Frauen müssen definitiv bis 65 arbeiten
Gegnerinnen forderten eine Wiederholung der Abstimmung zur AHV-Reform. Denn: Die Zahlen, die als Hauptargument genutzt wurden, waren falsch. Jetzt ist klar: Daraus wird nichts.
Veröffentlicht am 12. Dezember 2024 - 18:45 Uhr
Es war ein knapper Entscheid: Vor rund zwei Jahren wurde das Schweizer Volk an die Urne gebeten, um über eine geplante Reform der AHV abzustimmen. Mit einem Ja-Anteil von 50,55 Prozent wurde die Vorlage angenommen, eine Anhebung des Frauenrentenalters auf 65 Jahre entschieden. «Die Finanzen der AHV und das Niveau der Rentenleistungen sind somit für die nächsten zehn Jahre gesichert», hiess es von Seiten des Bundes.
Im vergangenen August folgte der Paukenschlag: Die prognostizierten Zahlen über das fehlende Geld in der AHV-Kasse – ein Hauptargument für die Reform – sind falsch. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) gab zu, sich verrechnet zu haben. Und das ordentlich. Statt der errechneten sieben Milliarden Franken, die bis 2033 fehlen sollen, liegt das Defizit bei etwa vier Milliarden Franken. «Der AHV geht es besser als bisher angenommen», liess sich BSV-Direktor Stéphane Rossini in den Medien zitieren.
Wie relevant waren die falschen Zahlen für die Meinungsbildung?
Für Gegnerinnen der AHV-21-Reform war dieser Fehler eklatant: Man habe die Informationspflicht verletzt und die Meinungsbildung der Stimmberechtigten beeinflusst. Die Grünen und die SP-Frauen reichten Beschwerde ein, es wurde eine Wiederholung der Abstimmung gefordert. Ob es so weit kommen sollte, wurde am Bundesgericht in Lausanne behandelt.
Am Donnerstagmittag fiel der Entscheid: Über die AHV-Reform wird nicht neu abgestimmt. Zwar räumen die zuständigen Richterinnen und Richter ein, es seien Fehler gemacht worden. In der offiziellen Mitteilung heisst es aber: «Eine Aufhebung der Abstimmung fällt aufgrund der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes nicht in Betracht.» Was bedeutet das?
«Ob eine Fehlinformation der Stimmbevölkerung vorlag, kann offen bleiben.»
Bundesgericht
Rechtssicherheit, das heisst: Die Bevölkerung muss sich darauf verlassen können, dass Entscheide des Bundes auch Bestand haben. Am Donnerstag wurde dieses Argument so hoch gewichtet, dass die anderen Kriterien übergangen wurden. «Ob eine Fehlinformation der Stimmbevölkerung vorlag, kann offen bleiben», heisst es in der Mitteilung.
Für Felix Uhlmann, Rechtswissenschaftler und Professor an der Universität Zürich, kam das Urteil nicht überraschend. «Es bestätigt eine Tendenz des Bundesgerichts: Der Handlungsspielraum, einen Volksentscheid richterlich aufzuheben, soll nur in Ausnahmefällen genutzt werden.» Die Hürden dafür seien hoch: «Es braucht einen knappen Entscheid und einen wesentlichen Fehler, der das Ergebnis mutmasslich beeinflusst», so Uhlmann.
«Ob eine wesentliche Fehlinformation vorliegt, wurde vom Bundesgericht leider nicht geklärt.»
Felix Uhlmann, Rechtswissenschaftler
In diesem Fall habe die Störung der Rechtssicherheit aber eine höhere Priorität. «Ob eine wesentliche Fehlinformation vorliegt, wurde vom Bundesgericht leider nicht geklärt.»
Der Ausnahmefall «Heiratsstrafe»
In der Schweiz ist es bisher nur ein Mal vorgekommen, dass ein bereits angenommenes nationales Abstimmungsresultat nachträglich gekippt wurde. Im Jahr 2016 ging es um die Frage, ob und wie stark verheiratete Paare steuerlich benachteiligt würden.
«Beim Urteil zur Heiratsstrafe ging es um eine offensichtlich zentrale Frage, nämlich, wie viele Menschen konkret betroffen sind.»
Felix Uhlmann, Rechtswissenschaftler
Auch dort passierte dem Bund ein Fehler, die Betroffenheit wurde deutlich unterschätzt. «Beim Urteil zur Heiratsstrafe ging es um eine offensichtlich zentrale Frage, nämlich, wie viele Menschen konkret betroffen sind», so Uhlmann. Dennoch: Auch dort sei es streng genommen um geschätzte Zahlen gegangen. «Die Entscheide sind vergleichbar, da eine Prognose auch plausibel und für die Stimmberechtigten wichtig sein kann.»
- Medienmitteilung des Bundesgerichts zum AHV-Entscheid
- Abstimmungsergebnis «Stabilisierung der AHV» des Bundes von 2022
- Medienmitteilung des Bundes zum aufgehobenen Volksentscheid zur Heiratsstrafe
- Bund hat sich bei den AHV-Ausgaben verrechnet, Meldung SRF
- SP-Frauen und Grüne reichen Beschwerde gegen die AHV-Reform ein, Meldung SRF
2 Kommentare
Der Fehlentscheid des Bundesgerichts muss an den europäischen Gerichtshof in Strassburg weitergezogen werden.
Jawohl, dafür bin ich auch! Sogar das Bundesgericht ist rechtsgerichtet! Und die Politik „verrechnet sich“ vor den Abstimmungen eigentlich immer…..woran das wohl liegt????? Wir haben ein Rechtsparlament! „Es gilt die Unschuldsvermutung“…..aber vorsätzliche Lügen werden bei Parlamentarier/innen nie bestraft!