Jetzt sind wir 8 Milliarden – was das bedeutet
Ab heute sind wir acht Milliarden Menschen auf der Welt. Doch an den meisten Orten wird die Bevölkerung bald sinken. Nicht aber in der Schweiz.
Veröffentlicht am 15. November 2022 - 08:00 Uhr
Rund 226’000 Babys kommen pro Tag auf die Welt, etwas mehr als Genf Einwohner hat. Eines davon wird heute, am 15. November, der achtmilliardste Mensch auf der Welt sein. Vor 50 Jahren waren wir noch nicht einmal halb so viele.
Doch wie geht es weiter? Auf der Welt und in der Schweiz? Wir beantworten die fünf wichtigsten Fragen.
Wächst die Weltbevölkerung weiter?
Eine Weile noch, ja. Bis im Jahr 2086 nimmt die Weltbevölkerung zu, schätzt die Uno. Dann wird sie mit 10,4 Milliarden Menschen den Höhepunkt erreichen. Danach geht sie wieder zurück (siehe Grafik). Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit.
Es gibt auch Szenarien, die den Kipppunkt viel früher voraussagen. Das Fachmagazin «The Lancet» etwa prognostiziert ihn in seiner neuesten Studie bereits 2064, also in gut 40 Jahren, bei 9,7 Milliarden Menschen. Auch die Autoren des Buches «Der leere Planet» gehen davon aus, dass die Weltbevölkerung viel früher zurückgeht, als die Uno vermutet – und danach deutlich schneller schrumpft.
Entscheidend ist vor allem, wie sich die Geburtenrate entwickelt, also wie viele Kinder eine Frau im Schnitt bekommt. Sinkt sie im weltweiten Schnitt unter 2,1, nimmt die Bevölkerung mit der Zeit ab. Heute liegt sie bei 2,3, vor 30 Jahren noch bei 3,2. Die Weltbevölkerung wächst darum schon seit längerer Zeit immer langsamer. 2100 wird sie laut «The Lancet» unter 1,7 Kindern pro Frau liegen. Allerdings ist die Entwicklung weltweit sehr unterschiedlich.
Zusammenfassend lässt sich sagen: In den meisten Regionen der Welt wird die Bevölkerung bereits in den nächsten Jahrzehnten sinken. Grosse Ausnahme ist Afrika südlich der Sahara. Dort wird die Bevölkerung kräftig wachsen.
Heute leben in den Ländern wie Nigeria, Niger, Kamerun oder der Demokratischen Republik Kongo insgesamt über 1,1 Milliarden Menschen. Im Jahr 2100 werden es 3,4 Milliarden sein, schätzt die Uno. Die Studie in «The Lancet» kommt auf gut 3 Milliarden. Die Geburtenrate in dieser Region liegt heute bei 4,5. Auch sie sinkt bereits. Allerdings hat der Rückgang deutlich später eingesetzt als im Rest der Welt. Im Jahr 2050 – so die Prognose – wird Nigeria fast 600 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner haben und das drittgrösste Land der Welt sein.
In Europa kommen schon länger weniger als zwei Kinder pro Frau zur Welt. Wenn die Bevölkerung hier noch wächst, dann weil Menschen aus anderen Ländern einwandern. Viele Länder werden aber bald ihr Bevölkerungsmaximum erreichen. In Deutschland etwa wird es in gut zehn Jahren mit zirka 85 Millionen Einwohnern so weit sein, schätzt die Studie in «The Lancet».
Länder wie Italien, Spanien, Polen, Rumänien, Ungarn oder Griechenland sind bereits heute am Schrumpfen. Treffen die Prognosen zu, werden ihre Bevölkerungen am Ende des Jahrhunderts nur noch halb so gross sein wie heute. Das Gleiche gilt für China, heute mit 1,4 Milliarden das bevölkerungsreichste Land der Welt. 2100 werden es noch 700 Millionen Chinesinnen und Chinesen sein. Selbst Indien wird nur noch gut 25 Jahre wachsen. Dann dreht der Trend auch dort.
Die Schweiz gehört zu den wenigen Ländern in Europa, die weiter wachsen werden. Und das noch ziemlich lange. So schätzt die Uno, dass Ende des Jahrhunderts 10,4 Millionen Menschen in der Schweiz leben werden – fast drei Millionen mehr als heute (siehe Grafik).
Der Bund macht Prognosen nur bis 2050 und Schätzungen bis 2070. Sie fallen etwas anders aus. Darin kommt er für 2050 auf 10,4 und für 2070 auf 11,1 Millionen Menschen. Dabei geht er davon aus, dass sich die Situation in etwa so weiterentwickelt, wie es in den beiden vergangenen Jahrzehnten der Fall war. Also eine für Europa mittlere Geburtenrate von 1,7, eine sehr hohe Lebenserwartung und weiterhin viele Einwanderinnen und Einwanderer. Sie sind der Hauptgrund, dass die Schweiz weiterhin wächst, obwohl Frauen in der Schweiz bereits seit Mitte der 1970er-Jahre weniger als zwei Kinder auf die Welt bringen.
Die Schweiz wird wachsen, aber vor allem wird sie älter – wie die meisten Länder auf der Welt. Im Jahr 2050 ist mehr als jeder vierte Mensch in der Schweiz 65 Jahre und älter. Heute sind es gut 18 Prozent. Ein Mädchen, das im Jahr 2050 auf die Welt kommt, darf damit rechnen, fast 90 Jahre alt zu werden. Im Moment liegt die Lebenserwartung von Frauen bei 85 Jahren, bei Männern etwas tiefer.
Nicht nur die Schweiz wird darum in den nächsten Jahrzehnten Fragen beantworten müssen: Wie findet sie Menschen für all die Arbeit, die getan werden muss? Wer zahlt künftig die Renten? Wer pflegt die Betagten? Aber auch: Wie verhindert man, dass die Jungen von den Alten jedes Mal politisch überstimmt werden? Ganz sicher werden Europa, aber auch China oder die USA viel mehr Einwanderinnen und Einwanderer benötigen, um ihren Lebensstandard aufrechterhalten zu können, sagen die Verfasserinnen und Verfasser der verschiedenen Studien.
Wie sicher sind all diese Prognosen überhaupt?
Gesichert ist nur der Stand heute. Alles andere sind Szenarien. «Bis ins Jahr 2050 sind sie allerdings ziemlich realistisch», sagt Colette Rose vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung. Denn die Eltern von dann sind heute auf der Welt. «Wie viele Kinder sie haben werden, können wir einigermassen einschätzen. Ihre Lebensumstände sind ein Stück weit vorhersehbar.»
Alle Prognosen, die weiter gehen, würden jedoch immer unsicherer, sagt Rose. Das gilt besonders für die Regionen, bei denen man eine starke Veränderung erwartet, also den heute armen Ländern mit hohen Geburtenraten. «Wie sich die dortige Situation entwickelt, hängt vor allem davon ab, wie viel investiert wird: in Bildung, ins Gesundheitswesen, in Gleichberechtigung, in Arbeitsplätze.» Je besser es den Menschen geht, desto weniger Kinder bekommen sie. «Am allerwichtigsten ist die Bildung der Frauen.»
Dort, wo schon heute die Geburtenrate tief ist, sieht Colette Rose keine Anzeichen, dass sich das wieder ändern wird. «Völlig andere Szenarien als jetzt prognostiziert, werden wohl nur eintreten, wenn es zu weltumspannenden Pandemien, Kriegen oder Naturkatastrophen kommt.»
1 Kommentar
Entwicklungspolitik der Schweiz: Wenig Transparenz bei Wirksamkeit und Effizienz!
Wirksamkeit und Effizienz der Entwicklungspolitik sind ständig zu prüfen. Leider hört man dazu in der Öffentlichkeit wenig von den verantwortlichen Stellen (z. B. DEZA). Interessieren würde auch, warum sich die Schweiz nicht stärker für eine wirksame Familienplanung in den ärmsten Ländern einsetzt. Dies wäre das wirksamste Mittel, um den Wohlstand pro Kopf zu steigern. Und selbstverständlich müssen Entwicklungsgelder an den Abschluss von Rückübernahme-Abkommen für abgewiesene Migrant:innen gekoppelt werden.