Für die fiktive Person Fridolin ist es ein ganz normaler Tag. Was er nicht weiss: Er wird im Verlaufe des Tages noch neun strafrechtlich relevante Vergehen verüben:
6:30 Uhr
Der Wecker piept – zu leise, um hellwach zu werden. Fridolin hilft nach, mit Rockmusik so laut, dass sie auch die Nachbarn aus dem Bett holt. Sollten sie noch schlafen wollen
oder einen anderen Musikgeschmack haben, können sie die Polizei rufen. Und schon droht Fridolin eine Busse. Denn gemäss den meisten kommunalen Polizeiverordnungen gilt bis sieben Uhr
Nachtruhe.
7:24 Uhr
Fridolin verlässt das Haus und schreitet geradewegs über die unbelebte Quartierstrasse. Doch weil der nächste Fussgängerstreifen keine 50 Meter entfernt ist, macht er sich strafbar. Zehn Franken Busse wären fällig
.
7:27 Uhr
Auf dem Weg zur Bushaltestelle spuckt Fridolin auf die Strasse. Das ist nicht überall verboten, doch in einigen Gemeinden gibts dafür Bussen. In Lausanne etwa kostet Spucken 100 Franken, in Zürich 80.
7:29 Uhr
Bei der Busstation angekommen, füttert Fridolin den Altglascontainer, der dort steht. Praktisch, aber: In seiner Wohngemeinde darf man Glas nicht vor acht Uhr entsorgen. Das kann 50 Franken Busse kosten.
7:31 Uhr
Fridolin steigt ohne Billett in den Bus, denn normalerweise fährt er mit dem Velo zur Arbeit. Das Risiko, bei einer Kontrolle den Fahrpreis plus einen Zuschlag von 90 Franken zahlen zu müssen, nimmt er in Kauf. Was er nicht weiss: Das Transportunternehmen könnte einen Strafantrag stellen wegen «Erschleichens einer Leistung». Das gäbe eine Geld- oder eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren. Eintrag im Strafregister inbegriffen.
7:38 Uhr
Am Ziel angekommen, steigt Fridolin aus dem Bus und geht bei Rot über den Fussgängerstreifen. Das kann ihn 20 Franken kosten.
12:28 Uhr
Fridolin hat sich im Büro den ganzen Morgen lang korrekt verhalten. Sogar als ihm ein Kollege aus dem Marketing tierisch auf den Geist ging, blieb er ruhig und anständig. Doch beim Mittagessen zieht er über den Mann her. Der Typ sei ein fauler Sack, schwatze nur dumm und warte lediglich auf seinen Lohn. Das ist üble Nachrede, ein Ehrverletzungsdelikt
, auf das eine Geldstrafe steht – und ein Eintrag im Strafregister. Allerdings nur wenn der Angegriffene innert dreier Monate
Strafantrag stellt.
17:17 Uhr
Feierabend! Doch die Entspannung lässt auf sich warten: Fridolin wird beinahe angefahren von einem unaufmerksamen Automobilisten. Reflexartig zeigt er dem Fahrer den Stinkefinger. Das ist eine Beschimpfung und ebenfalls ein Ehrverletzungsdelikt. Mögliche Folgen: eine Geld- oder Freiheitsstrafe bis 90 Tage und ein Eintrag im Strafregister.
23:15 Uhr
Fridolin geht für einen späten Schlummertrunk in eine Bar. Doch es bleibt nicht bei einem Drink. Als er mit dem Velo heimfährt, leicht schwankend, halten ihn zwei Polizisten auf. Fridolin kassiert eine Busse wegen Führens eines motorlosen Fahrzeugs in fahrunfähigem Zustand. Weil dieses Vergehen nicht in der Ordnungsbussenverordnung gelistet ist, gibt es einen Strafbefehl – und damit happige Verfahrensgebühren
- Batterie im Abfall entsorgen
K. wirft eine Batterie kurzerhand in den Haushaltsmüll .
Delikt: Verletzung der Vorschriften über Abfall → Busse bis 20'000 Franken Art. 61 lit. i Umweltschutzgesetz USG
- Die Neue des Ex abduschen
B. ist bekannt für ihre aufbrausende Art. Bei einer Party wird sie ihrem Ruf wieder einmal gerecht und giesst der neuen Freundin ihres Exfreunds ein Glas Prosecco über den Kopf.
Delikt: Tätlichkeit → Busse, auf Antrag
Art. 126 Strafgesetzbuch (StGB)
- Den Schaden aufpolieren
M. wird das Auto aufgebrochen. Radio, Navi und 300 Franken Bargeld werden gestohlen. M. listet zusätzlich eine Kamera im Wert von 500 Franken auf, die in Wahrheit zu Hause im Schrank liegt. Denn er weiss, dass die Hausratversicherung gestohlenes Bargeld bei einem «einfachen Diebstahl auswärts» nicht ersetzt. So kann er sich gleich noch für den Selbstbehalt von 200 Franken schadlos halten. Die Hausratversicherung bezahlt alles.
Delikt: Betrug → Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe Art. 146 StGB
- Den Früchtepreis korrigieren
L. ist immer knapp bei Kasse. Dank einem Trick spart sie seit Jahren beim Einkauf ein paar Franken. Beim Wägen von Früchten und Gemüse hebt sie den Sack ein bisschen an, damit weniger Gewicht verrechnet wird.
Delikt: Betrug → bei Deliktsumme unter 300 Franken: geringfügiges Vermögensdelikt, Busse, auf Antrag; bei Deliktsumme über 300 Franken: Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe
Art. 146 StGB Art. 172ter StGB
- Den Aschenbecher verfehlen
C. sitzt am Ufer des Bielersees und lässt seine ausgedrückte Zigarette dort liegen – obwohl er damit rechnen muss, dass der Stummel spätestens mit dem nächsten Regen im Wasser landet.
Delikt: widerrechtliches Einbringen von verunreinigenden Stoffen in ein Gewässer → Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe Art. 70 Gewässerschutzgesetz
- Mit dem Hintern schimpfen
K. findet die Polizei generell daneben. Darum zeigt er bei der 1.-Mai-Demo dem Korps seinen nackten Po.
Delikt: nicht Exhibitionismus, sondern Beschimpfung → Geldstrafe bis zu 90 Tagessätzen, auf Antrag
Art. 177 StGB
- Ein Geschenk vorbeibringen
F. steigt über die Hecke und geht durch den Garten seiner Tante, um ihr ein «Osternestli» vor die Tür zu legen – obwohl er genau weiss, dass es die Tante nicht ausstehen kann, wenn man unangemeldet in ihren Garten geht.
Delikt: Hausfriedensbruch → Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe, auf Antrag
Art. 186 StGB
- Einen Telefonstreich spielen
J. und K., beide 18, sind in Schulkamerad Z. verliebt – doch der will von beiden nichts wissen. Viermal rufen die Mädchen den Angebeteten mit unterdrückter Nummer an und schweigen.
Delikt: Missbrauch einer Fernmeldeanlage → Busse, auf Antrag
Art. 179septies StGB
- Zum Abstimmen motivieren
C. ist politisch sehr engagiert, ihr Freund H. jedoch überhaupt nicht – er nimmt aus Prinzip nicht an Abstimmungen teil. Bei einer Initiative droht C., ihm ein Darlehen nicht zu geben. H. gibt nach und stimmt ab.
Delikt: Eingriff ins Stimmrecht → Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe
Art. 280 Abs. 2 StGB
- Die Post öffnen
B.s 21-jähriger Sohn wohnt noch zu Hause, ist aber länger in den Ferien. B. entdeckt in der Post einen Brief an ihn und befürchtet eine Mahnung – es wäre nicht das erste Mal. Obwohl der Sohn sie nicht damit beauftragt hat, öffnet B. den Brief, ohne zu fragen.
Delikt: Verletzung des Schriftgeheimnisses → Busse, auf Antrag
Art. 179 StGB
- Mit dem Beobachter drohen
M. findet es eine Frechheit. Er hat im Internet Velolichter bestellt und dafür 20 Franken vorausbezahlt. Geliefert wird nichts, zurückbezahlt auch nicht, obwohl er mehrere eingeschriebene Briefe hinterherschickt. M. mailt dem Geschäftsführer des Onlineshops: «Wenn ihr mir nicht innert sieben Tagen mein Geld zurückbezahlt, melde ich es dem Beobachter . Der plant nämlich gerade eine Story zu unseriösen Onlineshops – dann könnt ihr schauen, wo ihr bleibt!»
Delikt: Nötigung → Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe
Art. 181 StGB
- Einen Grenzstein versetzen
Für seine Modelleisenbahn gräbt G. im Garten ein Loch, um das Fundament einer Nachbildung des Landwasserviadukts zu betonieren. Dabei kommt ihm ein alter Grenzstein in den Weg, der die Grenze zum Nachbarsgrundstück markiert. Kurz entschlossen verrückt er den Stein um ein paar Zentimeter Richtung Nachbar, damit er seine Pläne nicht ändern muss.
Delikt: Grenzverrückung → Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe
Art. 256 StGB
- Ein geklautes Velo kaufen
R. ersteht auf dem Flohmarkt ein Occasionsvelo für 350 Franken, das deutlich teurer aussieht. Sie verdrängt den Gedanken, dass es der offensichtlich drogenabhängige Verkäufer kaum von Mama zum Geburtstag bekommen hat.
Delikt: Hehlerei → Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe
Art. 160 StGB
- In der Schule krankfeiern
Die 16-jährige Gymnasiastin N. lässt sich von einer Mitschülerin überreden, zu schwänzen und shoppen zu gehen. Damit niemand etwas merkt, schreibt sie «Krankheit» ins Absenzenheft und fälscht die Unterschrift der Mutter.
Delikt: Urkundenfälschung, wohl ein «besonders leichter Fall» → Verweis, persönliche Leistung oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Busse bis zu 2000 Franken (Höchstmass)
Art. 251 StGB, Jugendstrafgesetz
- Streifenlos sonnenbaden
F. gefällt es, nackt auf der Zürcher Werdinsel auf einer Wiese zu stehen, sodass Jogger ihn sehen.
Delikt: Exhibitionismus → Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen, auf Antrag
Art. 194 StGB
- Einen auf volljährig machen
F. ist noch keine 18 Jahre alt und geht liebend gern in den Ausgang. Damit er bei seinem aktuellen Lieblings-Hip-Hop-Klub am Türsteher vorbeikommt, leiht ihm sein älterer Bruder jeweils seine Identitätskarte.
Delikt des Lehrlings: Fälschung von Ausweisen → Verweis, persönliche Leistung oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Busse bis 2000 Franken (Höchstmass)
Art. 252 StGB, Jugendstrafgesetz
Delikt des Bruders: Gehilfenschaft zur Fälschung von Ausweisen → Freiheitsstrafe unter drei Jahren oder Geldstrafe
Art. 252 StGB, Art. 25 StGB
- Spur wechseln, aufschliessen
Auf der Autobahn beginnt der Verkehr zu stocken. L. wechselt von der momentan langsameren linken auf die rechte Spur, wo es bis zum nächsten Wagen eine beträchtliche Lücke gibt. Er beschleunigt und fährt zügig an der linken Kolonne vorbei, um den Abstand möglichst schnell zu schliessen und den Verkehrsfluss zu unterstützen.
Delikt: Rechtsüberholen, grobe Verkehrsregelverletzung → Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe sowie Ausweisentzug für mindestens drei Monate
Art. 90 Strassenverkehrsgesetz
Nicht zu verwechseln mit dem Rechtsvorbeifahren bei stockendem Verkehr, sofern nicht beschleunigt wird.
Was ist das Delikt?
- Verbrechen: Taten, die mit Freiheitsstrafe über drei Jahre bedroht sind. Die Höchstdauer beträgt in der Regel 20 Jahre.
- Vergehen: Taten, die mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bedroht sind.
- Übertretungen: Taten, die mit Busse bedroht sind.
Wann wird es verfolgt?
- Antragsdelikt: Bei verschiedenen Taten setzt das Gesetz voraus, dass das Opfer innert drei Monaten Strafantrag stellt – sonst wird die Tat nicht verfolgt. Beispiele: einfache Körperverletzung, Sachbeschädigung, Zechprellerei.
- Offizialdelikt: Wenn im Gesetz nichts von Antragspflicht steht, handelt es sich um ein Offizialdelikt. Das bedeutet: Falls die Strafverfolgungsbehörden von der Straftat erfahren, müssen sie von sich aus tätig werden – unabhängig davon, ob jemand das Delikt angezeigt hat.
Wie wird es bestraft?
- Freiheitsstrafe: Ihre Dauer bemisst sich vor allem nach dem Verschulden des Täters: objektive Schwere des Delikts, Beweggründe, Vorleben, persönliche Verhältnisse. Auch die «tätige Reue» spielt eine Rolle – wenn der Täter also aus eigenem Antrieb versucht, das Unrecht wiedergutzumachen.
- Geldstrafe: Sie beträgt in der Regel maximal 360 Tagessätze. Die Anzahl Tagessätze bestimmt sich nach dem Verschulden, die Höhe des Tagessatzes nach der finanziellen Situation des Täters.
- Busse: Sie beträgt in der Regel zwischen 1 und 10'000 Franken. Die Höhe bestimmt sich nach dem Verschulden und der finanziellen Leistungsfähigkeit des Täters.
Worin unterscheidet sich ein Offizial- von einem Antragsdelikt? Was gilt wirklich als ehrverletzend? Gibt es eine Ordnungsbusse fürs Kiffen? Machen Sie sich als Beobachter-Mitglied ein Bild davon, welche Straftat rechtlich wie definiert ist.
5 Kommentare
Es existieren viele solcher "Fallen", aber die meisten lassen sich mit gesundem Menschverstand und Rücksichtnahme ganz einfach vermeiden. Doch vor allem die Rücksicht ist etwas, was die neueren Generationen verlernt haben bzw. schon von den Eltern nicht mehr mit auf den Weg bekommen, das "ICH" steht immer im Vordergrund. Der Dumme ist immer der Andere, die Fehler liegen immer bei den Anderen. Vielfach ist es angebracht auch mal in sich zu kehren und zu überlegen, was hätte ICH besser machen können.
Genau so ist es. Ich ole mir meine Vorteile, aber wehe ein anderer macht das gleich zu meinem Nachteil, dann gibt es einen Aufschrei.
Ich weiss heute , dass ich schon von Geburt an ein Schwerverbrecher war. Hätte ich es vor meiner Geburt gewusst, hätte ich mich geweigert geboren zu werden.
Alles geregelt und gebügelt, zum Glück ist die Menschlichkeit bei unseren Behörden, mit Vernunft gepaart, stellen wir uns dass mal vor, alle diese Dinge gebüßt,verzeigt und verhandelt, dann müssten wir einige Gefängnisse Bauen, um alle Delinquenten zu Inhaftieren!
Ein geklautes Velo kaufen: Auf dem Flohmarkt IMMER nur gegen Quittung. Darauf muss der Verkäufer ersichtlich sein. Notfalls nur gegen vorzeigen eines Ausweises. Dann kommt Hehlerei nicht in Frage.