«Macht ihr mich glücklich?» Die Frage gilt den Wandersocken in meinen Händen. Dann streiche ich mit den Fingern über ihr grauschwarzes Gewebe. «Es kommt entscheidend auf den taktilen Reiz, auf die physische Kontaktaufnahme zu den Dingen an», schreibt Marie Kondo im Bestseller «Magic Cleaning». Schon über eine Million Exemplare des Ratgebers zum Thema Entrümpeln und Aufräumen gingen weltweit über die Ladentische. Grund genug, ihre Methode im Selbstversuch zu testen.

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Und nun sitze ich hier, vor dem Stapel mit Socken, Unterhosen sowie weiterer Unterwäsche. Und gemäss Marie Kondo muss ich bei jedem Wäschestück herausfinden, ob es mir «Erfüllung bringt und mich glücklich macht». Wenn nicht, wird es weggeworfen. Ich bin verunsichert: Bergen meine Wandersocken, die sich etwas starr anfühlen, überhaupt das Potenzial, mich zu «erfüllen»? Kann mir ein fusseliges Stück Gewebe ein Glücksgefühl vermitteln?

Erster Schritt: alles auf einen Haufen

Aufräumen, sich von Dingen trennen und Ordnung halten: Gemäss Klappentext kann dies mit «Marie Kondos bahnbrechender Methode, die auf wenigen simplen Grundsätzen beruht», höchst effektiv erledigt werden. So viel sei dazu schon verraten: Besonders innovativ erscheint mir die Methode nicht, und die wenigen simplen Grundsätze vermengen sich im Lauf der Lektüre dann doch zu immer mehr Prinzipien, die wiederum aus diversen Unterprinzipien bestehen. Ihre Methode nennt die Japanerin «Konmari». Sie beruht auf den folgenden Grundsätzen:

  1. Nie Stück für Stück oder Zimmer für Zimmer aufräumen – sondern alles in einem Rutsch, in kurzer Zeit und perfekt.

  2. Zum Aufräumen werden alle Dinge zuerst auf einem Haufen gesammelt.

  3. Dann entscheidet man, was davon weggeworfen werden kann.

  4. Diesen Entscheid fällt man aufgrund der Frage: «Macht es mich glücklich, wenn ich den Gegenstand in die Hand nehme?»

  5. Danach bekommt jeder Gegenstand, den man behält, seinen Platz zugewiesen.

  6. Dort müssen die Dinge richtig verstaut werden.

Von anderen Aufräummethoden unterscheidet sich «Konmari» vor allem im ersten Punkt: Üblicherweise wird dazu geraten, beim Aufräumen schrittweise vorzugehen. Nicht so bei Marie Kondo: «Nur durch das radikale Aufräumen in einem Rutsch wird ein drastischer Bewusstseinswandel ausgelöst.» Und: «Nur damit kann der heilsam-positive Schock der Ordnung voll erlebt werden.» Den zweiten Unterschied macht das esoterisch anmutende Zwiegespräch mit den Dingen aus.

Weg mit den Fussballschuhen

Nun sitze ich vor einem Stapel Schuhe. Zwar muss man laut «Konmari» alles in einem Rutsch entrümpeln, doch immerhin lässt die Japanerin zu, dass man nach Kategorien aufräumt: Hosen, Oberteile, Schuhe et cetera. Alles kommt auf einen Haufen: «Nur dadurch wird einem richtig bewusst, wie viel man eigentlich besitzt.» Bei mir sind es gerade mal 15 Paar Schuhe, aber einige davon machen es mir trotzdem schwer.

Die mit Kellerstaub gepuderten Fussballschuhe zum Beispiel. Macht ihr mich glücklich? Gerade jetzt zwar nicht. Aber was, wenn meine Kumpels und ich uns doch mal wieder zum regelmässigen Fussballspielen durchringen können? Wäre ich dann nicht unglücklich, hätte ich die Schuhe weggeschmissen? Und überhaupt: Ist ein Glücksgefühl nicht sowieso etwas total Volatiles? Solch zwiespältige Gedanken scheint Kondo auch zu kennen: «Nur wenn Intuition und Verstand sich einig sind, kann ganz einfach eine klare Entscheidung getroffen werden.» Anderseits sagt sie auch: «Wer zu einem Gegenstand kein eindeutiges Ja sagen kann, soll ihn fortwerfen.»

Für mich tönt das zuallererst nach Wegwerfgesellschaft, danach aber motiviert mich diese geforderte Radikalität doch, mich von den Fussballschuhen und anderem kaum getragenen Schuhwerk zu trennen.

Moooment, Frau Kondo!

Diese Entscheidungsschwierigkeiten zeigen sich genauso bei anderen Kategorien. Und auch dort ist Marie Kondo beinhart. Etwa bei den Fotos: «Es gibt nicht viele Dinge, die es lohnen, mit der Kamera festgehalten zu werden. Bei einem Landschaftsfoto, bei dem wir nicht genau wissen, wo das war, geht der Glücksfaktor gegen null.» Ihr Verdikt: wegschmeissen.

«Moooment!», rufe ich der japanischen Ordnungshüterin zu. Ich muss intervenieren. Das Bild eines Tals in Patagonien. Keine Ahnung, wo die Aufnahme genau gemacht wurde. Aber ich weiss noch: Es war der einzige windstille Tag – ein herrlicher Moment, damals. Das Bild bleibt in der Fotokiste! Erbarmungslos ist Kondo auch beim Glücksgefühl-Check der Bücher: «Auf keinen Fall darin blättern und lesen», befiehlt sie. Besser gleich weg damit. Warum? «Weil das Gefühl sonst womöglich vom Text überlagert würde.» Das ist nun doch ein veritabler Stich in mein Herz für Literatur. Was, wenn nicht der Text, macht ein Buch überhaupt erst aus?

Aber ich gebe nicht auf und widme mich nun dem letzten Teil von «Magic Cleaning», der sich damit beschäftigt, wie man nach dem Aussortieren die Sachen richtig verstaut. Kondo kennt etwa die einzig richtige Art, Kleider zusammenzulegen. Beziehungsweise, die Kleider selbst wissen das. Ich lese: «Das Kleidungsstück gibt Ihrer Seele zu verstehen, dass es genau so, und nicht anders, zusammengelegt werden möchte.» Von meinen Wandersocken, die übrigens den Glücksgefühl-Check erfolgreich bestanden haben, habe ich keine entsprechende Nachricht empfangen.

Alles falsch gemacht

Marie Kondo hilft: «Bitte, bitte merken Sie sich: Aus Strümpfen dürfen niemals unansehnliche Knäuel gemacht werden. Strumpfwaren generell lieben es nicht, wenn man sie auf links dreht.» Oje, ich habe es genau falsch gemacht. Mein Vergehen wiegt schwer. Kondo schreibt nämlich: Wenn die Strümpfe schon Schweiss und Reibung aushalten müssten, sollten wir ihnen wenigstens in der Schublade eine Ruhephase gönnen. Als Knäuel und erst noch auf links gedreht gehe dies unmöglich.

Soso, denke ich – und plötzlich macht sich in mir ein klares Gefühl bemerkbar: Was das Buch in meiner Hand angeht, scheinen meine Intuition und mein Verstand völlig im Einklang zu sein.

Entrümpeln: Die Methoden der anderen

Wer sich die Tipps und Tricks zum Thema Entrümpeln im Internet anschaut, merkt schnell: So neu und innovativ ist die Grundidee von Marie Kondo gar nicht. Der Hauptunterschied ist, dass die meisten im Gegensatz zu Kondo zu kleinen Schritten raten: Schublade um Schublade, Schrank um Schrank, Zimmer um Zimmer. Die Grundlage ist bei allen dieselbe: entscheiden, was wegmuss, was bleiben kann.

Nur gehen manche pragmatischer vor: Es geht nicht nur um das (Glücks-)Gefühl bezüglich eines Gegenstands. Sondern auch um Fragen wie: Habe ich das Ding überhaupt schon mal gebraucht? Werde ich es je wieder brauchen? Habe ich einen neueren Gegenstand, der die Funktion besser erfüllt? Könnte ich das Ding wieder besorgen? Und für die 08/15-Aufräumer gibt es auch nicht nur Behalten oder Wegwerfen. Viele schlagen vor, mit vier Kisten zu arbeiten: «Behalten», «Weggeben», «Wegwerfen» und «Unklar». Die «Unklar»-Kiste soll für ein Jahr auf den Estrich. Jeder Gegenstand darin, der einem nicht gefehlt hat, wird nach Ablauf der Frist entsorgt.