Krach beim Fest der Liebe
An Weihnachten will man keinen Streit. Trotzdem entladen sich die Emotionen genau dann, wenn die Harmonie in der Familie eigentlich am grössten sein sollte.
Veröffentlicht am 17. Dezember 2018 - 14:43 Uhr,
aktualisiert am 13. Dezember 2021 - 18:20 Uhr
Leserfrage: «Mit Weihnachten verbinde ich die schönsten Kindheitserinnerungen. Ich freue mich immer auf die Tage mit der Familie, aber dann holt mich die Realität ein: Es gibt Streit und Missstimmung unter dem Baum.»
Für viele von uns hat Weihnachten eine grosse emotionale Bedeutung. Zugleich krachts in vielen Familien beim Fest der Liebe gewaltig. Man hat sich lang nicht gesehen, trifft aufeinander, und spätestens nach dem zweiten Aperitif lädt der Grossonkel mit einer zynischen Bemerkung über Minderheiten zu einer Grundsatz- und Wertediskussion ein.
Oder aber man findet sich unversehens in persönlicheren Themen der Beteiligten wieder, zum Beispiel Arbeits-, Kinder- oder Erfolglosigkeit, Partnerwahl und Modestil. Obwohl das Bedürfnis nach Besinnlichkeit und Frieden so gross ist, entladen sich hier gern alte, wiederkehrende und unter dem Teppich schlummernde Konflikte.
Zunächst einmal ist die Choreografie der Weihnachtszeit auf eine Steigerung bis zum Höhepunkt angelegt. Schon zwei Monate vorher wird eingestimmt. In jedem Geschäft, in jeder Werbung schneit und glitzert es, alle freuen sich und haben es harmonisch. In Schule und Arbeitswelt wird geschmückt und gewichtelt, was das Zeug hält. Schliesslich der Countdown am Adventskalender, Guetsliduft, Monstereinkäufe auf der Zielgeraden und Grossputz, als gäbe es kein Morgen.
Dann: alle Maschinen stopp. Kinder unter Hochspannung , Eltern erschöpft, und man stolpert in drei lange, leere Tage, an denen es gilt, glücklich zu sein und sich lieb zu haben.
Alle haben aus ihrer Kindheit ganz persönliche, oft idealisierte Bilder von Weihnachten und bringen Wünsche und Vorstellungen mit. An diese knüpfen wir Erwartungen. In der Soziologie spricht man von normativen Erwartungen – also dem Anspruch, dass sich andere entsprechend meinen Erwartungen verhalten. Was schon in einer Zweierbeziehung anspruchsvoll ist, wird natürlich umso komplexer, je mehr Leute beteiligt sind.
Kinder, Eltern, Grosseltern, alle gehen mit solchen sich oft widersprechenden normativen Erwartungen ins Weihnachtsgeschehen. So soll es gleichzeitig spirituell und unterhaltsam sein, besinnlich und lustig, schnell gehen und lang dauern, mit Weihnachtsliedern, ohne Versli, mit Klavier, aber ohne Blockflöte, mit TV-Verzicht oder mit «Kevin allein zu Haus», Wachskerzen am Baum und elektrischen Lichterketten et cetera.
Wenn unsere Erwartungen nicht erfüllt werden, sind wir tief gekränkt und irritiert. Die Feierlichkeiten verlaufen nicht so «heilig», wie wir uns das ausgemalt haben. Eine anspruchsvolle Erwartungshaltung rührt nicht nur zur Weihnachtszeit an einen psychologischen Grundkonflikt: Wer etwas erwartet, weist dem andern eine Rolle zu. Doch der Impuls zur Selbstbestimmung ist angeboren, deshalb aktiviert er damit Widerstand. Der andere fühlt sich in seiner Freiheit eingeschränkt. Er muss sich entscheiden: Verzichte ich auf meine Autonomie, spiele also mit? Oder verweigere ich das Erwartete und riskiere den Konflikt?
Damit sich das Weihnachtsfest entspannt entwickelt und sich alle wohlfühlen können, sollte man vorher ein paar Dinge klären.
Stress an Weihnachten vermeiden: Tipps vor dem Fest
- Werden Sie sich bewusst, was Ihre Vorstellungen und Bedürfnisse sind für die Advents- und Weihnachtszeit. Was ist Ihnen wichtig? Was tut Ihnen gut? Wie hätten Sie es gern?
- Was sind Ihre Bedüfnisse und Vorstellungen und Bedürfnisse zum Ablauf des Weihnachtsfestes?
- Was möchten Sie auf keinen Fall (essen, singen, hören, tun...)?
- Welche Ideen haben Sie für eine gelungene Feier?
- Tauschen Sie Ihre Vorstellung über Ablauf und Dauer frühzeitig und möglichst offen mit allen Beteiligten aus.
- Reden Sie offen über gegenseitige Erwartungen.
- Entwickeln Sie gemeinsam Ideen.
- Überlegen Sie, welche Form am besten dazu führt, dass alle einigermassen zufrieden sind.
- Sie wissen ja, wer kommt . Werden Sie sich vorher klar, welche Themen Sie umschiffen wollen und wie Sie reagieren können, wenn jemand «heisse Aussagen» macht. Zum Beispiel so: «Über dieses Thema möchte ich an Weihnachten nicht mit euch reden. Darüber können wir gerne ein anderes Mal streiten.»
Während des Weihnachtsfestes
- Haben Sie ein Auge auf das Stresslevel der Anwesenden.
- Bauen Sie Pausen und Rückzugsmöglichkeiten ein, bieten Sie Kindern Möglichkeiten, Spannungen zu entladen (rausgehen, toben) und Jugendlichen, sich zurückzuziehen.
- Haben Sie auch ein Auge auf sich selbst und die eigene Anspannung. Gönnen auch Sie sich Pausen oder holen Sie sich Unterstützung.
- Bleiben Sie cool, wenn mal etwas schiefgeht.
- Bleiben Sie entspannt, wenn die Kinder zwischendurch «Krise machen».
- Meiden Sie beharrlich Themen, die erfahrungsgemäss zur Eskalation neigen.
- Weichen Sie wo nötig ohne Drama vom geplanten Ablauf ab.
Nach dem Weihnachtsfest
- Und der Ausblick aufs nächste Jahr? Sichern Sie Ihre Erfahrungen und Bewertung: Wie war es für mich? Wie ist es den anderen ergangen?
Grundsätzlich empfiehlt es sich, den Ball flach zu halten, damit man nicht von der Realität zu Fall gebracht wird. Echte Besinnlichkeit und echte Zuwendung zum anderen spart auch schwierige Gefühle nicht aus. Trauer, Enttäuschung und Wut machen die Weihnachtszeit nicht weniger friedvoll, wenn wir sie als wichtige Teile menschlichen Erlebens anerkennen und würdigen.