Heimwerken war gestern
Moderne Bastler nennen sich Maker und tauschen ihre Ideen weltweit aus. Auch in der Schweiz wächst die Gemeinde.
Moderne Bastler nennen sich Maker und tauschen ihre Ideen weltweit aus. Auch in der Schweiz wächst die Gemeinde.
Veröffentlicht am 6. März 2019 - 18:49 Uhr,
aktualisiert am 6. März 2019 - 11:47 Uhr
Hammer, Säge und Bohrmaschine sucht man in ihren Werkstätten vergeblich. Die neuen Heimwerker designen am Computer und greifen dann zu CNC-Fräse, Lasercutter und 3-D-Drucker. Sie kennen sich bestens aus mit Chips, Bits und Bytes, können löten und hantieren virtuos mit Arduino und Raspberry Pi, zwei besonders leicht zu programmierenden Minirechnern.
Maker, wie sie sich nennen, verbinden die analoge mit der digitalen Welt. Sie bauen Dinge wie sensorgelenkte Bewässerungsanlagen für den Garten, per App steuerbare Hobby-Bierbrauanlagen oder automatische Wickeltischwärmer. Warum kaufen, wenn mans erfinden kann?
Der typische Maker ist kein Geheimniskrämer. Er ist stolz auf seine Kreationen und teilt sie mit der ganzen Welt. Seine Baupläne stellt er ins Internet und lässt sich dort von anderen inspirieren. Nach der quelloffenen Software kommt jetzt die quelloffene Hardware.
Seit es 3-D-Drucker günstig als Bausatz gibt, hat die Maker-Bewegung richtig Fahrt aufgenommen. Chris Anderson, ehemaliger Chefredaktor des US-Technikmagazins «Wired» und Maker der ersten Stunde, verkündete sogar bereits die nächste industrielle Revolution. Die Massenproduktion habe ausgedient, nun werde jeder Konsument zum Produzenten. In der Euphorie geht allerdings etwas vergessen, dass Mikrocontroller, Chips und Elektronikteile weiterhin in Fabrikhallen gefertigt werden.
Geräte wie Fräsen und Lasercutter passen auch nicht in jedes Budget und jeden Hobbykeller. Deshalb schliessen sich Maker zusammen und gründen Makerspaces, Hackerspaces oder Fabrication Laboratories, sogenannte Fablabs. In der Schweiz sind sie in den letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen. Die technologische Revolution ist bisher nicht ausgebrochen. Schweizer Maker, so scheint es, sind keine Umstürzler, sondern leidenschaftliche Tüftler .
- Tobias Rüggeberg (37): «Als Bastler braucht man Durchhaltewillen – und irgendwie auch einen kleinen Spleen.»
- Mike Zweifel (34): «Der direkte Nutzen im Alltag ist das Interessanteste an der Maker-Bewegung.»
- Martina Altermatt (55): «Ich stelle nur her, was ich brauchen kann.»
- Die drei Gründer von Cooba: «Wir mussten sehr viel trinken, bis wir den Dreh raushatten.»
Tobias Rüggeberg (37): «Als Bastler braucht man Durchhaltewillen – und irgendwie auch einen kleinen Spleen.»
Tobias Rüggeberg zuckt beim Wort Maker ein wenig zusammen. «Ich bin einfach ein Bastler. Mich interessiert, wie Dinge funktionieren.» Schon als kleiner Knirps habe er an Elektrogeräten herumgeschraubt, mit sechs das erste eigene Computerprogramm auf einem Atari geschrieben.
Die Eltern förderten seinen Basteldrang zusätzlich. Als sich der Teenager einen eigenen Fernseher wünschte, schickten sie ihn zum Händler – um sich ein defektes TV-Gerät schenken zu lassen. «Wenn ich es zum Laufen bringe, könne ich es behalten, sagten sie. Und so war es dann auch.»
Seine Experimentierfreude ist heute genauso gross. In seiner Garage stehen haufenweise Kisten mit Kabeln, Steckern und Netzgeräten, eine Werkbank mit Lötstation, dahinter eine Schubladenwand voller elektronischer Kleinteile: Widerstände, Kondensatoren, Wi-Fi-Chips, Temperatursensoren, alles fein säuberlich sortiert. Der selbstgebaute 3-D-Printer druckt gerade eine kleine Lampe. «Der erste Versuch ging leider schief, keine Ahnung, warum», sagt Rüggeberg.
Scheitern gehöre dazu. «Als Bastler braucht man Durchhaltewillen und irgendwie auch einen kleinen Spleen.» Anders lassen sich viele von Rüggebergs Kreationen nicht erklären. So baute er etwa einen Geigerzähler. Für Nukleartechnologie habe er seit je ein Faible. Rüggeberg wuchs bei Darmstadt mit Blick auf das stillgelegte Kraftwerk Biblis auf und lebt heute im AKW-Kanton Aargau.
Sein Lieblingsobjekt ist aber eine musikgesteuerte Lichtanlage. Die Leuchten werden zur Musik nach einem auf Höhen, Tiefen, Intensität und Kadenz abgestimmten Algorithmus angesteuert. «Musik wird so sichtbar, das Erlebnis erweitert.» Für die Street-Parade hat er sein Konzept auf LED-Stirnbänder übertragen. Damit sorgten er und seine Kollegen auch in Zürich für erstaunte Gesichter.
Mike Zweifel (34): «Der direkte Nutzen im Alltag ist das Interessanteste an der Maker-Bewegung.»
«Hier noch eine Hilfslinie, da Höhe, dort Tiefe und noch dieses Loch. Und jetzt geschieht das Wunder – zack, haben wir unser 3-D-Modell.» Mike Zweifel demonstriert, wie schnell und einfach sich ein beliebiges Ersatzteil nachbauen lässt. Um eine Vorhangklammer auszumessen und nachzuzeichnen, braucht er nur eine Viertelstunde.
«In ein, zwei Stunden sollte das Teil in dreifacher Ausführung unter dem 3-D-Drucker liegen», sagt er. Seine Tante wird sich freuen. Sie hat die defekten Klammern, die es im Handel nicht mehr gibt, in Auftrag gegeben.
«Das ist für mich das Interessanteste an der Maker-Bewegung: der direkte Nutzen im Alltag», sagt Zweifel. Wichtig seien auch der Austausch mit anderen Bastlern und die öffentlich zugänglichen Baupläne. «Man kann sich inspirieren lassen und fremde Ideen weiterspinnen.»
Zweifel hat in seinem Heimatkanton Glarus den Verein «Makers im Zigerschlitz» gegründet, führt Workshops durch und baut mit Schülern Roboter. Für die verklemmte Spielzeugkasse seiner drei kleinen Kinder hat er ein Ersatzteil gedruckt, er hat eine eigene Brio-Bahn gefräst und fürs Göttikind ein Märli-Radio gebaut, mit einem Telefonhörer, wie es sie früher in Kaufhäusern gab.
«Ich brauche zum Glück wenig Schlaf», witzelt er. Wenn Frau und Kinder im Bett sind, steigt er in den Keller in seine gut sortierte Werkstatt mit 3-D-Drucker und Lasergravierer. Sein Vorzeigestück steht aber im Wohnzimmer: ein Salontisch, auf dem man «Tetris» spielen kann. Die Tischfläche ist der Bildschirm, LED-Lämpchen formen die Klötzchen, sein Programm auf dem Raspberry Pi lässt die Steine zu «Tetris»-Musik herunterfallen. Gesteuert wird über einen gewöhnlichen Gamecontroller. «Eine Riesenbüez», sagt Zweifel. Und ja: Auf dieses Werk sei er ein wenig stolz.
Martina Altermatt (55): «Ich stelle nur her, was ich brauchen kann.»
Martina Altermatt streicht liebevoll über das Gestrick. «Hier, wo das Muster sich verliert, könnte ich stundenlang draufschauen, so schön finde ich das.» Klingt schräg? Nun, die 55-jährige Managerin des Zürcher Fablab hat auch ein schräges Ding für sich entdeckt: eine elektronische Strickmaschine. Die Funktionsweise ist simpel: Man fährt mit dem fadenführenden Schlitten über ein Nadelbett, unten kommt das Gestrick heraus. Im Normalfall steht eine beschränkte Anzahl Muster zur Auswahl. Doch die Maschine im Fablab ist gehackt. Die Steuereinheit wurde durch eine Arduino-Computerplattform ersetzt, und so lassen sich beliebige Pixelbilder einlesen, auch Fotos. Jedes Pixel entspricht einer Masche, die Maschine ist eine Art Textildrucker.
Ganz einfach ist die Lismerei nicht. Die Wolle muss durch gefühlte 100 Ösen gefädelt und auf die Nadeln gewickelt werden. Die Maschengrösse muss passen, genauso die Fadenspannung. Und dann gilt es, im richtigen Moment und Tempo über die Nadeln zu fahren. «Ich habe viele Stunden gebraucht, um mich mit dem Ding anzufreunden», sagt Martina Altermatt.
Kreativ war die Schmuckdesignerin schon immer. Die Welt der Maker entdeckte sie aber erst vor acht Jahren. An einer Veranstaltung im Luzerner Fablab wurde mit dem 3-D-Drucker eine Raketenglace gedruckt. «Das wollte ich unbedingt sehen.» Dann haben es ihr aber CNC-Fräse und Lasercutter angetan. Sie belegte Workshops, fräste und schnitt fortan, was das Zeug hielt. Längst gibt sie selber Kurse.
Das Handwerk lernen könne man aber nur beim Machen. «Manches erscheint einfach, stellt sich am Gerät aber als unmöglich heraus. Dann beginnt man halt von vorn.» Probieren, scheitern, lernen – das treibt sie an. Auch ökologische Gründe: «Ich stelle nur her, was ich brauchen kann. Kein unnötiger Abfall.»
Die drei Gründer von Cooba: «Wir mussten sehr viel trinken, bis wir den Dreh raushatten.»
Alles fing damit an, dass Manuel Ermacora eine Arduino-Computerplattform kaufte. «Eine Idee, was ich damit anstellen könnte, hatte ich nicht.» Dafür zwei WG-Kollegen, Remo Jucker und Gregor Schütz. Zusammen fanden sie schnell heraus, was in der gemeinsamen Wohnung noch fehlte: eine automatische Cocktailbar.
Erst war ihr Werk ein besserer Flaschenhalter, der je nach Drink mit Lampen anzeigte, aus welcher Flasche man als Nächstes einschenken muss. Es folgten jahrelange Optimierungsarbeiten.
Inzwischen kann sich die Automatenbar sehen lassen. Per Handy-App bestellt man einen Drink, und schon fährt das leere Glas geräuschlos und wackelfrei einer Schiene entlang von Flasche zu Flasche. Eiswürfel und Trinkröhrchen muss man von Hand dazugeben. «Wir wollen ja nicht den Barmann ersetzen», sagt Manuel Ermacora.
Die Cooperative Bar – oder kurz: Cooba – ist so sehenswert, dass sie es bis an die Maker-Messe in Bilbao geschafft hat. «Die spanischen Kollegen haben uns in Zürich gesehen und eingeladen.»
Seither bezeichnen sie sich als Maker. «Aber keine typischen, wir haben ja nur dieses eine Projekt.» Dafür ist es ziemlich ausgeklügelt. Motor und Führungsschienen konnten sie im Katalog bestellen. Aber wie bringt man den Motor dazu, stets unter die richtige Flasche zu fahren, und die Flasche dazu, im richtigen Moment die korrekte Menge Getränk auszugeben?
Die Lösung waren ansteuerbare Flaschenventile, wie sie im Gastgewerbe verwendet werden. Die Cooba-Maker aktivieren die Ventile mit Magnetspulen. Wenn Strom fliesst, öffnet sich das Ventil.
Es brauchte einiges an Programmierkunst, um für jeden Drink auf die korrekte Menge zu kommen. «Wir mussten sehr viel trinken, bis wir den Dreh raushatten», sagt Remo Jucker. Es gebe immer noch Luft nach oben. «Die App wirkt noch handgestrickt, und kohlensäurehaltige Getränke können wir nicht ausschenken.» Die Arbeit geht den Cooba-Jungs so schnell nicht aus.