Kommentar zu «Nur Ja heisst Ja»
Sex ist, wenn beide zustimmen – alles andere ist Gewalt
Das geltende Sexualstrafrecht kümmert sich wenig um die Realitäten von Menschen, die vergewaltigt worden sind. Die vorgeschlagene Zustimmungslösung «Nur Ja heisst Ja» ist deshalb das einzig Richtige.
Veröffentlicht am 3. Juni 2022 - 16:57 Uhr
Demonstration für «Nur ja heisst ja» in Zürich (21. Mai 2022).
Quelle: Keystone / ENNIO LEANZADie Männer auf der Redaktion des Beobachters haben kürzlich einen Brief zugesandt bekommen. «Dieses neu geplante Gesetz mit dem ‹Nur ein Ja ist ein Ja› ist für die Männer eine absolute Katastrophe. Sie stehen bald mit einem Bein im Gefängnis», heisst es da.
Eine Frau brauche den Mann nur sexuell auf Touren zu bringen, um dann kurz vor dem Eindringen mit dem Penis, wenn der Mann nicht mehr stoppen könne, sadistisch schnell Nein zu sagen, oder einfach zu vergessen, Ja zu sagen. Der Mann sei der Frau total ausgeliefert.
Und es sei auch nicht erstaunlich, schreibt der anonyme Verfasser weiter, wenn ein Mann im Bett Erektionsstörungen bekomme und sich nicht mehr traue, seine Frau anzufassen. «Ist dies das Ziel von gewissen machthungrigen Feministinnen oder linken Frauen, welche dieses Gesetz um jeden Preis durchboxen möchten, um so die Männer terrorisieren zu können?»
Lieber anonymer Verfasser. Nein, das ist nicht das Ziel der Menschen, die hinter der Forderung stehen. Übrigens auch viele Männer. Und ich hoffe, wenn der Ständerat in den nächsten Tagen zum ersten Mal über die Revision des Sexualstrafrechts diskutiert, sind diese konstruierten Ängste und Falschinformationen im Ratssaal nicht zu hören. Das sind wir als Gesellschaft den vielen Opfern von sexualisierter Gewalt in der Schweiz schuldig.
Denn während Sie sich, lieber anonymer Verfasser, Sorgen um die Erotik machen, bangen Frauen in der Schweiz um ihre körperliche Unversehrtheit und ihre sexuelle Selbstbestimmung. 430’000 von ihnen, das ist ungefähr die Bevölkerung der Stadt Zürich, sind schon vergewaltigt worden. Diese Zahl allein müsste jede Diskussion um die Notwendigkeit der Gesetzesänderung nichtig machen.
Das Gesetz, wie es heute geschrieben steht, kümmert sich leider wenig um die Realitäten von Menschen, die vergewaltigt worden sind. Nur schätzungsweise 8 Prozent der Beschuldigten werden in der Schweiz angezeigt. Von den angezeigten Beschuldigten werden nur 1,8 Prozent verurteilt. Und Sie, lieber anonymer Verfasser, machen sich Sorgen, dass Sie, wenn Sie Ihre Partnerin nur schon berühren, mit einem Bein im Gefängnis stehen?
Wollen Sie, lieber anonymer Verfasser, denn etwas anderes, als mit Menschen Sex zu haben, die das auch wirklich wollen? Mehr will die Gesetzesänderung nämlich nicht.
«‹Ja heisst ja›» rüttelt daran, dass den Opfern heute die Verantwortung für die Tat aufgebürdet wird. Das ist dringend nötig.»
Anina Frischknecht, Beobachter-Redaktorin
Das Ja braucht auch kein explizites Ja zu sein. Auch dieser Mythos hält sich leider hartnäckig. Ein implizites Ja genügt. Und so ein Ja kommt in unserem Alltag immer wieder vor. Etwa der kleine Schritt zur Seite, bevor man jemanden in die Wohnung lässt. Hat da jemand Angst, dass er wegen Hausfriedensbruch angezeigt wird? Kurz zu fragen oder zu spüren, wie das Gegenüber den Kuss oder die Berührung findet, kann doch nicht schwieriger sein als das.
Auch ist und bleibt eine Vergewaltigung ein Vier-Augen-Delikt. Es ist die Aufgabe der anzeigenden Person, zu beweisen, dass ihr Wille gebrochen und ihre sexuelle Selbstbestimmung verletzt worden ist. Wenn es im Strafverfahren Zweifel gibt, dass die Person die Tat begangen hat, dann wird sie nicht verurteilt. Punkt. «Ja heisst ja» rüttelt nicht am Grundsatz «In dubio pro reo» – im Zweifel für den Angeklagten.
«Ja heisst ja» rüttelt aber daran, dass den Opfern heute die Verantwortung für die Tat aufgebürdet wird. Das ist dringend nötig. Denn es ist leider Fakt, dass die Polizei bei einer Strafanzeige fragen muss: «Haben Sie sich gewehrt? Wie fest? Wie lange?» Das verkennt die Realität von Vergewaltigungen. In weit mehr als der Hälfte aller Vergewaltigungen findet laut Studien ein sogenanntes Freezing statt. Den Betroffenen ist es in diesem Zustand der Schockstarre nicht möglich, ein verbales oder nonverbales Nein zu kommunizieren. Freezing ist eine natürliche Schutzreaktion des Körpers gegen Gewalt. Freezing ist keine Zustimmung. Im Gegenteil. Leider funktioniert das Gesetz heute so: Haben sich die Opfer nicht gewehrt, ist es keine Vergewaltigung.
Ich wünsche mir, dass sich Opfer von sexualisierter Gewalt nicht mehr physisch für ihr Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit wehren müssen.
Deshalb, lieber anonymer Verfasser, hören Sie den Opfern zu. Hören Sie ihren Geschichten zu. Dann wird hoffentlich auch Ihnen bewusst, dass die vorgeschlagene Zustimmungslösung das einzig Richtige ist.
4 Kommentare
"JA heisst JA".... was für ein NICHTS veränderndes, unsinniges Gelabere...
Eine weitere Ohrfeige für die - lebenslang traumatisierten - Opfer von Sexualstraftätern!!
Es muss endlich und rigide gehandelt werden von der Schweizer JUSTIZ-Behörde.....= "lebenslange Verwahrung" für Sexualstraftäter jeglicher Abart!!
Zuständige, Verantwortliche von Ämtern und Behörden, Regierung....niemand ist offensichtlich handlungsbereit, handlungsfähig....!!
Dieses unfähige, Opfer diskriminierende Fehlverhalten, ist mehr als nur beschämend und sehr auffällig...."Frauenrechte"!??
Das menschliche Sexualverhalten hat viele Facetten, positive, wie als negativ bewertete. Traditionell spielen Machtgefälle, Ausbeutung, Zwang, Pflicht und auch Gewaltanwendung bei dem, was weltweit unter Sex verstanden wird, eine tragende Rolle.
In modernen Gesellschaften ist das Unrechts- und Problembewusstsein gegenüber sex. Gewalt gestiegen. Aktive Einvernehmlichkeit gilt als wichtiges Prinzip. Es gibt in verschiedenen Ländern Bestrebungen, den alten Grundsatz, wonach eine Frau, die nicht deutlich Nein sagt, wenn ein Mann Anstalten macht, ihren Körper zu benutzen, um sich sex. zu befriedigen oder sich dann sogar vehement körperlich zu wehren, durch "Ja ist Ja" abzulösen. Insofern ist die Veränderung des Sexualstrafrechts nur logisch.
Man sollte aber zwischen der Definition was strafrechtlich relevant ist und der Entscheidung, was als Sex gilt und was nicht, unterscheiden. Sexualstraftaten reduzieren wir nicht, indem wir den Gewaltanteil am Sexuellen negieren, sondern indem wir uns sachlich und realistisch mit der Bedeutung und dem Ausmaß übergriffigen Agierens bei dem, was wir unter Sex verstehen, auseinander setzen.
Angelika Oetken, Berlin-Köpenick
Wäre offenbarende Gegenüberstellung, würden Sie in diesem Text das Wort Sex durch das Wort Organ-"Spende" oder Sterbehilfe (wo bleibt da - in der Realität - die Selbstbestimmung?) ersetzen.