Über den Tod hinaus auf Facebook?
Was geschieht mit Cloud und sozialen Medien, wenn jemand stirbt? Ein junger Obwaldner zeigt, wie man den digitalen Nachlass regeln kann.
Veröffentlicht am 30. Juni 2023 - 16:22 Uhr
Wer hätte gedacht, dass ein kleines Notizbuch Andrin Lütolf in ein digitales Abenteuer stürzen würde?
Alles begann mit dem Tod seiner Grosstante. Als Andrins Familie deren Hinterlassenschaft durchstöberte, stiess sie auf ein Büchlein, das mit kryptischen Zahlenkombinationen und Wörtern gefüllt war.
Es waren Passwörter und Benutzernamen für Online-Zugänge. Ein Glücksfall für die Nachkommen, denn so konnten sie zumindest teilweise auf die digitalen Konten der Tante zugreifen. Bei einigen Diensten erwies es sich dennoch als schwierig, Zugang zu erhalten oder zumindest die Sperrung und Kündigung von Abonnementen zu erwirken.
«Man kann sich nie sicher sein, alle digitalen Hinterlassenschaften aufgespürt zu haben.»
Andrin Lütolf
Und eine Unsicherheit ist geblieben: «Wir wissen nicht, ob das, was wir gefunden haben, alles ist. Letztlich kann man sich nie sicher sein, alle digitalen Hinterlassenschaften aufgespürt zu haben», meint Andrin Lütolf.
Stoff für die Maturaarbeit
Die Erfahrungen mit dem digitalen Vermächtnis seiner Grosstante veranlassten den 18-Jährigen, seine Maturaarbeit über das Thema zu schreiben. Dabei stiess er auf eine Welt voller Herausforderungen – vom Löschen persönlicher Daten bis zum Umgang mit sozialen Netzwerken.
«Es gibt viele Aspekte, die bei der Verwaltung des digitalen Nachlasses berücksichtigt werden müssen. Dazu gehören auch rechtliche und ethische Fragen, die sich aus dem Zugriff auf Online-Konten und Daten von Verstorbenen ergeben», sagt Lütolf.
Für seine Arbeit hat er Fachliteratur gewälzt, im Internet recherchiert, mit Experten gesprochen. Die wichtigste Frage war: «Welche Vorkehrungen kann eine Person treffen, um den Erben den Umgang mit dem digitalen Nachlass zu erleichtern?»
Bestnote und Nomination
Das Ergebnis seiner mit der Note 6 bewerteten Maturaarbeit ist auch in ein Merkblatt geflossen, das der Schweizerische Verband der Bestattungsdienste demnächst auf seiner Website aufschalten will – und die Examensarbeit ist für «Schweizer Jugend forscht» nominiert.
Andrin Lütolf will dazu beitragen, dass die Gesellschaft besser auf die Herausforderungen des digitalen Nachlasses vorbereitet ist.
Was geschieht mit dem digitalen Ich?
«Oft geht es dabei weniger um einen materiellen als um einen emotionalen Wert – etwa um Fotos und Videos», meint der Maturand. Schliesslich umfasst der digitale Nachlass alle elektronisch gespeicherten Daten auf PCs, USB-Sticks, Computern, Servern oder in Clouds.
Nicht alle Verstorbenen hinterlassen ein Notizbuch mit den Zugängen zur digitalen Hinterlassenschaft wie Lütolfs Grosstante. Was geschieht mit dem digitalen Ich, wenn keiner mehr Zugriff auf die Konten hat?
Im Prinzip nichts. Die digitalen Spuren bleiben bestehen. Allerdings löschen manche Anbieter Accounts nach einer bestimmten Zeit oder versetzen sie in einen «Gedenkzustand».
Passwortmanager statt Notizen
Wer vorsorgen, aber nicht unbedingt ein Notizbüchlein führen will, kann einen Passwort-Manager benutzen. Mit einem solchen Programm muss man sich ein einziges Masterpasswort merken und die Liste mit allen «untergeordneten» Benutzernamen und Passwörtern aktuell halten.
«Am sichersten ist es, diese auf einem externen Datenträger zu speichern und den Erben das Masterpasswort dafür zu hinterlassen», empfiehlt Lütolf.
Passwort-Manager erstellen unterschiedliche und längere Passwörter für diverse Konten, die man sich nicht alle im Einzelnen merken muss. Mit Lastpass, Dashlane, 1Password, Enpass oder KeepassX legt man einmalig ein Master-Passwort fest und kann so im verschlüsselten Programm-Modus auf die restlichen Kennwörter zugreifen.
Die Anwendung ist in Kombination als Browser-Erweiterung, als Software-Download auf dem Desktop oder über eine mobile App nutzbar und läuft synchron auf mehreren Geräten. Dank moderner Verschlüsselungsmethoden sehen bei den Passwort-Managern selbst zwei identische Kennwörter in chiffrierter Form völlig anders aus, was das Entziffern für Hacker äusserst schwierig macht. Auf diese Weise kann man sich die grösstmögliche Sicherheit schaffen.
Und wenn der Provider im Ausland sitzt?
Der Umgang mit digitalen Daten ist für die Hinterbliebenen allerdings selbst dann nicht unproblematisch, wenn die Passwörter bekannt sind. Oft wird der Zugriff verweigert oder eine Löschung nur gegen Vorlage amtlicher Dokumente (Erbschein, Sterbeurkunde) erlaubt.
Diese Prozesse sind aufwendig, nicht zuletzt, weil Provider und Betreiber von Accounts oft im Ausland sitzen und deshalb nicht immer klar ist, welches Recht gilt. Judith Hubatka von der Zuger Anwaltskanzlei Reichlin Hess kennt das Problem.
«Online-Accounts stellen einen Vertrag dar; die Rechte und Pflichten gehen in der Regel auf die Erben über.»
Judith Hubatka, Rechtsanwältin und Notarin
Hubatka hat sich auf Erbrecht spezialisiert: «Grundsätzlich gelten auch für digitale Vermögenswerte die allgemeinen erbrechtlichen Bestimmungen.» Digitale Daten, die auf einem lokalen Träger (Computer, Server, USB-Stick) gespeichert sind, fallen in die Erbmasse.
«Online-Accounts stellen nicht Vermögen, aber einen Vertrag dar; die Rechte und Pflichten gehen in der Regel auf die Erben über», so Hubatka.
Das ist wichtig, weil Verstorbene häufig online abgeschlossene Verträge und kostenpflichtige Abonnemente hinterlassen (namentlich bei Cloud-Diensten, aber auch bei Unterhaltungsnetzwerken wie Netflix, Spotify etc.). In der Regel enden diese mit dem Tod des Abonnenten nicht automatisch, sondern müssen gekündigt werden.
Vorsorge ist auch beim digitalen Nachlass möglich. Wenn Sie nicht allen Erben Zugang zu Ihren Daten geben möchten, empfiehlt es sich, einen Willensvorstrecker einzusetzen, der nach dem Tod alle Zugänge sichten, nach den Wünschen des Verstorbenen löschen und den Erben zugänglich machen kann. Eine Formulierung zum Einsetzen eines Willensvorstreckers finden Sie in der Mustervorlage «Einsetzung eines Willensvollstreckers für den digitalen Nachlass».
Gesetz hinkt der Realität hinterher
Bei digitalen Daten im Internet seien die gesetzlichen Erbschaftsregelungen häufig unzureichend, «da das Gesetz der Realität hinterherhinkt», sagt Judith Hubatka. Erb-, Persönlichkeits- und Urheberrecht können auf komplexe Weise miteinander verknüpft sein und somit Schwierigkeiten verursachen.
Etwa, wenn die Grosstante ihre Biografie, die sich als literarisches Meisterwerk entpuppt, in der Cloud gespeichert hat. Wer entscheidet, welcher Verlag das Buch drucken darf? Wem gehören die Filmrechte?
Unsicherheit bei Kryptowährungen
Besonders heikel wird es, wenn es um kryptografische Vermögenswerte geht: «Während früher Bankguthaben und Wertpapiere vererbt wurden, sind heute immer häufiger auch Kryptovermögenswerte wie Bitcoin oder Ethereum Teil des Nachlasses.
Gerade hier besteht eine grosse Rechtsunsicherheit. Hinterlässt man unzugängliche Kryptowährungen, verlieren die Erben den Zugriff auf einen wichtigen Teil des Nachlasses», gibt die Rechtsanwältin zu bedenken. Denn der Zugang zu den Kryptovermögenswerten eines Verstorbenen ist auch über eine Kryptobörse nicht immer gewährleistet.
Studienfach steht fest
Andrin Lütolf ist sicher, dass sich die öffentliche Diskussion zum digitalen Nachlass intensivieren wird. Eine mögliche Entwicklung sei, dass Online-Dienstleister stärker in die Verantwortung genommen werden.
«Das könnte durch gesetzliche Vorgaben oder branchenübergreifende Standards geschehen, die den Umgang mit digitalem Nachlass regeln», sagt der angehende Jurist. Für ihn steht nämlich fest: Er will Rechtswissenschaften studieren.
Im ZGB steht, welche Hinterbliebenen wie viel erben. Das Gesetz lässt aber auch Raum für eine Abänderung dieser Regeln via Testament, Ehe- und Erbvertrag zu. Erhalten Sie als Beobachter-Mitglied hilfreiche Mustervorlagen und praktische Merkblätter, die Ihnen die gesetzlichen Pflichtteile beim Erben einfach aufzeigen.
Das Neuste aus unserem Heft und hilfreiche Ratgeber-Artikel für den Alltag – die wichtigsten Beobachter-Inhalte aus Print und Digital.
Jeden Mittwoch und Sonntag in Ihrer Mailbox.
1 Kommentar
Das analoge Büchlein für den digitalen Nachlass. Das hat was, dürfte aber die Ausnahme sein.
Der Artikel ist sehr gut und behandelt ein wichtiges Thema.
Warum sind beim 'Passwort-Manager' nur 'internationale' Anbieter aufgeführt?
Es gibt schweizer Anbieter von Passwortmanagern, die weit über Passworte hinausgehen. Neben den üblichen Funktionen gibt es auch die digitale Vererbung. Damit kann man die Last von den Erben nehmen, die digitalen Hinterlassenschaften mühsam zusammensuchen zu müssen. Natürlich sind Angebote mit diesen Funktionen kostenpflichtig.