«Ich muss um mein eigenes Geld betteln»
Eine Frau will Vorsorgegeld für einen Wohnungskauf verwenden. Doch ihre Pensionskasse BVK zögert die Auszahlung hinaus – angeblich zu ihrem Schutz.
Veröffentlicht am 26. Oktober 2021 - 13:50 Uhr
Nur eine Formsache, da ist sich Stéfanie Peyer sicher. Die Berufsberaterin aus Weinfelden TG will einen Teil ihres PK-Guthabens für ihren Wohnungskauf beziehen. Als sie die Wohnung im August reserviert, bestellt sie bei der BVK das Formular für den Vorbezug. «Als ich die Antwort las, bekam ich einen halben Herzinfarkt.» Sie erfährt, dass sie – obwohl sie alle gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt – vorerst nicht mit dem Geld rechnen kann. Denn bei der BVK, mit 128'000 Versicherten die grösste Schweizer Pensionskasse, fliesst Geld frühestens einen Monat vor der Eigentumsübertragung.
Bei einem Neubau kann das zum Problem werden. Neue Wohnungen werden dank hoher Nachfrage oft vor der Fertigstellung verkauft, und Baufirmen verlangen bereits bei der Beurkundung des Kaufs Anzahlungen von 20 Prozent. So auch bei Peyers Wunschimmobilie: einer 4,5-Zimmer-Wohnung mit Garten für 675'000 Franken. Im April 2023 soll sie bezugsfertig sein.
Die BVK will erst dann zahlen, die 34-Jährige braucht das Geld aber jetzt. Denn aus ihren sonstigen Ersparnissen kann sie nur die Hälfte der geforderten 20 Prozent Anzahlung finanzieren. Sie bekommt Angst, dass ihr jemand die Wohnung im letzten Moment wegschnappen könnte.
Doch die BVK beharrt auf ihren Bedingungen. Zwar sieht die entsprechende Verordnung des Bundes vor, dass der Vorbezug spätestens sechs Monate nach der Antragstellung ausgezahlt werden muss. Gegenüber dem Beobachter hält die BVK aber fest: «Eine rechtlich verbindliche Vorgabe für die Auszahlung eines Vorbezugs gibt es nicht.» Eine PK könne selbst eine Frist festlegen.
Ihr seien «mehrere Fälle bekannt», in denen ein Generalunternehmer vor der Eigentumsübertragung in Konkurs gegangen sei, argumentiert die BVK. Dann kann das PK-Geld verloren sein, das Alterskapital geschrumpft. Darum solle man eine Anzahlung möglichst knapp halten und zwingend aus eigenen Mitteln finanzieren. «Mit der Auszahlung erst kurz vor der Eigentumsübertragung bieten wir den Versicherten den grösstmöglichen Schutz ihrer Altersvorsorge und nehmen somit unsere Verantwortung als Pensionskasse wahr.».
«Wieso glaubt die BVK, dass sie das darf?»
Stéfanie Peyer, Wohnungskäuferin
Für Peyer, 30 Jahre vom Rentenalter entfernt, ist diese Fürsorge ein Hohn. «Wieso glaubt die BVK, dass sie das darf?» Der Gesetzgeber nehme in Kauf, dass es beim Vorbezug ein gewisses Verlustrisiko gibt. «Dann muss es auch eine PK tun.» Sie will das Geld sowieso später zurückzahlen. Schon jetzt spart sie mehr in der PK, als sie müsste.
Auch Peyers Anwältin hält die Praxis der BVK für zu restriktiv: «Die Ausgestaltung des Kaufvertrags ist in erster Linie Sache der Vertragsparteien.» Die Pensionskasse habe sich da nicht einzumischen. Der Gesetzgeber wolle, dass der Erwerb von Wohneigentum mit PK-Geld gefördert und dass keine der Varianten, Wohneigentum zu erwerben, verunmöglicht oder behindert werde.
Anfragen bei mehreren Kassen zeigen: Die BVK ist kein Einzelfall. Auch andere grosse Pensionskassen knüpfen die Auszahlung an die Eigentumsübertragung.
Beim PK-Netz, dem Netzwerk der Arbeitnehmerverbände in der beruflichen Vorsorge, hat man dafür Verständnis. Geschäftsführerin Eliane Albisser sagt: «Sind mittlerweile Anzahlungen von 20 Prozent und mehr des Kaufpreises in der Immo-Branche üblich, müsste man diese Praxis kritisieren.» Und nicht die Vorsorgeeinrichtungen, die im Interesse der Versicherten schauen würden, dass nur Vorbezüge möglich seien, bei denen die Eigentumsübertragung effektiv erfolge.
Es gibt noch andere Praktiken. Die Migros-Pensionskasse führe einen Vorbezug auch aus, wenn der Kauf und die Eigentumsübertragung zeitlich versetzt stattfinden, sagt Philipp Küng, Leiter Versicherung. «Voraussetzung ist aber, dass die involvierte Bank uns bestätigt, dass der Vorbezug zurückgezahlt wird, falls die Eigentumsübertragung dann doch nicht stattfindet.»
Iwan Lanz, Geschäftsführer der Pensionskasse SBB, sieht «keine gesetzliche Grundlage dafür, dass mit der Auszahlung des Vorbezugs bis zum nachgewiesenen Grundbucheintrag des Kaufobjekts zugewartet werden muss». Er beruft sich auf einen Bundesgerichtsentscheid von 2012. Demnach ist eine Pensionskasse nicht verpflichtet, die Eigentumsübertragung abzuwarten. Wenn sie das Geld vorher auszahle, verletze sie ihre Sorgfaltspflicht nicht.
Das Bundesamt für Sozialversicherungen orientiert sich ebenfalls an diesem Urteil – und hält auf Anfrage seine frühere Empfehlung für überholt, mit dem Auszahlen bis zur Eigentumsübertragung zu warten. Der notariell beurkundete Kaufvertrag reiche aus. Es liege im Ermessen der Kassen, strengere Regeln anzuwenden. Am Ende könnten nur Gerichte entscheiden, was zulässig ist.
Peyers Probleme sind damit nicht gelöst. Sie ist jedoch erleichtert, dass sie mit dem Baukonsortium vereinbaren konnte, vorerst nur zehn Prozent Anzahlung zu leisten. Sie kämpft weiter darum, den Vorbezug bald zu erhalten. «Die BVK hält sich einfach nicht an die gesetzlichen Modalitäten, und ich muss um mein eigenes Geld betteln.»
Peyer sieht noch ein Problem. Sollte sie vor der Eigentumsübertragung ein IV-Fall werden – wofür es aber keinerlei Anzeichen gibt –, wäre ein Vorbezug laut Bundesgericht nicht mehr möglich. Sie sagt, zwar wäre selbst mit einer IV-Rente die Wohnung für sie finanziell tragbar. Aber sie hätte einen Kaufvertrag abgeschlossen, ohne am Ende das verlangte Eigenkapital zu haben. Ein Szenario, das ihr keine Ruhe lässt. Weil die BVK ihr Verlustrisiko minimieren will, entsteht für Peyer ein neues existenzielles Risiko.
Beobachter-Mitglieder erfahren im Merkblatt «Vorsorgegelder für Wohneigentum», welche Optionen ihnen bei Geldern aus der Pensionskasse sowie der Säule 3a für die Finanzierung von Wohneigentum offenstehen und welche Bedingungen dafür gelten.
3 Kommentare
Soviel zu echter, ganzheitlicher "Volks-Wohl-Politik"....
wo bleibt die SVP (Schweizer Volks-Politik)....???
Es ist nicht korrekt, dass sich die PK angeblich schadlos halten will, da es per Gesetz nicht ihr Geld ist. Das Transfer Risiko ist damit Sache der Vorsorgenehmerin. Das BVG-Kapital gehört der Vorsorgenehmerin und wird für deren Zweck zur Wohneigentumsförderung eingesetzt. Das ist eine ungerechtfertigte Bevormundung.
Wundert mich überhaupt nicht. Denn, Frau Peyer, es ist nicht ihr Geld! Zumindest findet der Staat das. Mir wird seit Jahren die Auszahlung des FZG-Guthabens blockiert, das zur Existenzgründung nötig wäre. Die CHAEIS würde ja gerne auszahlen, braucht aber eine Bestätigung. Die dafür zuständige kantonale Ausgleichskasse befürchtet, das zu gründende Einzelunternehmen könnte das Kapital verbraten und der Bezüger danach der Allgemeinheit zur Last fallen. Bisher war ihnen daher noch kein Business Plan genehm. Passend dazu hat der Standortkanton der AK auch den explizit formulierten Auftrag an seine RAV erteilt, in den Fit-for-Startup-Kursen alles zu tun, um zu verhindern, dass die Leute ihre PK-Gelder beziehen, um selbstständig zu werden. So läuft das. Und alles läuft auf die grosse Fusion hinaus, wo AHV/IV/EO/ALV, PK-Systeme und 3. Säule in einen grossen Solidaritätstopf kommen. Nochmal: es ist nicht Ihr Geld. Schreiben Sie es ab.