Drohende Klimakatastrophe hin oder her: Die Passagierzahlen im Luftverkehr steigen kontinuierlich. Der Wohlstand erlaubts. Zwischen 2005 und 2015 hat sich die jährlich mit dem Flugzeug zurückgelegte Strecke des Durchschnittsschweizers von 3400 auf rund 9000 Kilometer fast verdreifacht. Das entspricht unterdessen über einem Drittel der Jahresmobilität im In- und Ausland – 2005 war es noch weniger als ein Fünftel gewesen. Besonders die privaten Flugreisen Klimawandel Warum handeln wir nicht? haben stark zugenommen, während die Geschäftsreisen stabil blieben und 2015 lediglich 13 Prozent aller Flugreisen ausmachten. 

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Aber nicht nur im Flugverkehr heisst es: immer häufiger und immer weiter. Seit 1980 hat sich etwa der Güterverkehr fast verdoppelt, die Anzahl Autos auch. Autobahnkilometer gibt es heute zweimal so viel wie zu Beginn der Achtziger. Ein Ende ist nicht in Sicht. In seinen Prognosen geht der Bund von weiterem Wachstum aus. 

Freizeitverkehr nimmt weiter zu

Das Bundesamt für Raumentwicklung hat die Verkehrsperspektiven bis 2040 in mehreren Szenarien berechnet. Darin wird deutlich, dass ein Ende des Verkehrswachstums nicht absehbar ist. Zwar nimmt der Verkehr nicht gleich stark zu wie bisher, aber doch beachtlich: Von einem Plus von 25 Prozent im Personenverkehr und von 37 Prozent im Güterverkehr bis 2040 ist die Rede. Um satte 32 Prozent sollen die Freizeitwege zunehmen.

Schon heute ist die Freizeit der häufigste Grund für Schweizer, sich fortzubewegen. Künftig wird sich die Differenz zwischen Freizeit- und Arbeitsverkehr noch vergrössern. Für die Zunahme im Freizeitverkehr macht der Bund demografische Faktoren verantwortlich: Der sinkende Anteil Erwerbstätiger und die mobilen Rentner treiben das Wachstum an. 

 

37 km legte eine Person 2015 allein in der Schweiz im Schnitt pro Tag zurück. 1994 waren es noch sechs Kilometer weniger.

 

Wohin führt das? Sorgen sind berechtigt, zumal die Verkehrssysteme heute schon überlastet sind. «Es gibt tatsächlich noch viel zu tun», sagt denn auch Christoph Schreyer, Leiter Mobilität beim Bundesamt für Energie (BFE). Das starke Wachstum des Verkehrs sei ein Problem, denn viel Energie werde dabei verbraucht, und allerhand Ärgernisse wie Stau, Lärm, Luftverschmutzung und CO2-Ausstoss seien damit verbunden. «Unsere Devise ist: mehr Mobilität mit weniger Verkehr.» Die Menschen in ihrer Bewegungsfreiheit einzuschränken könne kein Ziel sein, die Effizienz zu steigern sehr wohl. 

Lieber im Stau stehen

Dafür gibt es verschiedene Ansätze. Ein wichtiges Element der Schweizer Verkehrspolitik sei zunächst die Verlagerung auf den öffentlichen Verkehr. Es gelte zudem, die Spitzenzeiten zu glätten – von der steigenden Flexibilität in der digitalisierten Dienstleistungsgesellschaft verspricht man sich dabei viel. Der Bund hat dafür zahlreiche Pilotprojekte in Angriff genommen. Man versuche etwa mit dem Projekt Village Office, sogenannte Coworking-Spaces, gemeinsam genutzte Büroräume, in ländlichen Gebieten einzuführen, um lange Pendelwege zu verkürzen. Mit SchweizMobil hat man einen Anreiz geschaffen, die Freizeit in der Nähe zu verbringen. 

 

«Die Bereitschaft für Veränderung ist heute anscheinend noch nicht da.»

Christoph Schreyer, Leiter Mobilität beim Bundesamt für Energie

 

Dabei muss das BFE jedoch auch Misserfolge hinnehmen, wie Schreyer erzählt. So habe man letztes Jahr eine Offensive für Fahrgemeinschaften gestartet. Die Idee war, eine gemeinsame Plattform zu lancieren, um die Auslastung von Autos Carpooling «Fahrgemeinschaften haben sehr grosses Potenzial» in den Stosszeiten zu erhöhen. Denn dort gibt es riesiges Einsparpotenzial, heute sind auf dem Arbeitsweg im Schnitt nur 1,1 Personen pro Fahrzeug unterwegs. Viele Firmen glaubten jedoch nicht daran, dass so etwas funktionieren könne. «Das hat bestätigt, dass solche Initiativen oft nur dann fruchten, wenn der Leidensdruck genügend gross ist, etwa wenn es zu wenig Parkplätze gibt. Die Bereitschaft für Veränderung ist heute anscheinend noch nicht da», so Schreyer. Die Leute stünden offensichtlich lieber im Stau, als etwas Flexibilität zu verlieren. «Mobility-Pricing, eine flexible Preisgestaltung im Verkehr, um die Spitzen zu brechen, wäre eine Lösung auf politischer Ebene, da sind sich eigentlich alle einig. Aber die Akzeptanz, beim Preis zu schrauben, ist zu klein, um mehrheitsfähig zu sein.» 

Das Gleiche zeigt sich beim Luftverkehr: Das Prinzip Freiwilligkeit funktioniert nicht. Zwar zeigt eine repräsentative Umfrage im Auftrag der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES), dass die Bevölkerung bereit wäre, einen angemessenen Aufpreis zu zahlen – zum Beispiel 50 Franken für einen innereuropäischen Flug. Aber: Schon lange können Flugreisende eigentlich über die Organisation Myclimate einen freiwilligen Beitrag zum Klimaschutz Klimaschutz CO2 reduzieren – in der Schweiz oder im Ausland? leisten. Wie die «NZZ am Sonntag» berichtete, entscheiden sich aber weniger als ein Prozent aller Passagiere, dies tatsächlich zu tun. «Ein regulatorischer Eingriff wäre deshalb dringend nötig», sagt Florian Brunner von der SES. 

Weniger Lastwagen in den Alpen

Dass politische Massnahmen etwas bewirken können, zeigt das Beispiel der Verlagerung des Güterverkehrs Verkehrspolitik Der Tunnelblick müsste nicht sein auf die Schiene. Seit 2001 fahren immer weniger Lastwagen durch die Alpen. «Als Folge der Alpeninitiative wurde unter anderem die Schwerverkehrsabgabe als Lenkungsmassnahme eingeführt – mit sichtbarem Effekt auf die Anzahl alpenquerender Fahrten», zeigt sich Christoph Schreyer vom BFE erfreut.

Ein wesentlicher Faktor für die Zunahme des Flugverkehrs ist der Preis, so Florian Brunner: «Fliegen ist wegen der internationalen Steuerbefreiung beim Treibstoff schlicht zu billig, und die Flugpreise decken die externen Kosten, also die Schäden an der Umwelt, nicht.» Die Klimakosten, die von der Allgemeinheit oder von zukünftigen Generationen getragen werden, beliefen sich allein 2015 für die Schweiz auf 825 Millionen Franken. Mit zahlreichen Vorstössen versuchten Politiker, Abgaben auf Flugtickets und Massnahmen zur Verminderung der Klimaschäden durch den Luftverkehr einzuführen. Bisher weitgehend erfolglos. 

 

«Fliegen ist wegen der internationalen Steuerbefreiung beim Treibstoff schlicht zu billig.»

Florian Brunner, Schweizerische Energie-Stiftung SES

 

Was unternimmt der Bund, um dieses Problem einzudämmen? Urs Holderegger, Mediensprecher des Bundesamts für Zivilluftfahrt (Bazl), bestätigt, dass man ob des grossen Wachstums in Europa und insbesondere in der Schweiz langsam an Kapazitätsgrenzen stosse. Nur schon rein physisch, weil es nicht unendlich viel Platz für neue Pisten gebe. Um die Effizienz zu steigern und dem Klimawandel zu begegnen, investiere der Bund gemeinsam mit den anderen europäischen Staaten in die Forschung, definiere Richtlinien für ein möglichst sparsames Fliegen und versuche, auf internationaler Ebene Lösungen zu finden. «National können wir nur relativ wenig bewirken, deshalb ist die international vernetzte Zusammenarbeit wichtig.» 

Fluggesellschaften sollen kompensieren

Von einer neuen Massnahme der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation verspricht sich das Bazl einiges: Im Sommer 2018 wurde von dieser Sonderorganisation der Vereinten Nationen ein globaler marktbasierter Mechanismus namens Corsia beschlossen. Als «CO2-neutrales Wachstum» wird das Ziel beschrieben. 

Tatsächlich aber funktioniert das so: Alle teilnehmenden Länder, darunter die Schweiz, verpflichten sich, Treibhausgas-Emissionen zu kompensieren, die über einen bestimmten Wert hinausgehen. Der Mechanismus soll ab 2021 gelten, als Referenz für die Menge der Emissionen gilt das Jahr 2020. Das bedeutet, dass zwar weiterhin durch die Fliegerei CO2 ausgestossen werden darf, die Fluggesellschaften dafür jedoch einen Aufpreis zahlen müssen, um an anderer Stelle Klimaschutzmassnahmen zu finanzieren. 

Ist «grünes Fliegen» eine Illusion?

Bazl-Sprecher Urs Holderegger sagt, die Auswirkungen seien heute noch schwer vorauszusagen: «Klar wird das auf den Preis einen Einfluss haben. Aber die Fluggesellschaften sind dynamisch in ihrer Anpassung, und es ist gut möglich, dass sich an anderer Stelle etwas einsparen lässt und die Konsumenten das auf dem Ticketpreis nicht zu spüren bekommen.» 

Was das Abkommen Corsia tatsächlich bringen wird, ist umstritten. Florian Brunner von der SES gibt zu bedenken: «Eine globale Lösung wäre zu begrüssen. Doch bei Corsia müssen die Emissionen nicht reduziert, sondern lediglich teilweise kompensiert werden. Betroffen ist nur der Emissionszuwachs ab 2020, also nur ein Bruchteil dessen, was ausgestossen wird. Und dies erst noch auf freiwilliger Basis. Das ist klar ungenügend.»

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Tina Berg, Redaktorin
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