Studentin steht vor dem Ruin – wegen Steuerbehörden
Die Thurgauer Steuerbehörden führten 2022 eine neue Software ein. Die Steuerveranlagungen verzögern sich. Für eine junge Frau könnte das einschneidende Konsequenzen haben.
Veröffentlicht am 16. August 2023 - 06:00 Uhr
Julia Klein aus dem thurgauischen Amriswil will werden, was alle suchen: Pflegefachkraft. Dafür studiert sie an der ZHAW Winterthur. Die Studiengebühren von 820 Franken pro Semester kann sie sich – neben den laufenden Lebenskosten – nicht leisten, und die Eltern können sie finanziell nicht unterstützen.
Genau für solche Situationen sind Stipendien da. Die 24-Jährige stellt ein Gesuch bei der Stipendienstelle des Kantons Thurgau. Doch: Während ihr Gesuch für das vorherige Semester gutgeheissen wurde, bekommt sie dieses Jahr vorerst nichts. Nicht, weil Klein zwischenzeitlich zu Geld gekommen wäre, sondern weil sie einen wichtigen Beleg nicht einreichen kann: die aktuelle Steuerveranlagung ihrer Eltern. Und das hat einen Grund.
Ihr Finanzpolster wäre schnell weg
Fürs Steuerjahr 2022 führte der Kanton Thurgau eine neue Software ein. Eigentlich hätte dies schon früher passieren sollen, doch es gibt technische Probleme. Zudem müssen etliche Mitarbeitende für das neue Tool geschult werden. Die eingereichten Steuererklärungen werden darum nur verzögert bearbeitet.
Auch Kleins Eltern sind betroffen. Das kantonale Steueramt spricht von rund drei Monaten Verzögerung, in komplexen Fällen mehr. Die Behörde zählt auf Anfrage noch weitere Gründe auf, warum die Thurgauerinnen und Thurgauer derzeit länger als gewöhnlich auf die Veranlagungen warten müssen: Fachkräftemangel, Fluktuation, gestiegener Aufwand wegen Zugezogener und Staatsverweigerer.
Für die Studentin ist das verheerend. Ohne Steuerveranlagung gibt es keine Stipendien. Zwar hat sie noch ein kleines Polster, das im Ernstfall aber schnell aufgebraucht wäre. «Ich studiere Vollzeit. Theoretisch könnte ich am Wochenende arbeiten – was ich zeitweise auch gemacht habe. Aber auf Dauer ist die Belastung einfach zu gross», sagt Klein. Schon heute graut es ihr vor jeder Kartenzahlung: «Wenn es piepst, weiss ich nie, ob die Zahlung geklappt hat oder wegen zu wenig Guthaben abgelehnt wurde.»
Sie wurde schlecht informiert
Wie viele Studierende betroffen sind, weiss das Stipendienamt nicht. Es hält aber fest, dass unvollständige Gesuche nicht einfach abgelehnt, sondern so lange pendent gehalten werden, bis die fehlenden Unterlagen vorliegen. «Stipendien werden dann rückwirkend ausgerichtet», so das Amt. Wer finanzielle Unterstützung brauche, könne ein Überbrückungsdarlehen beantragen. Dieses würde dann mit allfälligen Stipendien verrechnet.
Davon wusste Julia Klein nichts. Niemand wies sie darauf hin. Und darum ist sie auch noch heute im Ungewissen, was nun passiert – und ob sie ihr Studium überhaupt weiterführen kann. Denn es gibt noch ein weiteres finanzielles Problem: Wegen fehlender Steuerunterlagen kann sie derzeit auch keine Prämienverbilligungen bei der Krankenkasse beantragen.
4 Kommentare
Mein Ratschlag: Teilzeitarbeit mit Schwerpunkt Semesterferien. Geht auch bei zeitintensiven Studiengängen. Selber praktiziert. Zwei universitäre Studienabschlüsse ohne Stipendien.
Für das gibt es doch vor allem an Fachhochschulen die Möglichkeit, Teilzeit zu studieren. Ausserdem könnte sie die CHF 1'640 für die beiden Semestergebühren pro Jahr mit einem kurzen Nebenjob-Einsatz zusammenkriegen.
Ich habe meine Ausbildung zur Dipl. Pflegefachkraft DNII (so hiess es mal) vor 40 Jahren gemacht. Damals war es noch eine Ausbildung und zumindest bekam ich für die 4 Arbeitstage pro Woche ausgenommen Blockunterricht 10 Wochen/Jahr etwa 320.- Franken im Monat. Heute muss man etwas bezahlen, wenn man einen so gesuchten Beruf ergreifen will. Ob das richtig ist?
Die junge Frau im Artikel möchte den Bachelor in Pflege machen, das kostet Semestergebühren und man hat kürzere Praktika. In der Pflegeausbildung HF würde sie im Thurgau mit 2000.- im Monat einsteigen.