Von Piraten, Lagerfeuern und Mutproben
Auf Geisterjagd gehen, im Sommerlager eingeschneit werden oder sich auf einer Wanderung ohne Geld durchschlagen: Sieben Redaktionsmitglieder teilen ihre Pfadi-Erinnerungen.
Ein spannendes Thema macht ein Pfadilager einzigartig. Vor allem bei den ganz kleinen Pfadis glänzen die Äuglein, wenn der Piratenkapitän um Hilfe bittet oder wenn sie mit Lucky Luke die Dalton-Brüder einfangen. Einmal benötigten die Ghostbusters unsere Unterstützung bei der Geisterjagd. Dabei wurden wir in die Geisterwelt katapultiert. Dort liefen die Uhren anders. Zmittag gab es um fünf Uhr morgens, Nachtruhe war am Nachmittag, und das Nutellabrot zum Zmorge wurde kurz vor Mitternacht serviert. Natürlich machten wir in der ersten «Nacht» kein Auge zu. Nie vergessen werde ich die Wanderung mitten in der Nacht. Nie wieder hab ich so viele Sterne gesehen. Danach gingen wir – wohl zum ersten Mal – ohne Widerrede ins Bett. Um zwei Uhr nachmittags.
Jonas Schlagenhauf
Das khakifarbene Pfadi-Hemd trug ich so lange und innig am Leib, bis es an den Ellbogen fadenscheinig wurde und der Kragen fast abfiel. Die Mutter drohte, sie zerschneide das Hemd zu Putzlappen. Worauf ich es unter der Matratze versteckte und nur trug, wenn sie es nicht sah. Ungewaschen. Es roch nach Cervelat, Schlangenbrot, Feuer und Pubertät. Irgendwann bekam ich ein neues Hemd. Aber die Liebe war erkaltet.
Abgesehen davon lernte ich, im Sechserzelt im Schlafsack zu frieren, wie ein Biber zu stinken und ein «österreichisches Feuer» zu entfachen. Also nicht von unten anzünden, sondern von oben. Die erste Schicht Holz wird Scheit für Scheit nebeneinander gelegt. Die zweite Schicht quer zur ersten Schicht. In kleinem Abstand natürlich, wegen der Luft. Die zwei obersten Schichten belegen Spriesse. Dazwischen legt man einen Zündling aus Holzwolle. Das Feuer frisst sich von oben nach unten durch den Turm.
Einen Pfadi-Namen gab es bei uns in Graubünden nicht. Älpler-Magronen im Bula (Bundeslager) schon.
René Ammann
Den 11. Juli 2000 werde ich nie vergessen. Auf der Bündner Alp Flix waren über Nacht 25 Zentimeter Schnee gefallen. «Tim und Struppi» war eigentlich das Motto unseres Sommerlagers, das ich als 18-jähriger Leiter der Pfadi Hochwacht Baden mitorganisierte. Die Badehosen waren gepackt für den Sprung in den Lai Neir nebenan. Die Sonnenaufgangswanderung nach den Vorgaben von «Jugend und Sport» geplant. Und dann liegen die Jungs meines Stammes morgens in den zusammengedrückten Spatz-Zelten unter dem Schnee. Die Überraschung sass.
Wir aktivierten den Notfallplan: ab in die Turnhalle nach Sur. Wir verbrachten eine Nacht im Dorf unten mit den 11- bis 15-jährigen Pfadis. Sie feierten das Aussergewöhnliche mit Schabernack, wir hofften, dass die restlichen Pfadiführer die Schäden flicken konnten. Am nächsten Tag kam der Reporter vom «Badener Tagblatt», knipste ein Bild mit 50 schneeballwerfenden Jungs und fabrizierte die Schlagzeile: «Pfadi Baden trotzt dem Schnee». Recht hatte er.
Yves Demuth
Eine Wanderung über 50 Kilometer mit Jugendlichen ist schon Herausforderung genug. Dann humpelte ein Pfader plötzlich nur noch: Er hatte eine Dornwarze. Das sagte er uns Leitern erst spät. Wir trugen ihn für die letzten 15 Kilometer abwechselnd auf dem Rücken.
Dann begann es zu stürmen. Der kalte Regen schwemmte die restliche Motivation der Kinder davon. Sind wir bald da? Die Frage kam fast im Minutentakt. Es ist nicht mehr weit, so jedes Mal meine Antwort. Hauptsache, sie verlieren nicht den Glauben, dass sie es schaffen können. Also einfach weiterlaufen, Witze reissen, Lieder singen. Bis wir endlich den Schein des Lagerfeuers sahen.
Und dann, in dem Moment, als die Kinder in ihre Zelte verschwunden waren, begannen meine Beine unkontrollierbar zu zittern, meine Füsse zu schmerzen, mein Kopf abzuschalten, und ich konnte mich nur noch neben dem Feuer niedersinken lassen. Meinen Mitleitern ging es nicht anders. Wir hatten die Kinder ins Ziel gebracht – und sie uns.
Jonas Keller
Kenga, Hoze, Laternli, Bäse – so lauteten die Pfadinamen meiner Freundinnen und Freunde, damals, als ich jung war. Alle waren in der Pfadi, nur ich nicht. Ehrlich gesagt fand ich die Namen ein bisschen doof. Und die Pfadihemden erst recht. Aber: Alle meine Pfadi-Kolleginnen konnten ein Feuer machen, ein Zelt aufbauen, wussten, welches Kraut essbar ist , oder bastelten im Nu ein Floss. Scho no geil.
Am Samstagnachmittag hatte nie jemand Zeit, an Pfingsten auch nicht. Die Pfadi rief. Ich probierte einige Male, dem Verein auch beizutreten. Leider packte mich das Pfadi-Fieber erst als Jugendliche. Da waren meine Freunde aber schon keine Bienli oder Wölfli mehr, sondern Leiterinnen, und mussten die Kleinen bespassen, also Übungen mit ihnen machen. Das lag mir nun gar nicht. Ich habs wirklich versucht, aber die Pfadi war nicht meins. Meine Freundinnen und Freunde aber schon. Und die sind es bis heute. Mein ältester und bester Freund heisst immer noch Hoze, von Holzkohle. Niemand nennt ihn anders. Pfadi prägt.
Birthe Homann
«Pfadi, das waren Wald, Würste, die Welt ohne Erwachsene.»
Martin Vetterli, stellvertretender Chefredaktor
Pfadi war diese Parallelwelt. In der Schule musste ich – ein lebendiges Kind – etwas exponiert ganz vorne am Extrapult sitzen, in der Pfadi war ich mittendrin. Pfadi, das waren Wald, Würste, die Welt ohne Erwachsene. Das Beste waren die Zeltlager im Sommer. Unterengadin, Oberwallis, Bleniotal, Klöntal (13 Tage Regen), Thunersee, Puschlav, ich lernte die Schweiz kennen. Das Ultimative aber waren die Fähnlitage gegen Ende der ersten Woche. Wir Zeltgenossen mussten zwei Tage fern des Lagerplatzes selber organisieren. Wobei: Organisieren ist etwas hoch gegriffen. Das ging so: Rucksack packen, Daumen raus, per Autostopp möglichst weit kommen. Man lernte so: Zwei Tage ohne Geld und trotzdem mit vollem Magen – geht. Irgendwo übernachten – geht. Mit Tempo 120 über einen Bergpass brettern – geht. Sich in handylosen Zeiten treffen, wenn man nicht weiss, wie weit man kommt – ging meist. Was in diesen zwei Tagen passierte, war Geheimsache. Untereinander prahlten wir, zu Hause erfuhren sie nichts. Schwüre galten damals für immer. Deshalb hier keine Details. Nur so viel: quasi grosse Freiheit.
Martin Vetterli
Wer in die Pfadi will, muss ein Aufnahmeritual bestehen. Dazu gehören eine Mutprobe und das Vorzeigen von Pfaditechniken wie Feuermachen. Ich musste zusätzlich einen Parcours mit einem Rollstuhl abfahren. Balancierend auf den grossen zwei Rädern, versteht sich. Denn in der Pfadi PTA Tannenberg in Emmenbrücke hatte etwa die Hälfte meiner Gspändli eine kognitive oder körperliche Beeinträchtigung, viele bewegten sich im Rollstuhl fort.
Die Pfadi-Zeltlager waren immer das Highlight meines Sommers: Ausflüge, Nachtübungen, Singen am Lagerfeuer. Und den beeinträchtigten Gspändli helfen. Zum Beispiel jene im Rollstuhl aufs WC begleiten. Auf dem manchmal regnerisch versumpften Lagerplatz durchaus anstrengend. Aber gerade diese Erlebnisse sind mir am deutlichsten in Erinnerung geblieben. Im Rollstuhl balancieren kann ich übrigens immer noch. Das verlernt man nicht – wie Velofahren.
Corinne Strebel
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