Die Sammlung erinnert an Panini-Fussballbildchen, die man sich früher ins Album klebte. Nur heissen die Begehrten nicht Lothar, Shaqiri oder Cristiano, sondern Luna73, Häxli oder KuschelKevin. Eine Onlinegalerie der Versuchungen, empfohlen vom Datingportal. Hinter jedem Bildchen soll ein Mensch aus Fleisch und Blut stecken, der den eigenen Vorlieben entspricht. Die oder der Richtige für eine Nacht oder für ein ganzes Leben, je nach Verkupplungsinstitut.

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Die Portale sehen sich als Alternative zu frustrierenden Klub- und Barbesuchen, die angetrunken enden – aber allein im Bett. Sie wollen das Vorturnen im Fitnessklub ebenso ersetzen wie die Anmache am Fotokopierer – beschmunzelt von Arbeitskollegen.

Gegen Geld vermitteln die Onlineverkuppler Profile, die sich jederzeit und überall für einen Chat anstupsen oder anmailen lassen. Keiner braucht sich aufzubrezeln, es funktioniert auch in Unterhosen am Esstisch.

Rund 1,2 Millionen Profile sind in der Schweiz aktiv. Vor 13 Jahren waren es 100'000. So zumindest die Hochrechnungen von Metaflake, einer Kölner Firma mit Büros in London und Wattwil, die auf www.singleboersen-vergleich.ch Datingportale bewertet.

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20 bis 80 Franken kostet ein Datingabo pro Monat, je nach Anbieter und Abodauer. Reine Sexportale sind für Frauen zum Teil gratis. Sie sollen zahlungswillige Männer anlocken. Allein in der Schweiz erwirtschafteten die Onlineverkuppler 2014 einen Umsatz von 37,6 Millionen Franken. Das sind sieben Prozent mehr als im Vorjahr.

Dann der GAU: Im August 2015 stellen Hacker die Daten von 32 Millionen Fremdgehern des Datingportals Ashley Madison ins Web: Namen, Adressen, sexuelle Vorlieben, Kreditkartennummern, Passwörter. 56'000 so Entblösste sollen Schweizer sein.

Die Männer flirteten mit Maschinen

Ein weit pikanterer Skandal kam zeitgleich: Über 90 Prozent der Nutzer sind Männer. Und der Grossteil der wenigen weiblichen Profile war erfunden. Die Cyberladys gaben computergenerierte Antworten. Kurz: Die Männer flirteten mit Maschinen.

Dass Verkuppler skrupellos geschäften und Männer im Hormonrausch simpel ticken, ist nicht ganz neu. Dass sie dafür vor der Weltöffentlichkeit geoutet werden, schon. Wird Ashley Madison dem Onlinedating-Markt also einen Dämpfer verpassen? «Dafür sehen wir keine Anzeichen. Selbst Ashley Madison geschäftet weiter, als wäre nichts gewesen», sagt Daniel Baltzer von Metaflake. Viele Nutzer seien ziemlich lernresistent, wenn es um die Sicherheit ihrer Daten gehe.

Dass Männer mit gefälschten Profilen angelockt werden, kommt laut Baltzer vor allem bei neuen und sehr kleinen Anbietern vor. «Ein Portal zieht männliche Nutzer nur an, wenn es viele weibliche Profile hat. Wer neu auf den Markt geht, wird darum oft der Versuchung erliegen, das Geschäft mit Fake-Profilen anzukurbeln.»

Eine Falle: das schwer kündbare Abo

Beim Beobachter beschweren sich die meisten Nutzer aus einem anderen Grund: Abofallen. Auslaufende Mitgliedschaften erneuern sich gemäss den AGB meist automatisch. Oft müsste sogar mehrere Wochen zuvor gekündigt werden. Doch mit solchen Vertragsbestimmungen können die Anbieter das jederzeitige Kündigungsrecht nicht ausser Kraft setzen, denn dieses ist nach Schweizer Recht zwingend. Kunden können folglich jederzeit künden, ungeachtet von vertraglichen Fristen. Trotzdem versuchen auch etablierte Anbieter wie ElitePartner oder Parship immer wieder, trotz Kündigung den vollen Betrag einzutreiben.

Den grösseren Schaden aber richten Kriminelle an, die es mit gefakten Profilen auf die Bankkonten der Nutzerinnen abgesehen haben. Die sogenannten Love- oder Romance-Scammer sind digitale Heiratsschwindler, die meist Singlefrauen mittleren Alters ins Visier nehmen. Die Masche läuft immer nach demselben Muster ab: Über gefälschte Profile gaukeln attraktive Männer den Frauen Liebesgefühle vor. Dann inszenieren sie ein Unglück oder eine Krankheit und bringen die Frauen dazu, ihnen mit Geldüberweisungen aus der Patsche zu helfen.

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Das Beobachter Love-Street-Game: Hätten Sie's gewusst?

Hinter dem Love-Scam stecken meist Unternehmen in Nigeria, Ghana und Elfenbeinküste, die den Betrug zu einem Millionengeschäft ausgebaut haben. Allein in Deutschland werden jährlich rund 8000 Love-Scam-Fälle der Polizei gemeldet.

Solche Risiken und Nebenwirkungen schrecken Liebestolle aber nicht ab. Sonst würden nicht 1,2 Millionen Schweizer online nach einem Gegenüber suchen. Doch in der Schweiz leben nur rund 1,5 Millionen Singles. Sind also schon fast alle mit einem Internetprofil unterwegs?

Nicht hinter jedem Profil steckt eine andere Person. «Manche Suchenden sind gleich auf mehreren Plattformen unterwegs, einige sogar mit mehreren Profilen. Hinzu kommen Profile, die zwar noch angezeigt werden, aber kaum mehr aktiv sind», sagt Daniel Baltzer von Metaflake. Die Personen hätten ihr Profil selber noch nicht gelöscht, oder unseriöse Anbieter täten dies nicht, um mit dem Profil weiterhin Kunden anzulocken.

Neben Singles suchen aber auch «Vergebene» nach einem Date. Männer geben bei Umfragen unbefriedigenden Sex als Grund an, Frauen eher mangelnde Aufmerksamkeit und fehlende Kommunikation.

Tragen Sie Shorts oder Tangas?

Warum vorgeschlagene Profile überhaupt zu einem passen sollen, bleibt das Geheimnis der Datingportale. Klar ist: Sie arbeiten – wie alle Firmen, die den Datenwust zu Geld machen – mit einem Algorithmus. Das ist ein Rezept mit Handlungsanweisungen, wie ein Problem gelöst werden soll. Das Problem: Wer passt zu wem? Die Handlungsanweisung: Finde gemeinsame Vorlieben und Vorstellungen. Ein Programm wertet aus, was Suchende am Computer eingegeben haben. Passen die Angaben zusammen, ergibt das einen «Match» (Treffer).

Wie raffiniert die Matches generiert werden, lässt sich anhand der Eingabemöglichkeiten etwas erahnen. Bei der Vermittlung von Sexpartnern ohne weitere Verpflichtungen, dem sogenannten Casual Dating, sind diese meist beschränkt auf Alter, Körpermasse, Haarfarbe, Sexpraktiken. Hinzu kommt eine Auswahl vorgefertigter Antworten auf wenig geistreiche Fragen. Etwa wem man erzählt, dass man sich auf dem Portal angemeldet hat, ob Liebe und Sex unterschiedliche Dinge sind und welche Unterhosen man bevorzugt: Shorts, Slips oder Tangas.

Klassische Partnervermittler wollen Suchende differenzierter erfassen. Sie gewichten auch die Ausbildung, den Beruf, Hobbys, Charaktereigenschaften, Werte und Wünsche.

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Einen anderen Ansatz verfolgt die bei Jüngeren beliebte Dating-App Tinder. Zugang erhält nur, wer ein Facebook-Profil hat und dieses bei Tinder freischaltet. So erhält die Firma Zugriff auf Bilder, Kontakte und Likes, die man auf Facebook gepostet hat. Aber auch die Koordinaten, wo man sich gerade aufhält. Noch problematischer ist: Tinder wird ermächtigt, die Facebook-Daten auch Dritten zur Verfügung zu stellen, der Nutzer gibt seine Daten vollständig aus der Hand.

Dafür werden ihm Fotos von Personen aus seiner Umgebung auf das Handy geschickt. Falls ihm eine nicht gefällt, wischt er sie nach links weg, falls er sie kontaktieren will, nach rechts. Haben sich zwei Personen nach rechts gewischt, ergibt sich ein Match. Die beiden können sich kontaktieren.

Gleichgesinnt, aber doch verschieden

Allen Datinganbietern gemeinsam ist eine Grundannahme: Gleich und Gleich gesellt sich gern. Doch das Mantra der Paarforschung könnte falsch sein. Darauf deuten zumindest neuere psychologische Untersuchungen hin. So zeigte eine Befragung von 10'000 verheirateten Paaren, dass bei fast zwei Dritteln eher unähnliche Persönlichkeiten zusammengefunden haben. Andere Studien legen nahe, dass es zwischen Partnern eher funkt, wenn sie glauben, sich ähnlich zu sein – auch wenn sie es überhaupt nicht sind. Vermeintliche Gemeinsamkeiten sollen es ihnen erleichtern, sich überhaupt näherzukommen.

Weil genau dies das Ziel der Vermittler ist, dürfte das Ähnlichkeits-Matching der bestimmende Algorithmus bleiben. Immerhin stiften die Plattformen so auch reales Liebesglück – nicht nur für eine Nacht. Wie viel, ist umstritten. Laut der britischen Uni Oxford knisterte es bei 15 Prozent der befragten Paare in 17 Ländern zum ersten Mal am Bildschirm: beim Onlinedaten. Das deutsche Allensbach-Institut dagegen hat in einer Umfrage nur zwei Prozent Paare gefunden, die sich online kennenlernten.

Einige Suchende werden so oder so nie einen echten Partner finden, obwohl sie permanent online flirten. «Sie haben schlicht Angst vor dem Meat-Space, der fleischgewordenen Welt», umschreibt es Daniel Baltzer. Es sind Leute, die den Sprung aus der Online- in die Offlinewelt nicht mehr schaffen. «Immer wenn ein reales Treffen ansteht, machen sie einen Rückzieher.» Ein neuer Markt für Psychotherapie.

Beliebt: neue Liebe am Arbeitsplatz

Die Branche dürfte weiter wachsen und auf Spezialisierung setzen. Alleinerziehende und Mollige haben bereits eigene Verkupplungsportale. Und wer nicht mehr als kuscheln will, findet mit Spoonr sogar für die Löffelchenstellung eine spezielle Dating-App.

Was aber ist mit Schichtarbeitern? «Ein Angebot für Menschen, die unregelmässig arbeiten, zum Beispiel im Gesundheitswesen, hat sicher noch Potenzial», so Baltzer.

Deutschland ist da einen Schritt weiter. Mit Polizeisingles.de, Baeckersingles.de, Mediasingles.de oder Engineer4you.net setzt die Firma Jobsingles voll auf die berufliche Verkupplung. Wissenschaftler haben für diesen Trend einen Namen bereit: Homogamie – wenn sich Paare immer mehr gleichen.

Wem dabei die Lust vergeht, der hat bislang noch ein paar Offline-Alternativen: die Bar, den Fitnessklub und den Fotokopierer im Büro

Autor: Peter Johannes Meier
Infografiken: Anne Seeger
Illustration: Thilo Rothacker