Auch mal Nein sagen
Verabredungen und Verpflichtungen am laufenden Band: Viele sind auch in der Freizeit total verplant. Wie man sich mehr Ruhe verschafft.
aktualisiert am 27. Juli 2022 - 14:54 Uhr
Nach hektischen Arbeitstagen ist endlich ein verlängertes Wochenende in Sicht. Ausschlafen, spazieren gehen, lesen. Aber halt: Am Samstagvormittag heisst es Kisten schleppen – ein Bekannter zieht um. Abends der längst vereinbarte Theaterabend mit Freunden. Und für den Sonntag haben sich die Eltern angekündigt.
«Ja sagen ist angenehmer, zumindest im ersten Moment»
Rolf Heim, Stress-Coach
Viele setzen in der Freizeit fort, worüber sie am Arbeitsplatz klagen. Sie fühlen sich vereinnahmt und getrieben, sind nicht mehr Herr über ihre Zeit. Warum sagen sie nicht einfach Nein ? «Ja sagen ist angenehmer, zumindest im ersten Moment», erklärt der Aargauer Stress-Coach Rolf Heim. Denn mit einem Ja sind die Erwartungen erfüllt, das positive Feedback ist sicher. Beides verschafft das gute Gefühl, gemocht, geschätzt und gebraucht zu werden.
Bei einem Nein hingegen werden negative Konsequenzen befürchtet: Ich könnte etwas verpassen oder Sympathien verspielen. In Zukunft könnte man mich dann ebenfalls ablehnen, wenn ich mal Unterstützung benötige. Viele fürchten ausserdem, andere zu enttäuschen und zu kränken, beobachtet die deutsche Kommunikationstrainerin Regina Zelms. Oder gar den Bekannten- und Freundeskreis zu verlieren und irgendwann isoliert dazustehen.
Solche Ängste sind aber unbegründet. «Menschen, denen wirklich etwas an anderen liegt, zeigen für ein Nein in aller Regel Verständnis», sagt Rolf Heim. Mit Unverständnis hingegen reagierten meist diejenigen, die nur ans eigene Wohl und an den eigenen Vorteil denken. «Ihnen ist es nicht wichtig, wie es dem Gegenüber geht.»
«Soziale Kontakte werden oft gepflegt, weil es dazugehört und erwartet wird», sagt Rolf Heim weiter. Nicht aufmucken, diese alte Norm gelte in weiten Kreisen noch immer. Wenn Familienmitglieder oder Freunde mit Anliegen und Wünschen kommen, ist ein Ja doch selbstverständlich. Falls es aber nicht aus voller Überzeugung ausgesprochen wird, sondern wegen Anpassungsdruck, aus Bequemlichkeit, Harmoniesucht oder zur Pflichterfüllung, ist es Zeit, etwas für die Psychohygiene und die Gesundheit zu tun.
«Lassen Sie sich kein schlechtes Gewissen einreden», rät Buchautorin Regina Zelms. Eine Absage habe nichts mit Egoismus zu tun. Sondern damit, eigene Bedürfnisse wieder besser wahrzunehmen und ein Stück innere Freiheit zurückzugewinnen.
- Bilanz ziehen: Welche Aktivitäten und Kontakte tun mir gut? Was raubt mir Energie? Wie steht es mit der Balance zwischen Geben und Nehmen? Bin ich immer zu allem bereit, aber von der anderen Seite kommt nie etwas? Falls das so ist: Soll ich an diesen Kontakten festhalten? Sich solche und ähnliche Fragen zu stellen, kann helfen, Prioritäten zu setzen, Termine besser zu planen.
- Sich Zeit verschaffen: Anliegen und Bitten werden oft überraschend und en passant an einen herangetragen. Überrumpelt sagt man Ja – und bereut es kurz darauf. Verschaffen Sie sich Luft, um eine Entscheidung zu treffen: «Lass mich darüber nachdenken, ich geb dir morgen Bescheid.»
- Einfühlsam bleiben: Ein Nein sollte eine emotionale und eine rationale Komponente haben. Etwa: «Eure Einladung freut mich sehr. Nach stressigen Arbeitswochen brauche ich aber Zeit für mich.» Sie können auch einen anderen Termin vorschlagen, wenn Sie das möchten. Das macht es dem Gegenüber leichter, die Absage zu respektieren und zu akzeptieren. Allerdings: Selbst ein freundliches Nein kann andere brüskieren. Das gilt es auszuhalten.
- Notlügen vermeiden: Sie müssen nicht zwingend erklären, warum Sie etwas nicht machen können oder wollen. Das lässt sich von Fall zu Fall entscheiden. Auch ein Nein ohne Begründung ist legitim: «Das möchte ich lieber nicht.» Das ist besser, als Ausreden, Notlügen oder Rechtfertigungen vorzubringen.
- Kompromisse finden: «Wir sind ein Paar, also gehen wir da zusammen hin.» Diese Erwartungshaltung schafft zusätzlich Druck. Warum den Partner ins Konzert zwingen, wenn er lieber nicht will? Bemühen Sie sich auch um Kompromisse: Was ist beiden wichtig? Wohin gehe ich dem Partner, der Partnerin zuliebe mit? Wo gehe ich allein hin? Worauf können wir beide verzichten?