
Beobachter: Sind Sie eine strenge Mutter?
Compagno: Ich bin konsequent. Wenn etwas verboten ist, dann ist das so. Mehrere klare Ansagen, und wenn der Computer dann immer noch an ist, dann konfisziere ich den für eine Woche und rücke ihn nicht raus.
Beobachter: Computer scheint ein grosses Thema zu sein. Was genau bringt Sie da auf die Palme?
Compagno: Wenn mich meine Kinder «bescheissen». Wir haben ein Spielkonto und ein Kommunikationskonto. Beim Jüngsten war mal das Spielkonto erschöpft – dann fand er raus, wie er via Skype mit seinen Kollegen trotzdem gamen kann. Das ist ein Vertrauensbruch, das toleriere ich nicht und vertrage ich nicht. Das sollen sie auch merken.
Beobachter: Wie läuft die Rollenteilung zwischen Ihnen und Ihrem Mann?
Compagno: Alles rund um den Computer ist Männersache – ich geh petzen, und er regelts. Dann gibts wirklich Männerthemen, die besser er mit seinen Söhnen beredet als ich. Auch für die Finanzen ist er zuständig.
Beobachter: Was können Sie als Erzieherin besser als Ihr Mann?
Compagno: Ich habe mehr Erfahrung in der Gesprächsführung, bringe mehr Werkzeuge mit, aus meiner Coach-Tätigkeit.
Beobachter: Was kann denn Ihr Mann besser?
Compagno: Er hat mehr Geduld, definitiv.
Beobachter: Haben Ihre Kinder ein Handy?
Compagno: Ja, Stichtag war der zwölfte Geburtstag. Der Grosse hats kaum eingeschaltet, seine beiden Geschwister hingegen dauernd.
Beobachter: Einen Computer?
Compagno: Zum Gymieintritt haben alle einen bekommen. Sie brauchen ihn wirklich auch viel für die Schule, zum Teil werden die Hausaufgaben vom Lehrer per Mail zugestellt.
Beobachter: Nehmen Sie Erlebnisse und Erfahrungen von daheim mit in die Predigt?
Compagno: Ja, das mache ich heute wieder mehr. Früher, als die Kinder noch mitkamen in die Gottesdienste, fanden sie es dann bald nicht mehr lustig, wenn sie in der Predigt vorkamen. Heute kann ich wieder vermehrt Themen aus der Familie einfliessen lassen.
Beobachter: Wie sind Sie selber erzogen worden?
Compagno: Sehr konsequent. Meine Geschwister und ich sind während der Woche vor allem von der Mutter erzogen worden, alles wurde abends dann aber mit beiden Elternteilen ausdiskutiert. Das war manchmal sehr anstrengend. Trotzdem mache ich es heute ähnlich.
Beobachter: Was wünschen Sie sich, dass Ihre Kinder über Sie sagen, wenn sie erwachsen sind?
Compagno: Sie war konsequent, und das war sinnvoll. Und sie war immer da, wenn wir sie brauchten, wie eine Art Fangnetz.