Ein König hats nicht eilig
Thomas Müller, CVP-Nationalrat und Stadtpräsident von Rorschach, stolpert als Anwalt über eine Erbsache.
Veröffentlicht am 15. März 2010 - 17:03 Uhr
Thomas Müller ist König von Rorschach. Stadtpräsident, Nationalrat und Expräsident des FC St. Gallen. «Das ist ein Scheissfall», sagt er ganz unmajestätisch.
Hildegard Rieser ist eine Hausfrau aus Algetshausen SG. Immer, wenn sie den CVP-Parlamentarier im Fernsehen sieht, denkt sie jeweils bloss: «Ja, ja, de Herr Müller.»
Der Grund für Müllers Kraftausdruck und Riesers Schmunzeln ist Tante Elsa. Tante Elsa ist seit mehr als sechs Jahren tot. Doch mit ihrem letzten Willen hat sie König Müller und Hausfrau Rieser schicksalshaft verbunden: Müller sollte als Willensvollstrecker ihren Nachlass verteilen. Rieser sollte als Beiständin einer Erbin einen Teil von Elsas Nachlass entgegennehmen. Selber hat die 65-jährige Hausfrau nichts geerbt. Geblieben ist ihr von Tante Elsa nur ein kleines Glöckchen. Damit läutet sie jeweils die Hauptversammlung ihres Kirchenchors ein.
«Eine Woche nach ihrem Tod wurde ich zum Stadtpräsidenten von Rorschach gewählt», erinnert sich Müller. «Ich gab darauf alle meine Mandate als Rechtsanwalt ab. Bis auf drei.» Unter anderem das Amt als Willensvollstrecker von Tante Elsa. Das habe einen emotionalen Grund, erklärt der 57-Jährige. «Sie hat mir die erste Spritze meines Lebens gegeben.» Als Knabe wurde Thomas Müller nämlich in jener Arztpraxis behandelt, in der Tante Elsa als Arzt- und Haushaltshilfe arbeitete.
Die gefühlsmässige Bindung an jene erste Spritze hat nun Folgen. Denn als Willensvollstrecker hat Müller tüchtig versagt. Zwar schrieb er kurz nach Tante Elsas Tod im Juni 2003 alle Leute an, die etwas erben sollten. Er berechnete auch das Total der Erbschaft, rund 360'000 Franken, meldete es dem Steueramt sowie dem Amtsnotariat und zahlte eine erste Tranche an die Erben aus. Doch dann war tote Hose.
Hildegard Rieser, Hausfrau und Beiständin
So tote Hose, dass Hildegard Rieser fast die Nerven verlor, als sie den Rest der Erbschaft regelrecht eintreiben musste. Erst nach zahlreichen Mahnungen und einer Aufsichtsbeschwerde zahlte Stadtpräsident Müller den ganzen Erbanteil aus. Deshalb packte Rieser die heilige Wut, als Mitte November 2008 der Betreibungsbeamte an ihrer Haustür läutete. Das kantonale Steueramt verlangte von der Erbin zusätzliche 12'000 Franken an Erbschaftssteuern.
Und schnell war klar: Thomas Müller hatte erneut geschlampt. Wiederholt hatte das Steueramt von ihm als Willensvollstrecker die Unterlagen für die definitive Berechnung der Erbschaftssteuern verlangt. Der Stadtpräsident und Nationalrat reagierte nicht. Das Steueramt legte deshalb die Steuern selbst fest – mit Strafzuschlag. Doch Thomas Müller bezahlte nicht einmal die Rechnung. Deshalb betrieben die Steuerbeamten schliesslich die Erben. «Wieso sollten die Erben jetzt für die Fehler des Herrn Müller geradestehen?» Hildegard Rieser reklamierte im Namen aller Erben bei den Steuerbehörden in St. Gallen. Und dies mit Erfolg: Müller zahlte die insgesamt 31'000 Franken Nachsteuern in monatlichen Raten ab.
«Ich hatte nach der Wahl zum Stadtpräsidenten zu viel um die Ohren. Rorschach war ja ein Sanierungsfall», holt Müller mit dem Charme eines Buben aus, dem man doch alles verzeihen soll, und wedelt selbstbewusst mit dem aktuellen «St. Galler Tagblatt». Darin steht ein Lobgesang auf den Aufschwung Rorschachs. «Die 31'000 Franken habe ich übrigens aus dem eigenen Sack bezahlt. Es ist also niemand zu Schaden gekommen.» Müllers eigener Schaden hält sich dabei in Grenzen: Für seine Arbeit als Willensvollstrecker setzte er immerhin ein Honorar von 25'000 Franken ein, als er den Wert des Nachlasses berechnete.
Nach der Steuergeschichte hellhörig geworden, kontaktierte Hausfrau Rieser Anfang 2009 die fünf gemeinnützigen Stiftungen, die von der Tante ebenfalls hätten Geld erhalten sollen. Nur eine einzige hatte ihren Anteil bekommen – notabene über fünf Jahre nach Tante Elsas Tod. Und selbst Ende Februar 2010 hatten zwei Stiftungen ihr Geld noch immer nicht. Nach dem Anruf des Beobachters habe er sofort alles Geld überwiesen, beteuert Müller. «Als Sie anriefen, dachte ich: ‹Läck du mir, das ist ja auch noch.›»
Die unerschrockene Frau aus Algetshausen schüttelt nur den Kopf. «Der Stadtpräsident hätte ja nur Einzahlungsscheine ausfüllen müssen.» Deshalb ist jetzt eine zweite Aufsichtsbeschwerde gegen den König von Rorschach hängig.
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