Herr Kaufmann, die Credit Suisse ist untergegangen. Wie ordnen Sie das historisch ein?
Es ist nicht gelungen, eine systemrelevante Bank zu retten und als unabhängiges Institut weiterzuführen. Das ist in dieser Grössenordnung ein Novum. Als der Bund der UBS im Jahr 2008 unter die Arme griff, blieb sie als eigenständige Bank erhalten. Diesmal ging das nicht: Die UBS musste die CS übernehmen.


Ein Misserfolg für die Behörden?
Jein. Unter allen schlechten Optionen, die auf dem Tisch lagen, war die Übernahme durch die UBS vermutlich die beste.
 

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Eine dieser Optionen wäre gewesen, die Credit Suisse abzuwickeln – so, wie es die Schweizer Bankenregulierung eigentlich vorsieht. Warum funktionierte das nicht?
Der Abwicklungsplan war unvollständig. Es gab zwar einen Plan, wie man einerseits das Schweiz-Geschäft der CS abspalten und weiterführen könnte. Wie man aber andererseits den globalen Teil der Bank in Konkurs schicken oder sonst wie abwickeln könnte: Dafür gab es keinen realisierbaren Plan.


Warum nicht?
Sehr wahrscheinlich wegen Koordinations- und Kompetenzfragen. Die Credit Suisse ist auch in den USA systemrelevant. Logischerweise wollen die amerikanischen Finanzbehörden mitreden, ob eine dortige Tochtergesellschaft der CS in Konkurs gehen darf oder gerettet werden muss. Dies ist verständlich, da ein Untergang der CS globale Auswirkungen gehabt hätte. Somit war es unmöglich, das globale Geschäft der CS seinem Schicksal zu überlassen, auch wenn das in den Krisenplänen für die hiesigen Grossbanken vielleicht so vorgesehen ist.

Zur Person

Daniel Kaufmann ist Professor für angewandte Makroökonomie an der Universität Neuenburg und forscht an der Konjunkturforschungsstelle KOF. Er ist spezialisiert auf die historische Analyse der Geldpolitik und von internationalen Finanzmärkten.

Die Schweiz dachte, sie könne Finanzregulierung im Alleingang beschliessen. Ein Irrtum?
Die Regulierungsprinzipien, welche die Schweiz beschlossen und in internationalen Gremien wie dem Financial Stability Board auch vorangetrieben hat, waren sicher richtig. Aber man muss schon realistisch sein: Eine globale Grossbank in Konkurs zu schicken, kann eine Finanzkrise auslösen. Die Verantwortung dafür wollte die Schweiz kaum allein tragen.


Warum hätte ein Konkurs der CS derart schlimme Auswirkungen gehabt?
Ein Untergang der Credit Suisse hätte womöglich zu einer weltweiten Finanzpanik geführt, ähnlich wie 2008. Ein wesentlicher Grund dafür ist die Verflechtung im Finanzsystem. Banken leihen einander gegenseitig Geld aus: Es bestehen Zahlungsverpflichtungen aus Krediten und verschiedensten Finanzprodukten. Geht eine Bank in Konkurs, so erleiden andere Banken finanzielle Verluste. Die Angst davor wirkt zusätzlich destabilisierend. In einer Kettenreaktion kann so das ganze Finanzsystem in eine Krise stürzen.
 

Auch die zweite Option, eine staatliche Übernahme, wurde vom Bund verworfen. Warum?
Der Bund hätte im Prinzip das Schweiz-Geschäft der CS übernehmen können. Dieses Geschäft ist relativ sicher und profitabel, der Bund hätte es nach einer gewissen Zeit womöglich mit Gewinn verkaufen können. Das Problem waren die riskanteren internationalen Teile. Auch diese hätte der Bund übernehmen müssen. Ich vermute, er war nicht bereit, die damit verbundenen Risiken zu tragen.


Grossbritannien hat 2008 zwei Finanzinstitute verstaatlicht: die Northern Rock und die Royal Bank of Scotland. Warum soll das in der Schweiz nicht möglich sein?
Die Schweiz ist ein kleines Land. Und die CS eine sehr grosse Bank. Aber vielleicht hat es auch damit zu tun, dass man hier Staatsinterventionen eher kritisch gegenübersteht.
 

Die CS ist also nicht nur «too big to fail», sondern auch «too big to rescue»?
Ja, das kann man so sagen. Die UBS übernimmt jetzt die Aufgabe, die riskanten Teile der Credit Suisse abzuwickeln. Sie kann das vermutlich besser als der Schweizer Staat.
 

Ist die «Too big to fail»-Gesetzgebung damit für die Mülltonne?
Nein. Gewisse Dinge haben gut funktioniert, zum Beispiel die Abschreibung der sogenannten Coco-Bonds – also der Anleihen, die im Krisenfall herangezogen werden können, um Verluste zu decken. Das dürfte den Deal mit der UBS deutlich vereinfacht haben. Was auch gut funktioniert hat, sind die höheren Liquiditätspuffer, die man den Grossbanken nach der Finanzkrise verordnet hat. Ohne diese Puffer wäre die Situation wohl schon im vergangenen Herbst eskaliert. Die Finanzmarktaufsicht hat sich jedenfalls schon damals Sorgen gemacht.


Hätte der Bund bereits damals das Kommando bei der CS übernehmen sollen?
Im Nachhinein wahrscheinlich schon. Aber es ist extrem schwierig, zu prognostizieren, wann man als Staat eine Bank zur Aufgabe zwingen muss. Dass es im Frühling 2023 zu einem Bankrun kommen würde, konnte man im Herbst 2022 nicht mit Bestimmtheit wissen. Gegenüber der Öffentlichkeit wäre ein solcher Schritt damals schwierig zu begründen gewesen. Es gab damals die Chance, dass sich die Credit Suisse von selbst wieder auffängt …


… und der Rest ist Geschichte. Was muss sich nun an der Bankenregulierung ändern?
Ein möglicher Hebel sind persönliche Verantwortlichkeiten innerhalb einer Bank. Die Finma könnte die Kompetenz erhalten, bestimmte Manager persönlich zu büssen, wenn sie Fehlverhalten oder mangelhafte Strukturen bei der Bank feststellt. Das geht heute nicht.


Sollte die Finma auch die Boni beschränken?
Behörden können über die Lohnpolitik indirekt auch die Geschäftspolitik einer Bank beeinflussen. Wenn es keine hohen Boni gibt, haben Manager auch keine Anreize, im Investment Banking hohe Risiken einzugehen.


Die Banken werden sagen: Damit verlieren wir an Wettbewerbsfähigkeit.
Gewisse Teams im New Yorker Investment Banking werden dann tatsächlich lieber bei einer anderen Bank arbeiten als bei einer Schweizer Bank. Ob die Schweiz als globaler Finanzplatz attraktiv bleiben soll, ist letztlich ein politischer Entscheid. Für die Finanzstabilität in der Schweiz wäre das aber von Vorteil. Ähnliches könnte man aber auch mit anderen regulatorischen Mitteln erzielen.


Wie denn?
Zum Beispiel mit strengeren Eigenkapitalvorschriften. Wenn Banken gewisse Geschäfte mit zusätzlichem Eigenkapital hinterlegen müssen, dann werden diese Geschäfte weniger attraktiv. So steigen die Banken von selbst aus diesen Geschäften aus. Das haben die Grossbanken übrigens nach der Finanzkrise selbst so gesagt. Höheres Eigenkapital würde das globale Geschäft weniger profitabel machen.


Hätte mehr Eigenkapital bei der Credit Suisse den Bankrun verhindert?
Wahrscheinlich nicht in der Form, in der sich die Bank zuletzt präsentiert hat.


Was würden höhere Kapitalquoten dann nützen?
Eine Bank mit mehr Eigenkapital ist grundsätzlich eine ganz andere Bank, mit anderer Strategie, anderem Risikoprofil und anderem Ruf. Sie ist robuster, vertrauenswürdiger, konservativer.
 

Ist die Schweiz ein geeigneter Standort für eine globale Grossbank?
Diese Frage ist sehr berechtigt. Die UBS wird jetzt zur mächtigsten Bank, die in der Schweiz jemals existiert hat. Sicher: Sie ist weniger riskant unterwegs als zuletzt die Credit Suisse. Doch es ist eine Illusion, zu glauben, dass es in Zukunft nie wieder zu Bankruns oder zu Bankenkrisen kommen wird. Die nächste Krise kommt mit Sicherheit.


Und dann?
Dann hat die Schweiz ein grosses Problem. Wir wissen heute, dass der Bund eine Grossbank im Ernstfall weder fallen lassen noch verstaatlichen will. Ersteres kann er sich aus Sorge um die internationale Finanzstabilität und Letzteres aus finanziellen oder politischen Gründen offenbar nicht leisten. Letztlich bliebe dann nur noch der Versuch, die Grossbank ins Ausland zu verkaufen.