Die falsche Polin
Er ist Single, aber weder verzweifelt noch naiv. Trotzdem reist er nach Polen – zu einer Frau, die es gar nicht gibt.
Liebe vernebelt die Sinne, heisst es – und wenn es auch nicht gerade Liebe war, was Oli Keller* da verspürte: Manchmal fragt er sich schon, was los war mit ihm im Sommer 2015.
Sie hiess Gosia und grinste verschmitzt, schwarzes Haar umwallte ihr Gesicht. Fotografin, 32 Jahre alt, zu Hause in Katowice, einer Industriestadt im südpolnischen Schlesien. Ihre Beine waren schlank und unendlich lang, sie liebte Velotouren und danach ein deftiges Essen, und Oli Keller dachte: momoll.
Keller musterte nochmals die junge Fotografin. Dann griff er nach der Computermaus und klickte auf «Gosia direkt kontaktieren».
Ein halbes Jahr nach dem Klick schüttelt er langsam den Kopf und sagt: «Ich habe eigentlich nie geglaubt, dass das wirklich funktionieren würde.»
Warum hat er trotzdem geklickt?
«Aus Gwunder», sagt er. Weil man ja nie wissen könne. Und weil Sommer war – denn im Sommer, sagt der 53- jährige Sanitärfachmann, wird einem jeweils stärker bewusst als sonst, dass man solo ist. Weil dann all die Pärchen wieder draussen sind. Und es einem dann manchmal einen leisen Stich gibt ins Herz vor lauter Alleinsein.
Gwunder und sein Single-Dasein sind es, die den Aargauer an jenem Abend im Sommer 2015 den Computer hochfahren lassen. Keller ist zwar weder scheu noch ein Stubenhocker, im Gegenteil – er ist viel unterwegs und kommt gut an mit seiner Art; er hat Witz und wirkt sympathisch mit seinen Lachfältchen um die Augen. Trotzdem ist er der Richtigen nie begegnet. Also surft er nun durchs Internet, klickt sich von Partnerbörse zu Partnerbörse, denkt plötzlich: Warum nicht in Polen suchen? Er kennt das Land nicht, aber über die Frauen dort hat er schon viel gehört. Attraktiv sollen sie sein, stolz auf ihre Weiblichkeit, herzlich, gebildet, gleichzeitig aber noch eher auf traditionelle Rollenbilder festgelegt als im Westen.
«Sie ging, und ich wusste, ich würde nie mehr von ihr hören. Aber es war mir egal.»
Oli Keller*, Betrugsopfer
Womöglich alles nur Klischees, doch Oli Keller stösst tatsächlich auf eine Unmenge von deutschsprachigen Online-Partnervermittlern, die auf polnische Frauen spezialisiert sind. Das liegt daran, dass diese besonders bei deutschen Männern hoch im Kurs stehen. Laut dem Verband binationaler Familien und Partnerschaften wählten 2014 die meisten Deutschen, die eine Ausländerin heiraten, eine Polin als Partnerin.
In der Schweiz ist das anders. Hier führen deutsche Frauen die Präferenzliste von Schweizer Männern an, die eine Ausländerin heiraten, gefolgt von Frauen aus dem Balkan, Brasilien und Thailand. Oli Keller aber sagt: «Nie wäre ich auf die Idee gekommen, in Südamerika oder Südostasien zu schauen, ob ich jemanden kennenlerne. Viel zu kompliziert. Schon wegen des Papierkrams.» Polen ist da einfacher: Dank EU-Mitgliedschaft und Personenfreizügigkeit entfallen mühsame Visa-Geschichten.
Beim Partnervermittler «Herzblatt» bleibt der 53-Jährige schliesslich hängen. Die Internetadresse hat eine polnische Endung, doch die Site ist auf Deutsch gehalten – sie ist der Ort, so liest Keller, wo «polnische Prinzessinnen ihren Prinzen suchen». Die Website gefällt ihm. Den Frauen, die in der «Damengalerie» abgebildet sind, fehlt alles Anrüchige und Halbseidene, im Grunde wirken sie wie Oli Keller: sympathisch, allein und gwundrig.
Besonders von Gosia ist er angetan. Als «zärtliche, verlässliche und treue polnische Frau» beschreibt sie sich. Keller lädt ein Porträtbild von sich hoch, gibt seine Handynummer an, schickt Gosia eine Nachricht und freut sich, als zwei Tage später eine Antwort von ihr eintrifft. Sie schreibt auf Deutsch, er schreibt zurück, sie meldet sich wieder. Nette Floskeln, nicht viel mehr. Dann ruft plötzlich ein Herr Müller von der Partnervermittlung an.
«Die Stimme klang nach einem älteren Herrn, er sprach mit bayrischem Akzent, wirkte vertrauenswürdig», erinnert sich Keller. «Er sagte, Gosia habe sich im Büro seiner Agentur gemeldet und von mir vorgeschwärmt. Sie würde mich gern kennenlernen.»
Keller ist misstrauisch. Herzblatt verlangt für die Vermittlungstätigkeit eine Grundgebühr von 370 Euro und für jedes Treffen mit einer «polnischen Prinzessin» zusätzliche 90 Euro. Das Date mit Gosia kostet also schon mal 460 Euro, ganz egal, wie es ausgeht – und ohne die Reisekosten miteinzurechnen. «Ich sagte einfach immer, im Voraus zahle ich nichts», sagt Keller. «Für Müller ging das in Ordnung. Das hat meine Bedenken zerstreut. Niemand drängte auf das Geld.»
Am 10. Juli 2015 landet Oli Keller kurz nach Mittag in Breslau und checkt ein im Hotel, das Herr Müller für ihn reserviert hat, «Mercure Centrum», vier Sterne.
An der Réception hat er das Gefühl, mitleidiges Lächeln zu ernten.
Kurz vor seinem Date mit Gosia erhält der Sanitärfachmann im Hotel Besuch einer Angestellten von Herzblatt. Sie kommt, um die Gebühr einzuziehen – erst dann kann das Treffen mit der dunkelhaarigen Fotografin stattfinden. Dem 53-Jährigen macht es nichts aus, nun doch im Voraus zu zahlen; sein Date steht ja gleich bevor.
Er wartet in der Lounge des Hotels auf seine Verabredung. Die Frau, die sich dann zu ihm an den Tisch setzt, ist pünktlich, und dunkle Haare hat sie auch. Aber Gosia ist das nicht.
Schulterzuckend sagt Keller heute: «In diesem Moment begriff ich, dass ich hereingelegt worden war. Die hatten einfach eine andere aufgeboten, um mit mir einen Kaffee zu trinken.» Er gibt zwar noch nicht ganz auf, die falsche Gosia gefällt ihm. Sie ist sympathisch, ihr Deutsch ist gut, man unterhält sich ganz nett. Nach einer Stunde allerdings muss sie plötzlich aufbrechen. «Sie ging, und ich wusste, ich würde nie wieder etwas von ihr hören», sagt Keller. «Es war mir egal. Ich war einfach nur noch wütend, dass ich auf so etwas reingefallen war.»
«Ich war einfach nur wütend, dass ich auf so etwas reingefallen war.»
Oli Keller*, Betrugsopfer
Wäre er verzweifelter auf der Suche nach der Liebe gewesen, vermutet Keller, hätte ihn das alles wohl ziemlich mitgenommen. Doch er macht in Breslau das Beste aus seiner Situation: Er sieht sich die Stadt an, geht in den Ausgang. Und ist noch immer gwundrig. Für den folgenden Tag hat er auf Anraten Herrn Müllers nämlich zwei weitere Dates vereinbart: mit Liza und Katarzyna. «Nach dem ersten Reinfall erhoffte ich mir von diesen Treffen nichts mehr», sagt er. «Aber ich wollte schauen, wie sie verlaufen.»
Sie verlaufen noch unerfreulicher als das Rendez-vous mit der falschen Gosia. Bei der angeblichen Liza stimmt nicht einmal mehr die Haarfarbe mit den Bildern im Internet überein. Und Katarzyna schlägt er in die Flucht, als er bei ihrem Auftauchen sagt, er habe genug von diesen falschen Dates, er hole nun die Polizei.
Immerhin findet Oli Keller in Gesprächen mit den Frauen einiges über die Arbeitsweise der Partnervermittlung heraus. «Die Frauen, die ich getroffen habe, suchen keinen Mann», sagt er. «Sie bekommen ein Taschengeld dafür, dass sie mit Westlern eine Stunde ins Café sitzen. Den Rest des Geldes, das die Kunden bezahlen, kassiert sonst jemand ein.»
Wer das ist, lässt sich nicht eruieren. Keller hat keinen Namen, hat kein schriftliches Dokument, keinen Vertrag, keine Quittungen, nur Telefonnummern, unter denen er weder den ominösen Herrn Müller noch sonst jemanden erreicht. «Die perfekte Abzocke», sagt er. Eine Erkenntnis, die ihn über 600 Euro gekostet hat, Flug und Hotel nicht mitgerechnet.
Von Online-Partnerbörsen hat Oli Keller sich seither ferngehalten. Er braucht sie auch nicht mehr – seit Herbst ist er glücklich liiert. Kennengelernt hat er seine Freundin an einem Ort, der dem Internet nicht ferner sein könnte: an einem Alpabzug.
*Name geändert
Text: Markus Föhn
Illustration: Thilo Rothacker