Wartezeit ist Gold
Unfreiwilliges Warten auf den Zug oder beim Arzt ist für viele eine Qual. Dabei muss man die so gewonnene Zeit nur für sich zu nutzen wissen.
aktualisiert am 17. September 2018 - 11:10 Uhr
Die Ampel schaltet auf Rot: Bitte warten! Der Zug verspätet sich: Bitte warten! An der Kasse des Grossverteilers hat sich eine Schlange gebildet: Bitte warten! Das Vorzimmer beim Arzt ist überfüllt: Bitte warten! Durchschnittlich eine Stunde pro Tag ist Warten angesagt. Hochgerechnet auf das ganze Leben, verbringen wir fast ein ganzes Jahr damit.
Für die meisten ist Warten ein Stressfaktor – zumindest dann, wenn man nicht darauf vorbereitet war. Stress aber ist laut der Weltgesundheitsorganisation WHO die grösste Gesundheitsgefahr im 21. Jahrhundert. Kopfschmerzen, Kreislaufprobleme, Verdauungsbeschwerden
,
Konzentrationsstörungen, Energieverlust und Aggression sind klassische Stressfolgen.
Das Staatssekretariat für Wirtschaft bezifferte die medizinischen und volkswirtschaftlichen Kosten von Stress in der Schweiz auf 4,2 Milliarden Franken – pro Jahr.
«Sind Sie ein guter Warter?», fragten Studenten des Frankfurter Instituts für Kulturanthropologie 100 Passanten. Und fanden heraus, dass die Frauen den Männern diesbezüglich überlegen sind: Sie betrachten Wartezeit häufiger als Möglichkeit, um Luft zu holen und sich zu entschleunigen
. Für Männer dagegen ist Warterei mehrheitlich Zeitverschwendung.
Allen gemeinsam ist, dass sie Lieblingsbeschäftigungen haben, um das Warten erträglicher zu machen: lesen, Mitwartende beobachten, eine Zigarette
rauchen, mit dem Handy spielen. Manche zählen vorbeifahrende Autos nach Farben oder versuchen, nur alle fünf Minuten auf die Uhr zu schauen, und überprüfen dann, ob sie den Zeitpunkt genau getroffen haben – eine schlechte Lösung, denn je mehr man an Minuten und Sekunden denkt, desto gestresster ist man (siehe Infobox unten: «So nutzen Sie Wartezeit sinnvoll»).
Es ist also nicht das Warten an und für sich, sondern unsere Reaktion darauf, die entscheidet, ob wir gestresst sind. Daher ist es ratsam, sich gelegentlich die Worte des französischen Schriftstellers Victor Hugo in Erinnerung zu rufen: «Träumen, das ist Glück – Warten ist das Leben.»
Darauf haben Sie gerade noch gewartet: Zehn Tipps, wie Sie sinnvoll die Zeit totschlagen
- Tragen Sie immer eine Pendenzenliste mit sich. Darauf hat es garantiert einige Punkte, die Sie seit Monaten vor sich herschieben. Nach jeder Wartezeit ist es einer weniger.
- Schauen Sie beim Warten nicht auf die Uhr. Das fördert die Nervosität, lässt aber die Zeit nicht schneller vergehen.
- Versuchen Sie, Gelassenheit zu lernen. Wie wärs mit einem Hobby wie Fischen, das fast nur aus Warten besteht?
- Ergötzen Sie sich daran, wie Mitwartende in Stress kommen - Schadenfreude ist ein wirksamer Stresshemmer.
- Halten Sie nach einem Flirt Ausschau. Schon viele Paare haben sich im Stau, auf dem Perron oder in der Schlange vor dem Schalter erstmals angelächelt.
- Holen Sie bewusst Luft - das wirkt wie eine Art «Sauerstoffdusche». Unter Stress atmen viele zu hastig und zu flach.
- Bedenken Sie: Sie stehen nicht im Stau, Sie sind der Stau! Weshalb es keinen Grund gibt, aggressiv zu werden.
- Betrachten Sie Wartezeit als geschenkte Zeit: Nichts, was Sie in dieser Zeit erleben, hätten Sie ohne Warterei erlebt – Sie brauchen nur die Augen offen zu halten.
- Verplanen Sie nur 23 Stunden am Tag, eine Stunde ist Warten - aber lassen Sie sich nicht stressen, wenn es weniger ist.
- Seien Sie beruhigt: «Stau» und «Zugverspätung» sind die glaubwürdigsten Gründe für einen verpassten Termin, weil alle schon einmal in derselben Situation waren.