Wer ist hier der Boss?
Wie eine gesunde Hierarchie aussieht, lernen Kinder am besten zu Hause. Sonst ecken sie später in Schule und Beruf an.
Veröffentlicht am 3. Januar 2011 - 16:45 Uhr
Die dreijährige Lena sitzt am Kopf des Esstisches. Von dort aus hat sie den Überblick. Aber auch Macht über sämtliche Familienmitglieder. Regelmässig tyrannisiert sie den Familientisch durch Lärmen, blödelt herum oder verweigert das Essen.
Eines Tages verändern Lenas Eltern die Sitzordnung. Lena wird neben ihren älteren Bruder Kaj platziert. Weil Lena nun am weitesten weg von ihrer Mutter ist, kann diese sie auch nicht mehr füttern. Was ohnehin nicht mehr nötig wäre. Aber nun ist auch die räumliche Voraussetzung dafür nicht mehr gegeben. Und siehe da: Lena akzeptiert ihre neue Stellung am Tisch sofort. Ihre Selbständigkeit beim Essen nimmt ebenso schnell zu, wie die Störungen abnehmen. Die neue Platzordnung stimmt für alle.
Hierarchie spielt in jeder Gemeinschaft eine wichtige Rolle: Sie bedeutet schliesslich nichts anderes als die Über- und Unterordnung von Elementen innerhalb eines Systems. Gerade Kinder stellen automatisch eine hierarchische Gliederung her, sobald sie in einer Gruppe sind – und zwar weltweit. Diese Strukturierung vermittelt Sicherheit: Jeder weiss, welchen Platz er innehat. Das Gerangel um einen jeweils neuen Platz beginnt meist erst dann, wenn ein Glied in der Kette dazukommt oder wegfällt. Um genau diese Rangordnung geht es auch in der Familie – auch wenn wir in einer demokratischen Gesellschaft leben. Denn dort, wo Eltern nicht mehr die ranghöchste Stellung einnehmen, wird der Familienalltag schnell problematisch.
Egal, ob Sie von Ihrem Kind verlangen, dass es Gespräche unter Erwachsenen nicht ständig unterbricht oder ob Sie Ihre Handtasche zur Tabuzone erklären – schaffen Sie Situationen, in denen das Kind erlebt, dass es einen Unterschied zwischen Gross und Klein gibt. Wenn Sie sich wohl fühlen in dieser übergeordneten Rolle, kommt diese Haltung auch richtig an und für die kindliche Entwicklung gesund herüber. Vielleicht will das Kind darüber diskutieren. Umso besser. Auf diese Weise lernt es, Autoritäten zu akzeptieren, ohne dabei unkritisch und unterwürfig zu werden. Je eher und natürlicher das Kind dies zu Hause erlebt, umso einfacher wird es ihm später in Schule und Beruf gelingen, sich bei Anweisungen durch Lehrpersonen oder Vorgesetzte nicht gleich in der eigenen Autonomie beschnitten oder im Selbstvertrauen irritiert zu fühlen.
Eine natürliche Hierarchie in der Familie heisst nicht, das Kind klein zu halten oder ihm keinerlei Mitspracherecht einzuräumen. Es bedeutet vielmehr, ihm aufzuzeigen, wo die Grenzen verlaufen, was Respekt und Privatsphäre bedeuten. Daneben soll genügend Spielraum vorhanden sein, in dem sich das Kind entfalten kann. Haben Sie den Mut, die Hierarchie innerhalb der Familie spielerisch aufzubauen. Wenn Sie nämlich Pralinés bis auf weiteres als «Dessert der Grossen» deklarieren, fördern Sie im Kind das Bedürfnis, sich weiterzuentwickeln – schliesslich möchte es auch einmal die Privilegien der Älteren geniessen dürfen.
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