Fragt man Maxim, ob er zurückwill, schüttelt er so heftig den Kopf, dass sich der ganze Körper mitschüttelt. Für den Viereinhalbjährigen war der Umzug von Dresden nach Zürich im letzten Sommer ein Abenteuer, auf das er sich schon Monate im Voraus gefreut hatte. Die Strategie seiner Eltern Eva Ebertseder, 41, und Bernd Janke, 44, ging perfekt auf: «Unser Plan war, ihm den Umzug so schmackhaft wie möglich zu machen», sagt die Mutter.

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Maxim hat neue Freunde in der Kindertagesstätte in Zürich gefunden, Schweizerdeutsch war nur in der ersten Woche ein Problem. Und in der Neubausiedlung verläuft er sich auch nicht mehr. Maxim ist angekommen. «Ich bin selbst überrascht, wie reibungslos das ging», sagt Eva Ebertseder. Sie sitzt in der Küche, eine zierliche Frau in Jeans und Turnschuhen. Letzten März fand ihr Mann eine Stelle in Zürich und zog zunächst allein in die Schweiz.

Von Anfang an sprachen sie mit Maxim und seiner zweijährigen Schwester Nina über den geplanten Umzug, erklärten ihnen, dass sie es sich wünschen, wieder als ganze Familie zusammenzuleben. Im April machten sie Ferien in Zürich. Zehn Tage lang lernten sie die Stadt kennen, machten Ausflüge ins Umland. Zurück in Dresden, war aus Maxim ein Schweizfan geworden, wochenlang baute er im Sandkasten den Pilatus nach.

Zur Strategie der Eltern gehörte auch, nicht mit dem Möbelwagen nach Zürich zu fahren, sondern mit dem Nachtzug. So stand Maxim an seinem letzten Abend in Dresden am Hauptbahnhof, seinen Kuschellöwen im Arm, und statt Abschiedsschmerz war da nur Vorfreude. «Er war noch nie Nachtzug gefahren. Als der Zug einfuhr, jubelte er», sagt Eva Ebertseder.

Die grösste Angst: Freunde verlieren

Damit der Umzug mit Kindern gelingt, muss man sie früh einbeziehen. «Nicht erst zwei Wochen vor dem Zügeltermin, sondern in dem Moment, in dem man selbst mit dem Thema konfrontiert ist», sagt Ralph Wettach, Psychologe und Fachbereichsleiter des Schulpsychologischen Dienstes der Stadt Zürich. Kinder wollen das Vertraute behalten. Eltern sollten ihnen deshalb, so Wettach, die Gründe für den Umzug erklären. «Auch wenn die Kinder kein Vetorecht haben, das gibt ihnen zumindest das Gefühl, mitreden zu können.»

Wäre Maxim älter gewesen, wäre ihm der Umzug wohl schwerer gefallen, vermutet Wettach. «Jüngere Kinder sind noch sehr auf die Eltern fixiert. Für sie ist es nicht so wichtig, wo sie leben.» Wer hingegen bereits in die Schule geht, verliert mit dem Zügeln Freunde, Kollegen vom Verein, die Schulklasse, das ganze soziale Umfeld.

Klar, dass einige Kinder sich gegen einen Umzug sträuben. Was dann? «Zuhören und noch mal zuhören», sagt der Psychologe. Herausfinden, was Angst macht. Gemeinsam nach Lösungen suchen. Etwa ein Abschiedsfest in der alten Klasse organisieren oder eine Begrüssungsparty für die neuen Nachbarskinder. Und darauf achten, dass die alten Freunde am neuen Ort zu Besuch kommen. «Die grösste Angst ist jene vor dem Verlust der Freunde», sagt Wettach. «Eltern können ihr Kind beim Knüpfen der neuen und Pflegen der alten Freundschaften unterstützen.» Der Psychologe schlägt auch vor, noch vor dem Umzug mit dem neuen Lehrer Kontakt aufzunehmen. Die Schule ist der Ort, an dem neue Freundschaften geschlossen werden, und der Lehrer kann dafür sorgen, dass der Neuzuzüger nicht abgeschottet in der letzten Reihe landet, sondern neben einem besonders offenen Klassenkameraden.

Pünktlich auf den Schulanfang an einem anderen Wohnort: Emma und Leo haben bereits neue Freundschaften geknüpft.

Quelle: Nadja Tempest
Weg vom «lässigsten Chindsgi der Welt»

Johanna Guyer, 38, und Michi Hollstein, 39, haben eigentlich alles richtig gemacht. Die beiden beschlossen nach dem dritten Kind, ihre enge Zürcher Wohnung einzutauschen gegen ein Haus in Richterswil. Sie zügelten pünktlich zu Schulbeginn, um Leo, 7, und Emma, 5, den Wechsel in die neue Klasse und die neue Kindergartengruppe zu erleichtern. Sobald Hanno, der Jüngste, zur Welt kam, erklärten sie Leo und Emma, dass sie wohl bald wegziehen würden.

Als das Haus in Richterswil als Option auftauchte, schauten sie es sich alle zusammen an. Sie feierten den ganzen Sommer über Abschiedsfeste, und in die Gutenachtgeschichten flochten die Eltern nun immer öfter den Umzug, Richterswil, das neue Haus ein. Ein paar Wochen vor dem Umzug bekamen Leo und Emma ihre eigenen Zügelkisten, und gemeinsam überlegte man, welche Spielsachen bereits eingepackt werden können und welche bis zum Schluss unverzichtbar waren.

Die ersten drei Monate nach dem Zügeln hatte Michi Hollstein frei. «Das würde ich jedem in derselben Situation empfehlen», sagt er. «Ich konnte Leo und Emma in der Anfangsphase begleiten, war ihr Ansprechpartner, zusammen erkundeten wir den Schulweg und die Spielplätze.» Trotzdem wurde es schwierig, vor allem für Emma, die in Zürich immer viele Freundinnen hatte.

Die Familie sitzt auf dem Sofa, fünf Rotschöpfe mit Sommersprossen. Leo erzählt, dass ihm am neuen Haus seine eigene Leseecke am besten gefällt. Emma sagt meist nur Ja. Ja, es gefällt ihr hier. Ja, sie hat neue Freunde. Dann sagt sie, manchmal vermisse sie den alten Kindergarten. «Der lässigste Chindsgi der Welt.» Wenn sie wünschen dürfte, ginge sie zurück.

Später, allein mit den Eltern. Am Anfang sei es schwierig gewesen, sagen sie. Nicht für Leo, der eigentlich immer der Verschlossenere war, aber nach dem Eintritt in die erste Klasse erstaunlich schnell Anschluss fand. Für Emma war es nicht so leicht. Ihre neue Kindergartenklasse ist klein, eine eingeschworene Gemeinschaft, in der sie anfangs nicht richtig hineinwachsen konnte. Auch die Siedlung: wenig Kinder in der Nachbarschaft. Emma spielt jetzt mit den jüngeren aus der unteren Klasse. Die Eltern haben die Kinder auch im Sportverein angemeldet. «Da blüht Emma richtig auf», sagt ihre Mutter. Langsam wird alles gut.

Livia machts ihren Eltern vor: Sie fühlt sich am neuen Ort bereits zu Hause.

Quelle: Nadja Tempest
Am Stadtrand spielen mehr Kinder

Auch bei Susanne Pauli Schön, 40, und Ralph Schön, 45, war es Platzmangel, der sie aus dem geliebten Zürcher Kreis 3 in eine Neubausiedlung an den Rand der Stadt zwang. Während sich die beiden in ihrem neuen Heim bewegen wie in einer fremden Wohnung, unsicher, staunend, rennt die zweijährige Livia durch die Zimmer, als hätte sie nie woanders gelebt. Dabei liegt der Umzug erst zwei Monate zurück.

Als es darum ging, den künftigen Wohnort zu bestimmen, spielte Livias Zukunft die entscheidende Rolle. «Wir wünschten uns eine Siedlung mit vielen Familien und Kindern in Livias Alter», sagt Susanne Pauli Schön. Im Innenhof, der jetzt noch eine Baustelle ist, entstehen drei Spielplätze. Der Kindergarten, in den Livia gehen wird, liegt ennet der Strasse. Und 2015 wird im Quartier ein neues Schulhaus gebaut. Livia, die Neue, wird ihre Freunde finden.

Tipps: Machen Sie es Kindern leichter


Vor dem Umzug

  • Kündigen Sie den Umzug möglichst früh an. Erklären Sie, warum er nötig ist.
  • Besuchen Sie bald den neuen Wohnort, besichtigen Sie die neue Wohnung.
  • Informieren Sie den neuen Lehrer und besuchen Sie mit Ihrem Kind die Schule.
  • Bitten Sie den alten Lehrer, mit dem neuen den Schulstoff abzugleichen.
  • Denken Sie sich gemeinsam Abschiedsrituale aus, etwa ein Fest in der Schule.


Beim Packen

  • Geben Sie Ihren Kindern ihre eigenen Umzugskartons zum Einpacken.
  • Dinge, die Kinder immer bei sich haben, sollen sie in einer Tasche am Zügeltag selbst in die neue Wohnung tragen.


Während des Umzugs

  • Kinderkisten zuletzt einladen, so kann man sie als Erstes wieder abladen.
  • Richten Sie zuerst das Kinderzimmer ein, Ihre Kinder können dabei helfen.
  • Bringen Sie kleinere Kinder bei Bekannten oder Verwandten unter.


Nach dem Umzug

  • Helfen Sie den Kindern dabei, neue Freunde zu finden und alte zu erhalten.
  • Falls Sie in der Region bleiben: Fragen Sie Ihr Kind, ob es im alten Verein oder in der alten Pfadigruppe bleiben oder in Gruppen am neuen Ort wechseln will.