Der neue Pfarrer will den alten vertreiben
In der reformierten Kirchgemeinde Brig brodelt es. Der neue Pfarrer will den alten verbannen – und die Rechte der Kirchgemeinden demontieren.
Veröffentlicht am 2. August 2019 - 11:56 Uhr
Seit der reformierte Pfarrer von Brig im Amt ist, ist die Glaubensgemeinde gespalten. Anlass sind schwere Zerwürfnisse zwischen ihm, Mitgliedern der Kirchgemeinde und insbesondere seinem Vorgänger.
Wer nun denkt, der alte Pfarrer habe nicht loslassen können, denkt falsch. «Um dem Neuen alle Freiheiten zu lassen, gaben ich und meine Frau alle unsere Funktionen ab», sagt der pensionierte Pfarrer, Reinhard Frische. Seine Predigten waren so beliebt, dass selbst Katholiken in seine Gottesdienste kamen. «Wir wollten aber weiter in Brig, unserer Heimat, leben. Das war mit dem Kirchgemeinderat so abgesprochen.»
Dass sein Vorgänger noch immer in Brig wohnt und einfaches Mitglied der Kirchgemeinde ist, war dem Neuen von Anfang an ein Dorn im Auge. Es sei ein «ungeschriebenes Gesetz», dass der alte Pfarrer seine Gemeinde verlasse, sagte Daniel Rüegg. «Frische hat hier nichts verloren, er muss weg.»
Die beiden Gottesmänner könnten unterschiedlicher nicht sein. Auf der einen Seite der intellektuelle Theologe Reinhard Frische, 70, eloquent, weltoffen, gross gewachsen. Auf der anderen der ehemalige Schreiner Daniel Niklaus Rüegg, 49. Einst Schüler des andern, eher klein von Statur. Der selbst die Begrüssungsworte an seine Gemeinde beim Gottesdienst vom Blatt abliest und als Lutherisch-Konservativer das Prädikat weltoffen nicht verdient. Der sich im Gespräch weigerte, dem Beobachter seine Mailadresse mitzuteilen, weil er «nichts schriftlich geben will», und jegliche Stellungnahme verweigert.
Im August 2014 trat Daniel Rüegg seine neue Stelle in Brig an. «Wir hatten ihm und seiner Familie unsere volle Unterstützung zugesichert», erzählen Reinhard Frische und seine Frau Liv. Schon bald wurde klar, dass der Neue ihm deutlich weniger Wohlwollen entgegenbrachte. «Es schien, als wolle er alles schlechtmachen und eliminieren, was mit uns zu tun hatte. Wir hatten beispielsweise mit den Kindern und den Jugendlichen mit einer leicht verständlichen Jugendbibel gearbeitet», erzählt Liv Frische. «Pfarrer Rüegg verbot die moderne Übersetzung und liess nur noch die Lutherbibel zu.» Zudem habe er ihr untersagt, den Kinderchor, den sie geleitet hatte, auch nur zu besuchen.
«Im Wallis haben wir Reformierten einen Anteil von zwei, drei Prozent. Umso enger sollten wir zusammenhalten.»
Reinhard Frische, ehemaliger reformierter Pfarrer von Brig
Die Animositäten zu spüren bekam auch das langjährige Abwartsehepaar Manuela Kappenberg und Marcellus Pillen. Als Angestellte der Kirchgemeinden gehörten sie nicht in den Kompetenzbereich des Pfarrers. Dennoch mischte er sich fast täglich in ihre Arbeit ein, verbot dem Abwart sogar, für die Seniorengruppe hinter den Grill zu stehen. «Ich kündigte nach einem halben Jahr, weil ich die allgegenwärtige Kontrolle von Pfarrer Rüegg und das konstante Schlechtmachen unserer Arbeit nicht mehr ertrug», sagt Manuela Kappenberg.
Ihr Mann Marcellus Pillen hielt durch. André Lüthi, damals Kirchgemeindepräsident, versuchte zu vermitteln und dem Abwart den Rücken zu stärken. «Schliesslich war er ja unser Angestellter und nicht der des Pfarrers.» Trotzdem endete das Ganze im Fiasko. Marcellus Pillen musste sich in psychologische Pflege begeben und kündigte. Doch Rüegg machte den ehemaligen Abwart vor Dritten weiterhin schlecht. Ein Jahr nach dessen Kündigung sah sich die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde Kesb deshalb genötigt, sich einzumischen. Sie bat den Kirchgemeinderat, dafür zu sorgen, dass Rüegg die Belästigungen unterlasse.
Bald war die Gemeinde hoffnungslos gespalten. «Statt der familiären Atmosphäre von früher herrschten Misstrauen und Angst», sagt Manuela Kappenberg. Verschiedene Betroffene berichten, dass Rüegg geradezu kontrollsüchtig sei. Er liess etwa alle Schlösser an Kirche und Kirchgemeindehaus auswechseln und die Tür zu seinem Büro abhörsicher abdichten. Er soll sogar zur Überwachung von Kirchgemeindemitgliedern ein Babyphone in der Küche des Kirchgemeindehauses versteckt haben.
Von Daniel Rüeggs Hang zur Kontrolle weiss man auch in Weisslingen ZH, wo er vorher Pfarrer war. Auch dort hatte er die Gemeinde gespalten. Insbesondere Unklarheiten über die Kompetenzen des Pfarramtes und der Kirchenpflege hätten zu Konflikten und Rücktritten geführt, sagte die damalige Kirchenpflegepräsidentin zum «Zürcher Oberländer». «Sein wenig zeitgemässes Verständnis vom Pfarramt ist das einer Herrschaft, durchaus mit einem absolutistischen Anspruch», sagt ein ehemaliges Mitglied der Kirchgemeinde.
Den Brigern verschwieg er das Zerwürfnis in Weisslingen, das mit dem Rücktritt fast der gesamten Kirchenpflege geendet hatte. Sie entdeckten den Zeitungsartikel erst 15 Monate nach Rüeggs Amtsantritt. «Wir hätten ihn sonst nie eingestellt», sagt André Lüthi.
«Mein Vorgänger Frische hat hier nichts verloren. Er muss weg.»
Daniel Rüegg, reformierter Pfarrer
Die Sticheleien gegen das Ehepaar Frische, das dem Pfarrer wiederholt Unterstützung und Freundschaft angeboten hatte, gingen weiter. Rüegg beschwerte sich sogar beim Synodalrat, weil Frisches ab und an als normale Kirchgänger am Gottesdienst teilnahmen.
Bereits ein Jahr nach Rüeggs Amtsantritt war der Kirchgemeinderat wegen Kündigungen handlungsunfähig. Der Synodalrat versuchte sich als Schlichter. Doch der neue Pfarrer boykottierte alle Versuche, die Parteien zusammenzubringen. Eine vom Kirchgemeinderat gewünschte Mediation lehnte der Synodalrat kurzerhand ab. Schliesslich legte Präsident André Lüthi das Amt nieder: «Ich konnte die Attacken von Rüegg nicht mehr ertragen und war schrecklich frustriert.»
Zwar schrieb der Präsident des Synodalrats, Robert Burri, an den ehemaligen Pfarrer Frische: «Ich beobachte, dass die Kirchgemeinde in Brig dabei ist, zu implodieren.» Trotzdem passierte nichts. Ein von 29 Mitgliedern unterzeichneter Brief mit der Bitte um eine Aussprache wurde ebenso ignoriert wie drei Dienstaufsichtsklagen gegen Pfarrer Rüegg an die Adresse des neu formierten Kirchgemeinderats und des Synodalrats, denen Rüegg ebenfalls angehörte.
Die Situation wurde immer grotesker. Der Neue sprach in seinen Predigten von seinen «Gegnern», die «eine Gefahr für die Kirche» seien. Das Ehepaar Kappenberg-Pillen wurde von der Kirchgemeindeversammlung ausgesperrt, obwohl Marcellus Pillen nach wie vor angestellt war. Die Polizei holte den früheren Präsidenten André Lüthi aus seiner Wohnung ab und eskortierte ihn zur Räumung seiner Effekten im Büro der Kirche. Kurz darauf zeigte Pfarrer Rüegg ihn wegen «übler Nachrede, Beschimpfung und Ehrverletzung » an – weil dieser in seinem letzten Jahresbericht seine Sicht der Briger Krise dargelegt hatte. Das Verfahren ist hängig.
Zwei Jahre nach Rüeggs Amtsantritt waren rund 20 angestellte, gewählte und ehrenamtliche Mitglieder aus der Kirchgemeinde ausgetreten . Über ein Drittel der Kirchgänger blieb den Gottesdiensten fern.
Reinhard Frische gelangte an den Synodalrat und an die Rekurskommission der Evangelisch-reformierten Kirche Wallis (ERKW). Er bat auch sie um die Aufarbeitung der Vorfälle. «Trotz allem Erlittenen ging und geht es uns in erster Linie um die Wiederherstellung der Gemeinschaft», betont das Ehepaar. Die Reformierten im Wallis sind mit einem Bevölkerungsanteil von zwei bis drei Prozent in der Diaspora. «Umso enger sollten wir zusammenhalten.» Obwohl die Rekurskommission entschied, man solle Frisches wieder den Zugang zur Kirche gewähren, foutiert sich der Kirchgemeinderat bis heute darum.
Die Retourkutsche von Pfarrer Rüegg liess nicht lange auf sich warten. Er zeigte Frisches wegen Nötigung und Drohung an. Beide Straftatbestände sah der Staatsanwalt als nicht ansatzweise für gegeben. Er brummte Rüegg und seiner Gefolgschaft wegen Aussichtslosigkeit der Anzeige sogar die Verfahrenskosten auf.
Als Nächstes flatterte Frisches eine Anzeige wegen Hausfriedensbruchs ins Haus. Der Kirchgemeinderat hatte im Februar 2017 ein formelles Hausverbot gegen sie verhängt, das die beiden jedoch ignoriert hatten. Das Kantonsgericht stellte das Verfahren ein. Das Hausverbot sei weder formell noch materiell begründet. Auch der Rekurs der Kläger gegen diesen Entscheid wurde vom Kantonsgericht abgewiesen. Kirchenrechtlich existiert ebenfalls keine Grundlage für das formelle Hausverbot.
Geändert hat sich bis heute nichts. Frisches, die seit über zwei Jahren an keiner Veranstaltung ihrer Kirche mehr teilgenommen haben, sind weiterhin unerwünscht. «Wir werden nicht nur um die Möglichkeit gebracht, an Gottesdiensten und am religiösen Gemeindeleben unserer Gemeinde teilzuhaben. Auch unsere demokratischen Grundrechte werden uns verwehrt. Sogar an der Teilnahme an den statutarischen Kirchgemeindeversammlungen wurden wir unter Androhung von polizeilicher Gewalt gehindert», sagt Reinhard Frische. Im November letzten Jahres haben die beiden deshalb eine Strafanzeige gegen den amtierenden Kirchgemeinderat und Pfarrer Rüegg eingereicht. Wegen Eingriffs in das Stimm- und Wahlrecht.
Mittlerweile beschäftigt sich auch die Synode der Reformierten Kirche Wallis mit der Angelegenheit. Auf Antrag von Pfarrer Rüegg und seinen Kollegen im Synodalrat soll das Kirchenrecht auf den Kopf gestellt werden: Gegen 30 Artikel in den Statuten der ERKW sollen so geändert oder ergänzt werden, dass sie die Rechte der reformierten Walliser Kirchgemeinden beschneiden. Die Autonomie der Kirchgemeinden wie auch die gesetzlich geforderte Gewaltentrennung werden dadurch ausgehöhlt. In erster Lesung stimmte die Synode allen Änderungen zu.
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9 Kommentare
1. Es gibt ein ungeschriebenes Gesetz, dass der bisherige Pfarrer bei einer Neubesetzung die Gemeinde verlassen soll. Genau aus den Gründen, die hier ua zum Konflikt geführt haben. 2. Mutet es sehr seltsam an, dass der Beobachter eine Gegendarstellung verweigert. Der Artikel ist einfach nur einseitig.
Der Kirchgemeinderat Brig und der Synodalrat der Kantonalkirche haben eine offizielle Gegendarstellung verfasst. Beide kirchlichen Behörden betonen übereinstimmend, dass a) der Beobachter beim Abfassen des Berichtes nicht mit ihnen Kontakt aufgenommen hätten b) die Aussagen im Bericht unwahr oder aus dem Zusammenhang gerissen sind c)es den beschriebenen Konflikt in der Kirchgemeinde nicht wirklich gibt d) Pfarrer Rüegg zu ihrer vollsten Zufriedenheit arbeitet.
Der obige Artikel wurde nach bestem Wissen und Gewissen und nach Anhörung aller Seiten im Konflikt erstellt. Dass es zum Thema – je nach persönlicher Einschätzung – unterschiedliche Sichtweisen gibt, liegt in der Natur der Sache. Ein im Forum erwähntes «Gegendarstellungsbegehren» hat der Beobachter aus rechtlichen Gründen abgelehnt.
Danke für Ihre Antwort. Als Aussenstehender kann ich das nur schlecht beurteilen. Ich finde allerdings, man hätte Kirchgemeinderat und Synodalrat kontaktieren sollen, wenn man alle Seiten anhören möchte. Diese beiden Behörden sind Arbeitgeber und weisungsberechtigt für die Arbeit der Pfarrer und sie kennen beide Personen und sind offenbar auch für die im Bericht erwähnten Aktionen verantwortlich, nicht der Pfarrer.
Der neue Pfarrer zeichnet sich durch seine echte Herzlichkeit und empathische Menschlichkeit aus. Nichts von den beschriebenen Missständen scheint mir zutreffend. Ich hoffe sehr, dass unser Pfarrer mit seiner Familie endlich zur Ruhe kommen und diese ewigen Streitereien vergessen kann.
Hm : Echte Herzlichkeit, emphatische Menschlichkeit? Ob das Herr Pillen, Frau Kappenberg, Herr Lüthi und all die anderen Mitarbeiter und Mitglieder, die es in der Kirchgemeinde nicht mehr ausgehalten haben, auch so sehen? Und was ist mit dem Hausverbot, den gegen das Ehepaar Frische unternommenen gerichtlichen Klagen und der "Frische muss weg"-Kampagne? Ist das alles gelogen?
Der Kirchgemeinderat schreibt in seiner Stellungnahme, diese Massnahmen seien verzerrt beschrieben worden, weil nicht auf den Hintergrund eingegangen worden sei. Pfarrer Rüegg hätte aber nichts im Alleingang beschlossen oder unternommen, bei allen Massnahmen hätte es sich um einstimmige Beschlüsse des Kirchgemeinderats gehandelt, ohne dabei auf Einzelheiten oder Namen von Personen einzugehen.
Einseitig
Was wäre denn die "andere Seite"? Der neue Pfarrer hatte doch Gelegenheit, seine Sicht der Dinge ausführlich darzulegen. Warum tat er das nicht? Weshalb fiel ihm nichts ein ausser dem hasserfüllten "Frische muss weg"-Gerede?