Wie Kinder lernen, ihr Handy sinnvoll zu nutzen
Das Mobiltelefon gehört heute zur Standardausrüstung von Kindern und Jugendlichen. Konfliktfrei ist der Umgang nicht: Ärger gibts bei hohen Rechnungen, Sorgen bei Gewalt- und Sexinhalten. Was tun?
Veröffentlicht am 23. November 2009 - 17:03 Uhr
Lilian weiss genau, was sie sich zu Weihnachten wünscht: ein eigenes Handy. Die Zwölfjährige hat es satt, die SMS von ihren Freundinnen nur über das Handy ihrer Mutter zu empfangen. Die Mutter versteht das mittlerweile – nur fragt sie sich, ob ihre Tochter für ein eigenes Handy nicht noch zu jung ist.
Unter Experten ist umstritten, ab wann ein eigenes Handy sinnvoll ist. «Grundsätzlich empfehlen wir, so lange wie möglich zuzuwarten. Wir sehen, dass Jugendliche ab 13 Jahren ein Handy gut bedienen können», sagt Roland Wittwer von Pro Juventute. Wittwer ist Co-Leiter der Themenbereiche Medien und Konsum bei der Stiftung, die im Rahmen des Projekts «Handyprofis» an Schulen Workshops zum eigen-verantwortlichen Umgang mit dem Mobiltelefon anbietet. In der Primarschule reiche ein Familienhandy, das dem Kind mitgegeben werden könne etwa zum Fussballtraining oder zum Musikunterricht.
Die Empfehlung der Medienpädagogen deckt sich nicht ganz mit der Realität: 95 Prozent der Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren haben ein eigenes Handy, wie die repräsentative deutsche Studie «Jugend und Medien» von 2008 zeigt. Und auch unter Jüngeren ist gemäss der Studie der Telefonbesitz weit verbreitet: Jedes zweite Kind zwischen sechs und zwölf Jahren hat eins. Das Durchschnittsalter fürs erste Handy beträgt knapp elf Jahre. Kein Wunder: Bei Kindern ist das Mobiltelefon ein Statussymbol.
Doch was den Jungen unersetzlich ist, sorgt für Zündstoff zwischen Eltern und Kindern: Horrorvisionen für Eltern sind etwa Dauernutzung, hohe Rechnungen und fragwürdige Fotos oder Videos. Doch so weit muss es nicht kommen. Die jüngeren Jugendlichen brauchen das Handy in erster Linie für SMS und zum Musikhören, so Experte Wittwer. Auch wenn sich die Kosten für eine SMS im Rappenbereich bewegen, können sie schnell überborden. Hier ein «Hallo Mira, ist dir auch langweilig?», da ein «Hihi, ich bins» – und schon ist eine Unmenge an Mitteilungen verschickt und die Rechnung Ende Monat eine mittlere Katastrophe. «Am einfachsten ist es, zu Beginn ein Prepaid-Handy zu wählen», rät daher Ralf Beyeler vom Internetvergleichsdienst Comparis. Ist der vereinbarte Betrag aufgebraucht, geht nichts mehr. So lernen Kinder auch, mit den Kosten umzugehen.
Doch ein Handy ist mehr als ein einfaches Kommunikationsmittel. Mit zunehmendem Alter der Kinder ändern sich die Bedürfnisse. Das Mobiltelefon wird zum Multimediagerät: Fotografieren, Filmen und Gamen kommen zu den SMS hinzu. Hierfür jonglieren die Jugendlichen untereinander mit einer Unmenge von Daten (von Klingeltönen bis Videos), die zuvor im Internet heruntergeladen werden.
Doch je mehr Funktionen benützt werden, umso mehr nimmt das Risiko zu: Der Konsum von Sex- und Gewaltfilmen auf Handys ist laut einer Zürcher Studie unter Jugendlichen weit verbreitet. Die Palette reicht von Sexvideos über Pornoszenen mit Tieren, selbst geschossenen entwürdigenden Bildern von Jugendlichen bis zu Sequenzen, in denen jemand verprügelt wird. Haben die Eltern beim Internet zu Hause noch gewisse soziale Kontrollmittel, haben sie beim Handy häufig keine Handhabe mehr. Was kann man tun? Das Handy streichen? Oder restriktiv all diese Funktionen unterbinden?
Medienpädagoge Wittwer winkt ab. Für ihn der falsche Weg. Und auch eine Illusion: «Kinder und Jugendliche lernen den Zugang zu den neuen Medien sehr schnell. In kurzer Zeit beherrschen sie die Anwendung besser als die Erwachsenen. Was aber fehlt, ist die Fähigkeit, kritisch mit dem Medium umzugehen.»
Genau hier setzt für den Experten die Lösung an: Die Kinder und Jugendlichen sollen im Umgang mit dem Handy begleitet und ihre Medienkompetenz gefördert werden. Und zwar nicht nur von den Eltern, sondern auch von der Schule. «Dazu gehört, die Kinder über Risiken aufzuklären, klare Abmachungen zu treffen, ihnen aber auch die altersgerechte Verantwortung für das Medium zu übergeben.»
Die Verteufelung der neuen Medien ist für Wittwer auch aus einem anderen Grund verfehlt: «Die Multimediafähigkeit des Handys kann durchaus kreativ genutzt werden.» Etwa für einen Handyfilmwettbewerb oder fürs Geocaching – die moderne Form der Schnitzeljagd via GPS. Auch an der Schule, wo das Mobiltelefon ein leidiges Dauerthema ist, könnte es sinnvoll zum Zug kommen: «Das Handy kann auch zum Lernen eingesetzt werden. Etwa als Diktiergerät, mit dem man das Diktat üben kann.»
www.handyknigge.ch bietet ein Arbeitsheft für Kinder und Jugendliche zum sicheren Umgang mit dem Handy.
www.projuventute.ch fördert mit dem Angebot «Handyprofis» am Beispiel des Mobiltelefons die Medienkompetenz bei Kindern, Jugendlichen und Eltern.
So behalten Sie den Überblick
Generell: Das muss besprochen werden
- Bereden Sie mit Ihrem Kind die sinnvolle Nutzung des Handys und klären Sie den Bedarf.
- Je jünger ein Kind, umso mehr empfiehlt sich ein Handy mit wenigen Funktionen: keine Kamera, keine Bluetooth-Verbindung und wenig Speicher für Bilder und Filme.
- Treffen Sie Abmachungen, wann und wie oft das Handy benützt werden darf.
- Regeln zur Handynutzung sollen in periodischen Abständen zusammen mit dem Kind überarbeitet und dem Alter angepasst werden.
Kosten: Die wichtigsten Barrieren
- Wählen Sie ein Prepaid-Angebot oder einen Abotyp, bei dem ein monatliches Guthaben festgelegt werden kann.
- Ein gebrauchtes Handy aus der Familie oder dem Freundeskreis reicht für den Anfang.
- Lassen Sie die drei- und vierstelligen SMS-MMS-Nummern beim Anbieter sperren (kostenpflichtige Mehrwertdienste, unter anderem auch die 0900-Nummern).
- Machen Sie klar, dass man bei einem SMS-Chat auch für SMS zahlen muss, die man erhält.
- Vorsicht bei SMS-Diensten, bei denen man Klingeltöne oder Spiele herunterladen kann: Sie sind teurer als normale SMS. Und man erhält weitere kostenpflichtige SMS.
- Generell keine SMS an Kurznummern senden.
Sicherheit: Schutz vor Gewalt und Pornographie
- Thematisieren Sie mögliche Gefahren (Pornobilder, Gewaltfilme et cetera) und treffen Sie klare Abmachungen über erlaubte und unerlaubte Anwendungsmöglichkeiten des Handys.
- Lassen Sie beim Kauf der SIM-Karte Namen und Alter des Kindes registrieren, damit Schutzprogramme aktiviert werden können.
- Deaktivieren Sie je nach Alter Ihres Kindes die Datenübertragung via Bluetooth.
- Weisen Sie Ihr Kind darauf hin: Wer illegale Darstellungen auf seinem Handy hat, macht sich strafbar. Kindern unter 16 Jahren darf Pornographie nicht gezeigt werden. Erhalten Kinder unter 16 Jahren pornographische Darstellungen, gelten sie als Opfer. Speichern sie diese länger als drei Wochen, werden sie zu Tätern.
- Schauen Sie regelmässig gemeinsam mit Ihrem Kind an, welche Inhalte auf dem Handy vorhanden sind. Finden Sie Pornodarstellungen, müssen Sie aktiv werden: Handelt es sich um einen einmaligen Ausrutscher, machen Sie dem Absender klar, dass dies nicht erwünscht ist. Wiederholt es sich, bringen Sie das Handy zur Polizei.
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