«Der Budgetplan ist von Anfang an unausgewogen»
Eine Expertengruppe soll aufzeigen, wo der Bund drei bis vier Milliarden sparen kann. Man darf die Steuervergünstigungen aber nicht ausklammern, sagt Volkswirtschaftler Marius Brülhart.
Veröffentlicht am 15. März 2024 - 14:44 Uhr
Herr Brülhart, Sie haben zum Plan des Bundesrats auf X (vormals Twitter) gesagt: «Gute Idee, aber dann bitte richtig.» Was meinen Sie damit?
Ich finde es absolut legitim, dass man die Bundesfinanzen überprüft. So wie das Mandat formuliert ist, sieht es aber aus, als würde man jetzt einfach die Staatsrechnung Posten für Posten durchgehen und schauen, ob man irgendwo kürzen kann. Das definiert den Analyserahmen zu eng.
Wieso?
In der Ökonomie sagt man, dass Staatsausgaben nicht nur aus dem bestehen, was auf der Rechnung steht. Sondern dass auch bestimmte entgangene Einnahmen, Rabatte, miteinbezogen werden müssen für ein vollständiges Bild. Bei den Bundesfinanzen wären das die Ausnahmen bei der Besteuerung. Im Mandat des Bundesrates sehe ich aber nicht, dass Steuervergünstigungen ein Thema sein sollen. Dabei sind das volkswirtschaftlich nicht weniger relevante, aber halt versteckte Subventionen.
Das tönt, als wären Steuererleichterungen etwas Schlechtes.
Nein, nicht per se. Vieles davon ist vermutlich gut zu rechtfertigen, genauso wie bei den Ausgaben, also den Subventionen. Eine Prüfung, die den Anspruch erhebt, umfassend zu sein, sollte ganz einfach alles prüfen. Das Ergebnis ist von Anfang an unausgewogen, wenn man die Steuervergünstigungen ausklammert.
Zur Person
Von welchen Summen reden wir da?
Avenir Suisse beziffert die gewährten Steuervergünstigungen auf jährlich etwa 24 Milliarden Franken. Das ist etwa halb so viel wie die Subventionen, die der Bund in der Rechnung ausweist.
Hätte der Bund gar kein finanzielles Problem, wenn man sich die Steuervergünstigungen vorknöpfen würde?
So pauschal kann man das nicht sagen. Es ist aber nicht von der Hand zu weisen, dass in den Steuervergünstigungen potenzielle Mehreinnahmen schlummern. Alles hängt davon ab, wie breit der Analyserahmen gesteckt ist und was die Expertengruppe als ihr Untersuchungsgebiet betrachtet. Die Steuerverwaltung taxiert die Steuerbefreiung von Erbschaften und erhaltenen Schenkungen auch als Steuervergünstigung.
Man könnte durchaus argumentieren, dass es schwer zu rechtfertigen ist, solche Einkommen komplett von der Bundessteuer zu befreien. Dieses Beispiel zeigt, dass es hier in hohem Masse um politische Einschätzungen und nicht um rein technische Einordnungen geht. Stellt man Steuervergünstigungen in Frage, hat das potenziell höhere Steuern zur Folge.
Klingt heikel.
Problematisch ist, dass man bei einer derartigen Überprüfung nicht mit wissenschaftlichem Anspruch herangehen und sagen kann: Das ist eine schädliche Subvention und das nicht. Es ist eine politische Frage. Werturteile schwingen unweigerlich mit. Nehmen Sie zum Beispiel die 75 Millionen, mit denen der Bund die Tourismusförderung im Ausland subventioniert. Man kann das als Industriepolitik kritisieren, welche einer ganz bestimmten privatwirtschaftlichen Branche mit Steuergeldern unter die Arme greift. Oder man kann anführen, dass ein positives Image unseres Landes nicht nur unserer Touristik zugutekommt, sondern auch der Exportindustrie im breiteren Sinne und vielleicht gar unserer Aussenpolitik. Letztlich sind solch indirekte Nutzen schwer in Zahlen zu fassen und oft extrem subjektiv.
«Ich sehe im Moment keine ‹low-hanging fruit›.»
Marius Brülhart, Volkswirtschaftler
Wie kann die Expertengruppe denn zu einem sinnvollen Ergebnis kommen?
Es gibt immer Zielkonflikte und unterschiedliche Gewichtungen je nach Interessenslage und Weltanschauung. Der Optimalfall wäre, wenn die Expertengruppe über wirklich eklatante ineffiziente Ausgabeposten stolpern würde, bei denen zum Beispiel klar wäre, dass ihre Abschaffung das wirtschaftliche Geschehen unter dem Strich ankurbeln würde. Es ist zum Beispiel denkbar, dass gewisse historisch gewachsene Subventionen oder Steuervergünstigungen früher Sinn ergaben und heute überholt sind. Aber es ist schon schwierig, sich vorzustellen, wo man in der Staatsrechnung die benötigten Milliarden finden soll. Ich sehe im Moment keine «low-hanging fruit».
Ergibt es zum Beispiel Sinn, nach strategischen Zielen vorzugehen und Subventionen und Steuervergünstigungen zu eliminieren, wenn sie etwa den Klimazielen widersprechen?
Das ist eine sehr gute Überlegung. Wenn man nach bestimmten Kriterien die Subventionen und Steuervergünstigungen labeln würde, wäre die Übung viel weniger subjektiv. Zum Beispiel könnte man Ausgabenposten und Steuervergünstigungen klassieren nach Kriterien wie Wirtschaftsankurbelung, Verteilungswirkung zwischen Personen und Regionen, Umwelteffekten und Wirkung auf die nationale Sicherheit.
Separat pro Kriterium ist eine viel präzisere und weniger subjektive Einordnung verschiedener Ausgabenposten möglich als quer über die Kriterien hinweg. Denn das subjektive Element liegt hauptsächlich in der Gewichtung der verschiedenen Kriterien. Mit einer separaten Beurteilung nach Kriterium gäbe die Expertenkommission dann allen die Möglichkeit, die Gewichtung ihrer Sichtweise gemäss anzustellen. Das wäre eine wertvolle Diskussionsgrundlage.
3 Kommentare
Stahlindustrie: Protestaktion in Gerlafingen
In Anbetracht des riesigen Exportüberschusses der Schweiz und des damit zusammenhängenden starken Schweizer Frankens: Wäre es nicht sinnvoller, exportorientierte Betriebe, die hauptsächlich mit ausländischem Personal arbeiten, ins Ausland zu verlegen? Das Ausland ist zurzeit mehr auf Industriearbeitsplätze angewiesen als die Schweiz. Gleichzeitig kann sich die Schweiz damit vom Zuwanderungsdruck entlasten.
In Gerlafingen steht vor allem der italienische Betreiber in der Pflicht. Ihm sollte nicht erlaubt werden, mit dem Verweis auf Systemrelevanz seine eigene unternehmerische Verantwortung auf den Bundesrat und die Steuerzahlenden abzuwälzen.
„Bundessubventionen: Privilegien für wenige, finanziert von vielen
Eine Situation, in der zur Finanzierung eines Projekts wenige stark profitieren und gleichzeitig viele unmerklich belastet werden, gleicht einer öffentlichen Allmende. Mit dem Resultat, dass viele Anspruchsgruppen an die verlockenden Subventionstöpfe drängen, während kaum ein Politiker oder eine Politikerin Einhalt gebietet. Denn wer Subventionen ermöglicht, erhält dadurch Unterstützung und Stimmen. Die Allmende droht darum dauernd überlastet und übernutzt zu werden: Subventionen verleiten die Gesellschaft zum Überkonsum, ohne dass es jemand wirklich merkt oder beanstandet.
Das Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik zeigt auf, dass Subventionen im Umfang von 38 Mrd. Fr. aus wohlfahrtstheoretischer Sicht in ihrer Höhe fragwürdig bis überflüssig sind, also mehr Schaden als Nutzen generieren.
Es ist klar: Eine Konsolidierung des Bundeshaushalts ist immer schmerzhaft. Ebenso klar ist, dass dies den Widerstand vieler Anspruchs- und Empfängergruppen provoziert. Aber die Politik hat nicht die Aufgabe, diesen Gruppen zu gefallen, sondern den Bürger:innen und Steuerzahlenden zu dienen.“ (Christoph A. Schaltegger in Finanz und Wirtschaft vom 26.5.2023)
Den Subventionsdschungel roden!
Staatliche Eingriffe in private Märkte führen oft zu Folgeinterventionen und verhindern, dass sich Empfänger der Wohltaten rasch an sich verändernde Marktverhältnisse anpassen. Zur Kehrseite von Subventionen zählen nicht nur Protektionismus und Strukturerhaltung, sondern auch Marktverzerrungen und sogenannte Mitnahmeeffekte: Investitionen, zum Beispiel in Wärmepumpen, würden zu einem grossen Teil auch ohne Subventionen gemacht.
Darüber hinaus sind sie unfair. Wenige profitieren, die Zeche bezahlt die Allgemeinheit. Im Zusammenhang mit Subventionen wäre es ein kleiner Schritt in Richtung Transparenz, nicht vom Staat als Wohltäter und Almosengeber zu sprechen, sondern vom Tax Payer, vom Steuerzahler, wie dies im angelsächsischen Sprachraum eher üblich ist.