Karin Meier* kommt zurück aus der Firma ihres Sohnes. Sie ist aufgewühlt. Heute hätte ihr Sohn ihr 10'000 Franken zurückzahlen sollen, so war es abgemacht. Doch davon wollte er nichts wissen – wieder einmal.

Vor vier Jahren hat Meier junior seine eigene Firma gegründet. Dafür hat der 40-Jährige drei Darlehen bei seiner Mutter aufgenommen. Erst 40'000 Franken, dann 20'000, dann nochmals 10'000. Mutter und Sohn legten gemeinsam vertraglich fest, bis wann er die Tranchen zurückzahlen muss. Alle Fristen sind längst verstrichen.

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Jetzt braucht sie die 70'000 Franken. Doch rechtlich gegen den Sohn vorgehen? Dazu konnte sie sich bisher nicht durchringen. Er habe ihr sogar gedroht. «Er müsse Konkurs anmelden, wenn ich ihn betreibe. Das könne ich ihm und seinen drei Kindern nicht antun.» Er sage auch, dass er den Kontakt abbreche, wenn sie das mache. «Das hiesse dann wohl, dass ich meine Enkelkinder nie mehr sehe.»

«Ich habe meinen Sohn unendlich lieb»

Die emotionale Erpressung zeigte Wirkung. Die Situation hat der Mutter zugesetzt, ihr Bild von ihrer Familie ist ins Wanken geraten. Trotz allem sagt sie: «Ich habe meinen Sohn unendlich lieb.» Und sie sei stolz auf ihn, möchte ihm das Leben nicht schwermachen. Doch dann räumt sie ein, er lebe über seine Verhältnisse. «Seine Partnerin und er haben zwei Autos. Sie wohnen in einer teuren Wohnung.» Das ist einer der Gründe, warum sie das Geld nicht zurückgeben können.

Die Mutter hat deshalb dem Sohn vorgeschlagen, dass sie zusammen mit einem Buchhalter seine Finanzen durchgehen. Doch davon will der Junior genauso wenig hören wie von den Schulden. Wann immer sie damit anfange, raste er aus. Sie fügt an: «Letztlich bleibt mir nichts anderes, als ihn zu betreiben.» Oder auf das Geld zu verzichten.

Die Zürcher Familienpsychologin Birgit Kollmeyer warnt davor: «Einen Familienangehörigen zu betreiben hat gravierende emotionale Konsequenzen.» Karin Meier würde wohl tatsächlich den Kontakt zu den Enkeln verlieren. «Das ist ein hoher Preis. Allerdings wird es ihr auch nicht guttun, dem Druck des Sohnes einfach nachzugeben.»

Mit Mediation raus aus der Misere

Birgit Kollmeyer empfiehlt für solche Fälle eine Familienmediation. «So lässt sich das Problem lösen, ohne die Beziehung zu gefährden.» Das heisst: Karin Meier und ihr Sohn müssten sich mit einer Fachperson zusammensetzen. Diese würde den beiden helfen, ihre Anliegen konstruktiv zu äussern – und eine Lösung zu suchen, die beiden gerecht wird.

«Im Gespräch könnte die Mutter darlegen, dass sie auf das Geld angewiesen ist. Sie könnte dann aber auch versuchen, die Lage ihres Sohnes nachzuvollziehen», sagt Kollmeyer. Letztlich könnten sich die beiden zum Beispiel darauf einigen, dass er ihr das Geld in kleinen Beiträgen über eine längere Zeit zurückzahlt.

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Ähnlich sieht das Mario Roncoroni von der Berner Schuldenberatung. In solchen Fällen müssten zunächst die zentralen Fragen geklärt werden: Wieso will sie ihr Geld zurück? Wieso kann er nicht zahlen? Falls das nicht weiterführt, sei eine Mediation eine mögliche Lösung. «Dafür empfehle ich eine neutrale Person, die das Vertrauen beider Seiten hat», sagt Roncoroni. Die Familie sollte wegen eines solchen Streits nicht kaputtgehen.

Hinzu komme, dass der Sohn letztlich ja erbberechtigt sei. Daher könnten die Schulden vielleicht auch als Erbvorbezug verbucht werden. Die Bücher offenzulegen ist nach Ansicht des erfahrenen Schuldenberaters jedenfalls keine gute Idee, eine Betreibung auch nicht. «Das würde nun wirklich nicht zum Familienfrieden beitragen.»

Bares gegen Besuche tauschen?

Noch radikaler argumentiert der Zürcher Altersforscher François Höpflinger. Er warnt vor voreiligen Schlüssen und Schuldzuweisungen. Und er relativiert: Zahlreiche Studien zeigten, dass das Geld oft von Alt zu Jung fliesse, die gelebte Unterstützung dafür von Jung zu Alt. «Viele Eltern geben den Kindern ein Darlehen, ohne auf Rückzahlung zu bestehen. Die Kinder vergelten ihnen das in anderer Form: indem sie sie besuchen, in die Ferien begleiten oder sie im Alter tatkräftig unterstützen», sagt Höpflinger. Soziologen sprechen von einem «Tausch von Geld gegen Liebe». Das könne einer Rückzahlung gleichkommen.

Höpflinger geht noch einen Schritt weiter. An die Adresse der Elterngeneration sagt er: Ein Darlehen in einer Familie sei immer auch eine Investition in deren «genetische Zukunft». So gesehen seien Darlehen auch wirtschaftlich sinnvoll.

Nur: Karin Meier fehlt das Geld für einen solchen Tausch. Die an ihren Sohn verliehenen 70'000 Franken sind ihre Vorsorge fürs Alter. Also für jetzt, nicht für die Nachkommen.

* Name geändert

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