«Ich bin keine Familienfotografin»
Die Fotografin und Videokünstlerin Annelies Štrba stellt oft ihre Familie in den Mittelpunkt ihrer Arbeit: früher die drei Kinder, später die nächste Generation. Warum?
Veröffentlicht am 19. Juli 2023 - 16:02 Uhr
Annelies Štrba, geboren 1947, ist eine dieser Frauen, die man sofort ins Herz schliesst. Herzlich, lustig und ein bisschen schräg. Sofort ist man mit ihr beim «Du».
«In Richterswil am Zürichsee, wo ich lebe, kennt mich kaum wer als weltbekannte Künstlerin. In New York hingegen sprechen mich Passanten an», sagt sie lachend. In den USA hat sie öfter ausgestellt, auch in Berlin, London oder Tokio. Štrba gehört zu den international berühmtesten Künstlerinnen der Schweiz (siehe Box).
Provokation und Poesie
Ihren Durchbruch hatte sie im Alter von 43 Jahren mit einer Einzelausstellung in der Kunsthalle Zürich. Eine Provokation: Die unbekannte Fotografin stellte intime Familienszenen in der Öffentlichkeit aus. Rohe, düstere Bilder, aufgezogen auf grossen, selbst entwickelten Fotoleinwänden. «In der Fotoszene warf man mir vor, ich könne gar nicht fotografieren», erinnert sich Štrba. Aber in der Kunstszene sei sie gut aufgenommen worden.
Sie besucht ihre aktuelle Ausstellung. «Bunt entfaltet sich mein Anderssein» in der Fotostiftung Schweiz in Winterthur. Die Ausstellung legt einen Schwerpunkt auf Štrbas Frühwerk «Shades of Time», in dem das Aufwachsen ihrer Kinder dokumentiert wird. Und auf die späteren farbigen Digitalwerke aus «Noonday», die ihren Enkelkindern gewidmet sind. Eine Besucherin kommt auf Štrba zu und sagt: «Ihre Bilder berühren mich so. Sie sind erotisch und poetisch zugleich.» Štrba strahlt. Auch in Winterthur erkennt man sie.
Štrbas frühes Schaffen
Mit 14 Jahren bekam sie von ihrem Vater eine Kamera und machte damit erste Aufnahmen. Ein Jahr später richtete sie sich ihre eigene Dunkelkammer ein. Das allmähliche Erscheinen der Bilder im Entwicklerbad faszinierte sie. «Ich sah darin etwas Magisches», sagt sie. Später machte sie eine Lehre als Fotografin. «Da musste ich vor allem Hochzeiten ablichten und Passfotos machen.» Štrba erzählt von ihrem Leben, ihrem Partner, dem Schmuckkünstler Bernhard Schobinger, den Kindern und Enkelkindern, ihren Freundinnen und Freunden, ihrem Universum. Viele Künstlerinnen gingen bei ihnen in Richterswil ein und aus.
In den Siebzigerjahren seien sie oft zu Punkkonzerten gefahren, nach London oder Berlin. Die Kinder Sonja, Samuel und Linda waren immer dabei. Musiker Blixa Bargeld, Frontmann der Punkband Einstürzende Neubauten, ist bis heute ein Freund. Er kommt auch auf ihren Bildern vor. Ebenso die Besuche mit den Kindern beim Maler Balthus. «Ich bin mit Anfang 20 früh Mutter geworden, es war auch eine strenge Zeit», sagt sie. Viel Raum für sie gab es damals nicht.
Der Fokus für ihre Fotos war darum vorgegeben: die Familie mit Katze am Küchentisch, die schlafenden Kinder, die spielenden Kinder. Notizen aus dem Alltag damals. Als eine Art Tagebuch mit der Kleinbildkamera entstanden, in der Nacht von Štrba entwickelt und dann für Jahre in Schachteln verschwunden. Unschärfe, Kratzer und Staub gewollt. Die Bilder zeugen von Nähe, aber auch von der Angst vor Unzulänglichkeit einer Mutter.
Kunst als Lebensbewältigung
Die Familie ist der rote Faden in ihrem Werk. Es gab damals in den Siebziger- und Achtzigerjahren fast nur diese private Welt, die Annelies Štrba festhalten wollte. Sie selbst spricht von einer Art Lebensbewältigung: «Alles ist ganz unbewusst geschehen. Es gab immer einen Bezug zur Familiengeschichte. Ich habe etwas herauszufinden versucht. Es hat mit Ursprung zu tun, mit dem Haus, mit der Familie, mit dem Leben halt.» Sie sei aber keine Familienfotografin im klassischen Sinn, fügt sie dezidiert an. Und: Ihre Kinder und Enkel seien stolz auf die Bilder mit ihnen. Die Fokussierung auf die nächste Generation in ihrer späteren Schaffensphase sei eine logische Konsequenz der früheren. «Schliesslich kümmerte ich mich auch jahrelang intensiv um die Enkelkinder. Sie sind auch meine Welt.»
Annelies Štrba, 1947 in Zug geboren, lebt heute in Richterswil ZH und im Tessin. Ihr Grossvater wanderte aus Ungarn in die Schweiz aus, arbeitete als Uhrmacher in Le Locle und kam dann nach Zug. Ihre Mutter war auch Künstlerin, dichtete und malte. Štrba ist verheiratet mit dem Schmuckkünstler Bernhard Schobinger und hat drei Kinder: Sonja (*1970), Samuel (*1971) und Linda (*1974). Die fünf Enkelkinder sind zwischen 16 und 29 Jahre alt. Bekannt wurde sie durch ihre schwarz-weissen Fotografien, die sich dem Leben ihrer eigenen Familie widmeten, wobei ihre Kinder die bevorzugten Modelle waren. Nach der fotografischen Ausbildung begann sie 1997 mit Video zu arbeiten und verband beide Techniken miteinander. Um die Jahrtausendwende fing sie an, ihre Aufnahmen farblich und motivisch zu bearbeiten und digital zu verändern.
Aktuell: Annelies Štrba: «Bunt entfaltet sich mein Anderssein», bis 13. August 2023 in der Fotostiftung Schweiz in Winterthur, www.fotostiftung.ch
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