Aufgezeichnet von Thomas Schlittler:

Ich bin in Thüringen aufgewachsen und habe eine Lehre als Koch gemacht. Mit einem solchen Handwerk lässt sich in Ostdeutschland leider kaum noch Geld verdienen. Vor zwölf Jahren habe ich mich deshalb nach einer Alternative umgeschaut und bin zusammen mit einem Kumpel in die Kraftwerksreinigung reingerutscht.

Schnell wurde mir klar, dass ich mich vertieft mit der Materie auseinandersetzen muss, wenn ich in dieser Branche vorwärtskommen will. Ich machte Ausbildung um Ausbildung, beschäftigte mich mit den Eigenschaften gefährlicher Stoffe genauso wie mit Verfahren und Techniken der Dekontamination. Heute bin ich Fachkraft für die Dekontamination kerntechnischer Anlagen.

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In Deutschland habe ich beim Rückbau von zwei Kernkraftwerken mitgearbeitet. In Mühleberg war ich jahrelang Teil der Revision und lernte so meinen heutigen Chef kennen. Als das KKW 2019 abgeschaltet wurde und der Rückbau anstand, bot er mir eine Festanstellung an. Ich bin keine Ausnahme: Die Schweiz setzt beim Rückbau des KKW Mühleberg stark auf deutsches Know-how.

Gründliche Dekontamination

Meine Jungs und ich beseitigen bei sämtlichen KKW-Teilen, die zurückgebaut werden, die Spuren von Radioaktivität und anderen Schadstoffen. Auch Asbest ist ein Thema.

Zuletzt waren wir mit einer 2,8 Tonnen schweren Pumpe beschäftigt, die einen Wärmetauscher mit Speisewasser versorgt hatte. Die Kollegen vom Rückbau haben die Pumpe so weit möglich auseinandergenommen. Falls nötig werden Elemente auch zersägt. Im Normalfall übergeben sie uns die abgebauten Teile in 80 mal 120 Zentimeter grossen Boxen.

Jede einzelne Schraube wird geputzt und dekontaminiert. Dafür verwenden wir unterschiedliche Methoden. Einiges wird in Säure eingelegt. Wir haben aber auch eine Muldenband-Strahlanlage, eine Art Waschmaschine für Stahlteile. Wichtige Mittel sind zudem verschiedene Hochdruckgeräte mit einer Leistung von bis zu 3000 bar. Aus ihnen kommt Wasser oder Stahlkies.

«Jeder hat ein Dosimeter bei sich, das die Strahlenbelastung misst»

Tim Matthay, Leiter Materialbearbeitung Atomkraftwerk Mühleberg

Nach der Reinigung wird gemessen, ob die Teile wirklich sauber und dekontaminiert sind. Wenn das Strahlenmessgerät grünes Licht gibt, kann das Material wiederverwendet werden. In fast 90 Prozent der Fälle gelingt uns das.

Falls ein Bauteil auch nach der Reinigung erhöhte Strahlenwerte hat, wird es als radioaktiver Abfall nach Würenlingen ins Zwischenlager transportiert, wo auch die nicht mehr benötigten Brennelemente zwischengelagert werden.

Augenzeuge Tim Matthay, Leiter Materialbearbeitung KKW Mühleberg, vor dem zylinderförmigen Reaktorgebäude

Tim Matthay hat ein entspanntes Verhältnis zur Atomenergie. Trotzdem macht er sich Sorgen um die letztendliche Entsorgung.

Quelle: Nik Hunger

Dass wir Tag für Tag einer erhöhten Strahlenbelastung ausgesetzt sind, beunruhigt mich nicht. Wenn ich ein Problem damit hätte, würde ich den Job nicht machen. Ich fühle mich sehr gut geschützt.

Wenn wir in Kontakt mit radioaktiv belastetem Material kommen, tragen meine Jungs und ich immer eine Schutzausrüstung, die mehrmals täglich gewechselt wird. Zudem hat jeder ein Dosimeter bei sich, das die Strahlenbelastung misst und Alarm schlägt, falls die zulässigen Werte erreicht sind.

Das Problem mit der Entsorgung

Ganz generell habe ich ein entspanntes Verhältnis zur Kernkraft. Meiner Überzeugung nach ist es durchaus möglich, ein KKW gefahrlos zu betreiben – sofern alle Sicherheitsvorschriften strikt eingehalten werden. Das einzige Problem, das ich sehe, ist die Entsorgung. Dass wir noch immer nicht wissen, was mit dem Atommüll letztlich passiert, ist sicher ein Negativpunkt.

Der Rückbauplan in Mühleberg sieht vor, dass bis 2024 alle Brennelemente im Zwischenlager in Würenlingen sind. Bis sämtliche Anlageteile demontiert sind, die mit Radioaktivität in Kontakt gekommen sind, dürfte es bis 2030 dauern. Ich gehe deshalb davon aus, dass ich noch ein paar Jahre in der Schweiz bleiben werde. Ich habe ein tolles Team und eine extrem abwechslungsreiche Aufgabe. Zudem ist mein Job auch finanziell attraktiv – zumindest deutlich attraktiver, als wenn ich in Thüringen Schnitzel klopfen würde.

 

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