Kommentar
Die Einheitskasse ist nicht tot!
Weniger Stress, günstigere Prämien: Eine öffentliche Krankenkasse entlastet Versicherte und Anbieter. Höchste Zeit, ein fünftes Mal darüber abzustimmen.
Veröffentlicht am 15. Dezember 2022 - 17:13 Uhr
«Prämienexplosion stoppen!» forderte 2014 die SP. Das Wahljahr 2023 bietet Gelegenheit, den Slogan wieder auszupacken.
Quelle: KeystoneJeden Herbst dasselbe Ritual: Prämien vergleichen und Krankenkasse wechseln . Die Wahlfreiheit hat einen Krämer aus mir gemacht. Nach dem Umzug in einen anderen Kanton lohnt es sich für mich besonders: 80 Franken weniger im Monat kostet die Grundversicherung mit der höchsten Franchise beim neuen Anbieter. Das sind fast 1000 Franken gespart.
Natürlich ist es mühsam. Das Kündigungsschreiben muss per Einschreiben versendet, ein neuer Vertrag unterschrieben und eine neue App heruntergeladen werden. Gemäss einer Statistik des Bundesamtes für Gesundheit nehmen im Schnitt nur rund zehn Prozent der Bevölkerung den administrativen Aufwand in Kauf. In diesem Jahr dürften es allerdings mehr sein. Corona hat die Gesundheitskosten massiv steigen lassen. Das spiegelt sich auch in den Prämien.
Run auf die Günstigste
Ein besonders verlockendes Angebot unterbreitete die KPT den Wechselwilligen. In 13 Kantonen hat die Berner Krankenversicherung nächstes Jahr das günstigste Modell für Erwachsene, die sich für eine Grundversicherung mit 2500 Franken Franchise entscheiden. Gemäss «NZZ» führte das zu einem regelrechten Run: 150’000 Neue wollen von den tiefen Prämien profitieren, die KPT muss mitten im Advent einen Kundenzuwachs von 40 Prozent bewältigen.
Der Sprung von bisher 357’000 auf künftig 500’000 Grundversicherte sei für die Organisation «eine Belastung», sagte ein KPT-Sprecher im «Bund». Trotz Fachkräftemangel sollen jetzt 40 bis 50 neue Stellen geschaffen werden. Der massive Zustrom zwingt die Kasse zudem, Kapitalreserven aufzubauen. Das gelingt nur mit Sparen – und wohl teureren Prämien im nächsten Jahr.
Am KPT-Hauptsitz im Berner Wankdorf-Quartier ist man am Rotieren. Mitte Dezember warteten immer noch viele Neukunden auf ihre Verträge. Ich bin einer von ihnen. Am Telefon bittet eine Mitarbeiterin um Geduld: «Wir werden überrannt.»
«Wir wollen günstigere Prämien, aber wir wollen dafür nicht länger Zeit auf Comparis, am Telefon und am Postschalter verplempern müssen.»
Ein entwürdigendes Theater
Ein Bild drängt sich da auf. Von Pinguinen auf einer Eisscholle: Alle stehen auf der gleichen Seite, bis sich die Scholle gefährlich zu neigen beginnt. Um nicht ins Wasser zu fallen, watscheln die Pinguine alsbald von der einen Seite auf die andere Seite der wackeligen Unterlage. Doch dann – so will es die Physik – kippt die Scholle natürlich abermals in die andere Richtung. Das Spiel beginnt von vorne.
Was im Tierreich niedlich wirkt, hat bei den Menschen etwas Entwürdigendes. Weshalb tun wir uns dieses Theater jedes Jahr an?
Kurze Antwort: Weil wir es so wollen. Oder auf jeden Fall stets so gewollt haben in der Vergangenheit. Viermal stimmte die Bevölkerung bislang über eine staatliche Einheitskasse ab. Immer wurde die Vorlage wuchtig abgeschmettert. 1994 sagten 77 Prozent Nein, 2003 waren 73 Prozent dagegen, vier Jahre später 71 Prozent und 2014 schliesslich immer noch 62 Prozent.
Seither sind wieder acht Jahre ins Land gezogen. Acht Jahre, in denen sich Schweizerinnen und Schweizer zunehmend über lästige Werbeanrufe genervt haben. Und über gestiegene Gesundheitskosten. Wir wollen günstigere Prämien, aber wir wollen dafür nicht länger Zeit auf Comparis, am Telefon und am Postschalter verplempern müssen.
Eine Einheitskasse hätte auch für Anbieter Vorteile: Sie würden nicht mehr Opfer ihres eigenen Erfolgs wie derzeit die KPT, ihre Verwaltungskosten würden sinken. Es gäbe mehr Planungssicherheit, weniger Stress und tiefere Prämien für alle.
67 Prozent sind dafür
In einer 2017 durchgeführten Umfrage des Marktforschungsinstituts M.I.S Trend kam es zu einem überraschenden Ergebnis: 67 Prozent der Befragten sprachen sich darin für eine Einheitskasse für die Grundversicherung aus – nur 28 Prozent waren dagegen.
Im nächsten Jahr wird in der Schweiz gewählt. Wer bei den Wählerinnen und Wählern punkten will, muss Lösungen für die steigenden Gesundheitskosten präsentieren können. Die Prämien-Entlastungs-Initiative der SP ist ein Anfang. Mutiger wäre es, die Debatte über eine staatliche Einheitskasse neu zu lancieren.
Die Branchenorganisation Santésuisse schreibt auf ihrer Website in dicken blauen Buchstaben: «Die Bevölkerung will Wettbewerb und Wahlfreiheit und kein Staatsmonopol.» Es wäre wieder einmal Zeit, diese Behauptung an der Urne einem Realitätscheck zu unterziehen.
Aller guten Dinge sind fünf. Käme es zu einer neuerlichen Abstimmung über die Einheitskasse, läge das letzte Verdikt mindestens zehn Jahre zurück. Von 1994 bis 2014 ist der Ja-Anteil um 15,5 Prozentpunkte gestiegen. Weshalb sollte beim nächsten Mal nicht eine Mehrheit dafür sein?
5 Kommentare
Krankenkassen: Kantonale Einheitskassen statt einer Schweizer Einheitskasse
Mit kantonalen Einheitskassen bei der Grundversicherung, bei der die Leistungen sowieso einheitlich und vorgeschrieben sind, könnte der kostspielige Blödsinn des ständigen Kassenwechsels zu billigeren Kassen verhindert werden. Zusätzlich könnten wir viele Gehälter von Krankenkassenmanagern einsparen.
Warum kantonale Einheitskassen? Die Abstimmung zur Prämiendeckel-Initiative hat gezeigt, dass die Versuchung einzelner teurer Kantone - insbesondere im Welschland – gross ist, sich auf Kosten der sparsamen Kantone zu sanieren.
Einheitskasse hin, Einheitskasse her! Das Problem liegt ganz anderswo. Würden die alten Zeiten heraufbeschworen, würde man ganz schlicht und einfach die Staatskasse noch mehr strapazieren, was folglich direkt oder indirekt (oder sogar vereitelt) Steuererhöhungen nach sich ziehen. Die geprellten Zechenzahler sind über kurz oder lang wiederum die normalen Bürgerinnen und Bürger unserer Nation.
Das Problem muss ganz anderswo vorerst einmal richtig erkannt und dann richtig angepackt werden, nämlich die Zusammensetzung der Wertschöpfungsketten in der Schweiz vor der Zeit der Krankenkassenreform unter unserer Altbundesrätin Frau Ruth Dreyfuss und die Zusammensetzung der Wertschöpfungsketten in der Schweiz heute.
Vergleicht man diese Ketten von damals und von heute sehr analytisch und kritisch, wird man feststellen können, dass das ganze Gesundheitswesen an und für sich eine überdurchschnittlich grosse und teure Industrie im Vergleich zu anderen Industrie- und Dienstleistungszweigen geworden ist.
Je kranker die Menschen gemacht werden, umso mehr wächst die Pharmaindustrie in Verbindung mit den angegliederten Dienstleisterinnen namens «Krankenkassen». In anderen Worten, je kranker die Menschen bei der Arbeit infolge unnötig aufgepusteten Stresses und Mobbing gemacht werden, umso mehr werden falsche Wertschöpfungsketten gefördert, dafür aber wesentlich wichtigere Wertschöpfungsketten dieses Landes völlig geschwächt. Früher konnte man mit Stolz sagen, dass jeder zweite Franken in der Exportwirtschaft verdient wurde. Ist das heute noch so? Wo bleibt die damalige stolze Maschinenindustrie, wie beispielsweise die grossen Schiffsmotorenherstellerin SULZER, welche den Welthandel im vorvergangenen Jahrhundert regelrecht in Schwung gebracht hatte? Wo bleibt die stolze Schweizer Maschinenindustrie, welche die tolle Idee vom französischen Weber Joseph-Marie Jacquard in ein wahres industrielles Wunder umzusetzen vermochte? Wo bleibt die geistige Nachkommenschaft all dieser industriellen Pioniere unserer Zeitgeschichte, welche die Basis eines soliden Volksvermögens schufen, damit alle Banken mit dem geäufneten Gesamtkapital dank dieser Basis her noch mehr Kapital erringen konnten? Wieviel vom damals geschaffenen Kapital sowohl durch die Industrie als auch von den damals klügeren Banken ist heute übriggeblieben?
Unser längst ans Herzen gewachsene Grossunternehmer Nicolas Hayek sel. hatte es einmal mit wenig Worten auf den wahren Punkt gebracht: «Ohne Produktion keine Dienstleistung». Die Anschlussfrage bleibt. Was soll nun mehr produziert werden? Mehr kranke Leute oder mehr allgemein nützliche Güter, welche die Schweiz wieder zu einer Nation führen, die sich wie in alten Zeiten weltweit zeigen lässt? Denn globalisiert war unser Land schon zu Zeiten der «Reisläufer» (Schweizer Fusssöldner in fremden Diensten), bevor man seit den vergangenen zwei Jahrzehnten mit der bekanntlich «weltweiten Globalisierung» grosse Sprüche klopft, die uns in keiner Weise weiterbringen.
Nun zurück zum Thema «Einheitskasse». Will man nun wirklich nur die Symptome bekämpfen oder die tatsächlichen Ursachen der heutigen Misere endlich an deren Wurzeln packen? Es bringt nichts, einen unnötig überdimensionierten Binnenmarkt noch mehr aufzubauschen, wenn ein an Rohstoffen armes Land wie die Schweiz keine wertschöpfende Exportgüter für die ganze Welt mehr zu bieten hat. Aber eben. Wie die Komikfigur «Gaston Lagaffe» so schön seine Worte zu illustrieren vermochte «Ich liebe meinen Beruf, es ist nur die Arbeit, die ich hasse!».
Nie mehr wieder Sozialismus. DDR-Einheitskasse, nein Danke! Das ist das allerletzte was wir brauchen. Wir brauchen Vielfalt und Auswahl, und sicher nicht solch sozialistisch-kommunistischen Unsinn.
Eine Einheitskasse hätte auch für Anbieter Vorteile: Sie würden nicht mehr Opfer ihres eigenen Erfolgs wie derzeit die KPT, ihre Verwaltungskosten würden sinken. Es gäbe mehr Planungssicherheit, weniger Stress und tiefere Prämien für alle.
Viele Krankenkassen Lobbyisten sind natürlich dagegen
Auch die NR SR sind dagegen weil sie kein zusätzliches Einkommen bekommen werden.
Ich bin schon seit 30 Jahren für eine EINHEITSKASSE
Sehe ich genauso!
Ausserdem sollten die Prämien einkommensabhängig sein, wenigstens in einem bestimmten Rahmen.