Aufgezeichnet von Chantal Hebeisen:

Samt ist ein Mistkerl. Ich mag ihn sehr, aber erst, wenn er vernäht ist. Wenn ich ihn mit einem glatten Stoff kombiniere, verrutsche ich manchmal bis zu fünf Millimeter. Dann heisst es: alles auftrennen. Das unterscheidet das Nähen aus dem Handarbeitsunterricht vom professionellen Schneidern. Ist die Naht um einen Millimeter verschoben, macht man sie nochmals. Sehe ich schliesslich das Ergebnis auf der Bühne, denke ich: «Wow, das habe ich gemacht!»

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«Ich mag es nicht, wenn mir jemand sagt, ich sei kreativ.»

Aniela Kremser, 38, Theaterschneiderin

Ich habe einen Traumjob. Jeden Tag das Blüsli für Frau Meier oder das Deux-Pièces für Frau Müller zu schneidern, wäre mir zu langweilig. Hier am Opernhaus kann ich von Schmetterlingsflügeln bis zum Overall mit dutzenden Ballon-brüsten alles machen. Am liebsten nähe ich Ausgefallenes. Ich mag es aber nicht, wenn jemand sagt, ich sei kreativ. Kreativität oder künstlerische Freiheit wird oft als Ausrede verwendet, wenn etwas – sagen wir mal – «ungewöhnlich» ausgeführt wird. 

Einmal habe ich ein historisches schwarzes Kleid mit vielen Tüllrüschen genäht. Diese Arbeit war toll, weil wir sogar den Stoff selbst hergestellt haben. Ein Traum von mir ist, Kostüme für ein klassisch inszeniertes Don-Quijote-Ballett zu schneidern. Das Stück ist eines meiner Lieblingswerke Tonhalle-Orchester Zürich «Als Schüler war ich in einer Rockband» , und spanische Kostüme gehören zu den schönsten, die es gibt.

Dornröschen-Ballett, Opernhaus Zürich 2020

Eine Balletttänzerin im Schmetterlingskostüm für das Stück «Dornröschen».

An den Kostümen fürs Dornröschen-Ballett haben Aniela Kremser und ihre Kolleginnen ein Jahr gearbeitet.

Quelle: ZVG
Mit Barbie fing alles an

Seit ich mich erinnern kann, haben Opern mich fasziniert Kinderchirurg Ein Künstler zwischen Oper und Operationssaal . Während meine Gspänli Micky-Maus-Heftli lasen, vertiefte ich mich in die Handlungen grosser Opern. Meinen Vater – er ist Cellist – habe ich mit dreieinhalb Jahren überredet, mit mir die «Zauberflöte» an den Bregenzer Festspielen anzuschauen. 

Danach musste meine Mutter meiner Barbiepuppe das Kleid der Pamina nach meinen Anweisungen nachschneidern. Sie ist ebenfalls Berufsmusikerin, aber auch eine super Schneiderin. Sie nähte mir und meinem Bruder alle Kleider selbst. Als meine Wünsche nach Puppenkleidern häufiger wurden, brachte meine Mutter mir das Nähen bei.

Mit Samthandschuhen zu den Künstlern

Die Zusammenarbeit mit den Sängerinnen erfordert manchmal Fingerspitzengefühl. Sie sind nicht immer einverstanden mit ihren Kostümen. Das bekommen wir Schneiderinnen zu spüren, obwohl wir nur die Ausführenden sind. Das Design macht die Kostümbildnerin. Unsere Gewandmeisterinnen brauchen dann ein dickes Fell – und Verhandlungsgeschick. Nur manchmal lässt sich das Problem lösen, indem wir das Kleid enger machen, damit sich jemand nicht mehr dick vorkommt. 

Wenn ich eines gelernt habe hier, dann ist es, dass wirkliche Stars keine Allüren haben, die können wir in jedes Kleid stecken.Männer und Frauen sind übrigens nicht so unterschiedlich eitel, wie man denken könnte. Ein Kollege musste einem italienischen Solisten den Anzug mal so eng machen, dass er sich nicht mehr richtig hinsetzen konnte, und die Jacke ging auch nicht mehr zu.

«Mittlerweile nehme ich es mit Galgenhumor, wenn ein Kostüm statt auf der Bühne direkt im Fundus landet wegen Corona.»

Aniela Kremser

Während des Lockdowns glich die Oper einem Geisterhaus. So still ist es jetzt zum Glück nicht mehr. Obwohl der Spielbetrieb seit Ende Oktober eingestellt ist, arbeiten wir Werkstätten noch voll weiter. Denn sobald wir wieder spielen können, müssen die Kostüme bereit sein. Wird die Produktion diese Saison gestrichen, wandern sie aber direkt in den Fundus. Das nehme ich mit Galgenhumor. Ich bin glücklich, dass wir arbeiten können.

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