Jeden Herbst dasselbe Ritual: Prämien vergleichen und Krankenkasse wechseln . Die Wahlfreiheit hat einen Krämer aus mir gemacht. Nach dem Umzug in einen anderen Kanton lohnt es sich für mich besonders: 80 Franken weniger im Monat kostet die Grundversicherung mit der höchsten Franchise beim neuen Anbieter. Das sind fast 1000 Franken gespart.

Natürlich ist es mühsam. Das Kündigungsschreiben muss per Einschreiben versendet, ein neuer Vertrag unterschrieben und eine neue App heruntergeladen werden. Gemäss einer Statistik des Bundesamtes für Gesundheit nehmen im Schnitt nur rund zehn Prozent der Bevölkerung den administrativen Aufwand in Kauf. In diesem Jahr dürften es allerdings mehr sein. Corona hat die Gesundheitskosten massiv steigen lassen. Das spiegelt sich auch in den Prämien.

Partnerinhalte
 
 
 
 

Run auf die Günstigste

Ein besonders verlockendes Angebot unterbreitete die KPT den Wechselwilligen. In 13 Kantonen hat die Berner Krankenversicherung nächstes Jahr das günstigste Modell für Erwachsene, die sich für eine Grundversicherung mit 2500 Franken Franchise entscheiden. Gemäss «NZZ» führte das zu einem regelrechten Run: 150’000 Neue wollen von den tiefen Prämien profitieren, die KPT muss mitten im Advent einen Kundenzuwachs von 40 Prozent bewältigen.

Der Sprung von bisher 357’000 auf künftig 500’000 Grundversicherte sei für die Organisation «eine Belastung», sagte ein KPT-Sprecher im «Bund». Trotz Fachkräftemangel sollen jetzt 40 bis 50 neue Stellen geschaffen werden. Der massive Zustrom zwingt die Kasse zudem, Kapitalreserven aufzubauen. Das gelingt nur mit Sparen – und wohl teureren Prämien im nächsten Jahr.

Am KPT-Hauptsitz im Berner Wankdorf-Quartier ist man am Rotieren. Mitte Dezember warteten immer noch viele Neukunden auf ihre Verträge. Ich bin einer von ihnen. Am Telefon bittet eine Mitarbeiterin um Geduld: «Wir werden überrannt.»

«Wir wollen günstigere Prämien, aber wir wollen dafür nicht länger Zeit auf Comparis, am Telefon und am Postschalter verplempern müssen.»

Ein entwürdigendes Theater

Ein Bild drängt sich da auf. Von Pinguinen auf einer Eisscholle: Alle stehen auf der gleichen Seite, bis sich die Scholle gefährlich zu neigen beginnt. Um nicht ins Wasser zu fallen, watscheln die Pinguine alsbald von der einen Seite auf die andere Seite der wackeligen Unterlage. Doch dann – so will es die Physik – kippt die Scholle natürlich abermals in die andere Richtung. Das Spiel beginnt von vorne.

Was im Tierreich niedlich wirkt, hat bei den Menschen etwas Entwürdigendes. Weshalb tun wir uns dieses Theater jedes Jahr an?

Kurze Antwort: Weil wir es so wollen. Oder auf jeden Fall stets so gewollt haben in der Vergangenheit. Viermal stimmte die Bevölkerung bislang über eine staatliche Einheitskasse ab. Immer wurde die Vorlage wuchtig abgeschmettert. 1994 sagten 77 Prozent Nein, 2003 waren 73 Prozent dagegen, vier Jahre später 71 Prozent und 2014 schliesslich immer noch 62 Prozent.

Seither sind wieder acht Jahre ins Land gezogen. Acht Jahre, in denen sich Schweizerinnen und Schweizer zunehmend über lästige Werbeanrufe genervt haben. Und über gestiegene Gesundheitskosten. Wir wollen günstigere Prämien, aber wir wollen dafür nicht länger Zeit auf Comparis, am Telefon und am Postschalter verplempern müssen.

Eine Einheitskasse hätte auch für Anbieter Vorteile: Sie würden nicht mehr Opfer ihres eigenen Erfolgs wie derzeit die KPT, ihre Verwaltungskosten würden sinken. Es gäbe mehr Planungssicherheit, weniger Stress und tiefere Prämien für alle.

67 Prozent sind dafür

In einer 2017 durchgeführten Umfrage des Marktforschungsinstituts M.I.S Trend kam es zu einem überraschenden Ergebnis: 67 Prozent der Befragten sprachen sich darin für eine Einheitskasse für die Grundversicherung aus – nur 28 Prozent waren dagegen.

Im nächsten Jahr wird in der Schweiz gewählt. Wer bei den Wählerinnen und Wählern punkten will, muss Lösungen für die steigenden Gesundheitskosten präsentieren können. Die Prämien-Entlastungs-Initiative der SP ist ein Anfang. Mutiger wäre es, die Debatte über eine staatliche Einheitskasse neu zu lancieren.

Die Branchenorganisation Santésuisse schreibt auf ihrer Website in dicken blauen Buchstaben: «Die Bevölkerung will Wettbewerb und Wahlfreiheit und kein Staatsmonopol.» Es wäre wieder einmal Zeit, diese Behauptung an der Urne einem Realitätscheck zu unterziehen.

Aller guten Dinge sind fünf. Käme es zu einer neuerlichen Abstimmung über die Einheitskasse, läge das letzte Verdikt mindestens zehn Jahre zurück. Von 1994 bis 2014 ist der Ja-Anteil um 15,5 Prozentpunkte gestiegen. Weshalb sollte beim nächsten Mal nicht eine Mehrheit dafür sein?

Woche für Woche direkt in Ihre Mailbox
«Woche für Woche direkt in Ihre Mailbox»
Peter Aeschlimann, Redaktor
Der Beobachter Newsletter