Er schaffte den Ausstieg aus der Sekte 

Samuel Zülli hat durchgezogen, was den meisten nicht gelingt: Er konnte sich aus den Fängen der totalitären Sekte Scientology befreien. 

Beobachter Prix Courage 2024: Samuel Zülli hat durchgezogen, was den meisten nicht gelingt: Er konnte sich aus den Fängen der totalitären Sekte Scientology befreien.
Quelle: Andrea Zahler

Samuel Zülli hatte keine Chance: Er wurde in die Organisation hineingeboren, von klein auf indoktriniert, physisch und psychisch misshandelt. Schon als 16-Jähriger gehörte er der englischen Sea Organisation an, der paramilitärischen Elitetruppe der Sekte. Ein Schulabschluss, geschweige denn eine weiterführende Ausbildung blieben ihm nach eigenen Aussagen verwehrt. Stattdessen musste er in der Küche schuften.

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Mit 17 realisiert Zülli, dass er homosexuell ist. Schwule gelten bei Scientology als eine der untersten Lebensformen, als hochgradig zerstörerisch, auf einer Stufe mit Drogenbossen und mit Hitler. Weil er der Organisation nicht schaden will, unternimmt er mehrere Suizidversuche, glücklicherweise erfolglos.

Nachdem er mit 20 zurück in die Schweiz kommt, schafft er es nach und nach, sich loszulösen, findet Leidensgenossen im Internet, schliesst eine Ausbildung zum Koch ab. Mit 25 erfolgt der totale Bruch mit der Sekte. Züllis Familienmitglieder, die nach wie vor Scientology-Anhänger sind, haben sich von ihm abgewandt. 

Mit seiner leidvollen Geschichte auf dem Weg zur Emanzipation geht Samuel Zülli nun an die Öffentlichkeit: «Ich möchte anderen Sektenangehörigen Mut machen, sich ebenfalls zu befreien.» 

Das Porträt von Samuel Zülli mit Podcast und Video finden Sie hier.

 

Sie kämpft für Menschen mit Long Covid

Chantal Britt wurde nicht verschont – und gründete die Patientenorganisation Long Covid Schweiz. Mit dieser setzt sie sich für Betroffene im ganzen Land ein.

Beobachter-Prix Courage 2024: Chantal Britt wurde nicht verschont – und gründete die Patientenorganisation Long Covid Schweiz. Mit dieser setzt sie sich für Betroffene im ganzen Land ein.
Quelle: Andrea Zahler

Im März 2020 fühlt sich Chantal Britt erst nicht fit, dann immer kränker. Was sie noch nicht ahnt: Sie wird es lange bleiben. Die heute 55-Jährige ist eine der Ersten, die in der Schweiz an Long Covid erkranken. 

Wenn sie ihren Körper falsch oder zu stark belastet, folgen Muskelschwäche und Schmerzen, kognitive Probleme und Herzrasen. Nur eins hilft: die Kontrolle zurückgewinnen. Aktiv bleiben, so gut es geht. 

Im Herbst 2020 gründet Britt zusammen mit anderen Betroffenen eine Facebook-Gruppe, ein halbes Jahr später Long Covid Schweiz. Die Patientenorganisation wird zum Sprachrohr einer Gruppe von Menschen, die allzu oft vergessen geht – und zur gefragten Ansprechpartnerin für Fachpersonen und Behörden. 

«Ich habe mich bewusst dafür entschieden, mit Gesicht und Namen hinzustehen. Für alle, die das nicht können», sagt Chantal Britt. Schwerstbetroffene werden dauerhaft bettlägerig und müssen künstlich ernährt werden. Doch Long Covid polarisiert. Das zeigen wütende Briefe, E-Mails und Anrufe von Impfkritikern und Verschwörungstheoretikerinnen. Der absurdeste Vorwurf: Der Verein sei schon vor der Pandemie gegründet worden.

Davon lässt sich Chantal Britt nicht aufhalten. Noch immer gebe es viel zu tun: für Erkrankte, aber auch im Gesundheitssystem. «Wir müssen am selben Strick ziehen, nicht ‹ellböglen›. Nur so erreichen wir die nötigen Veränderungen.» Daran glaube sie. «Ich bin ein positiver Mensch, das lasse ich mir nicht nehmen.» 

Das Porträt von Chantal Britt mit Podcast finden Sie hier.

 

Sie konfrontierte den Priester während der Beichte

Mélanie Bonnard wirft einem Geistlichen vor, sie als Kind missbraucht zu haben. Lange glaubt ihr niemand – dann geht sie in die Offensive.

Beobachter Prix Courage 2024: Mélanie Bonnard wirft einem Geistlichen der katholischen Kirche vor, sie als Kind missbraucht zu haben. Lange glaubt ihr niemand – dann geht sie in die Offensive.
Quelle: Andrea Zahler

Als Mélanie Bonnard zwölf Jahre alt ist, vergeht sich ein Priester der Abtei Saint-Maurice im Unterwallis an ihr, erzählt sie. Während des Taufessens ihres kleinen Bruders. «Ich erstarrte, konnte nicht einmal schreien», sagt die heute 32-Jährige. 

Sie erstattet Anzeige. Ein Gerichtspsychiater schätzt ihre Aussagen als «authentisch und glaubwürdig» ein. Dennoch wird das Verfahren später eingestellt. Das Ganze lässt Bonnard aber nicht los. Als junge Erwachsene konfrontiert sie den mutmasslichen Täter während der Beichte und filmt alles mit versteckter Kamera. Unter falschem Namen erzählt sie ihm ihre Geschichte. «Das scheint mir nicht allzu schlimm zu sein», fand der Priester. Für ihn gilt die Unschuldsvermutung.  

Im November 2023 strahlt der Sender RTS einen Beitrag über das Kloster aus. Mehrere Opfer sagen aus, darunter auch Bonnard. Der Beitrag rüttelt die Öffentlichkeit auf.

Eine Untersuchung wird eingeleitet, der Priester seiner Aufgaben enthoben. Im Mai 2024 tritt er deswegen in den Hungerstreik – und prompt setzen die Kirchenoberen ihn wieder ein, weil sie «Tote vermeiden» wollen. Inzwischen läuft noch ein weiteres Verfahren gegen den Geistlichen. «Man hat mir schon als Kind nicht geglaubt, und jetzt als Erwachsene auch nicht», sagt Mélanie Bonnard. Doch einfach ruhigstellen lässt sie sich nicht. Denn Bonnard will, dass pädophile Priester nicht mehr praktizieren dürfen. Und zwar nie mehr.

Das Porträt von Mélanie Bonnard mit Podcast und Video finden Sie hier.

 

Sie bewahrten eine Rollstuhlfahrerin vor dem sicheren Tod

Karin und Hans Dürrenberger retteten in gerade einmal 30 Sekunden ein Menschenleben – unter Gefahr für ihr eigenes.

Beobachter Prix Courage 2024: Karin und Hans Dürrenberger retteten in gerade einmal 30 Sekunden das Leben einer Rollstuhlfahrerin – unter Gefahr für ihr eigenes.
Quelle: Andrea Zahler

Am 9. Februar 2024 geht das Ehepaar Dürrenberger aus Rheinfelden BL mit dem Hund spazieren. Der Plan: nach Kaiseraugst zu Fuss, dann mit dem Zug zurück. Als sie in Kaiseraugst am Bahnhof ankommen, hören sie einen Hilfeschrei. Sie entdecken eine Rollstuhlfahrerin, die mitsamt ihrem Gefährt auf den Gleisen liegt. Die Frau ist offensichtlich zwischen dem Rollstuhl und dessen Motor eingeklemmt.

Ein Blick in beide Richtungen – kein Zug in Sicht. Die Dürrenbergers springen vom Perron hinunter aufs Trassee und versuchen, die Frau aus ihrer gefährlichen Lage zu befreien. Dann ein Schrei: Ein Zug kommt! Es ist der Interregio 36, unterwegs nach Rheinfelden.
 
Hans Dürrenberger springt hoch, seine Frau reicht der Rollstuhlfahrerin noch die Hand, rettet sich dann aber ebenfalls aufs Perron. Karin Dürrenberger spürt einen heftigen Schlag am Bein. Trotz Notbremsung kommt der Zug erst am Ende des Bahnhofs zum Stehen. Im Spital wird sich zeigen: Ihr Wadenbein ist mehrfach gebrochen, auch das Schienbein ist «abenand», genauso wie mehrere Mittelfussknochen. Schon am nächsten Tag wird sie operiert. Sie spürt die Folgen des Unfalls noch heute.

«Ich erwartete einen grauenhaften Anblick auf den Schienen», sagt Hans Dürrenberger. Doch wie durch ein Wunder wurde die Rollstuhlfahrerin nicht vom Zug erfasst. Das Wunder hat zwei Namen: Karin und Hans Dürrenberger.

Das Porträt von Karin und Hans Dürrenberger mit Podcast und Video finden Sie hier.

 

Sie prangerte Sexismus an, statt wegzuhören

Leandra Flury erlebte es am eigenen Leib: Sexistische Anfeindungen sind im Frauenfussball Alltag – und zugleich ein Spiegel der Gesellschaft. Sie will das nicht länger hinnehmen.

Beobachter Prix Courage 2024: GC-Fussballerin Leandra Flury erlebte es am eigenen Leib: Sexistische Anfeindungen sind im Frauenfussball Alltag. Sie will das nicht länger hinnehmen.
Quelle: Andrea Zahler

GC-Fussballerin Leandra Flury, 25, brennt auf einen Einsatz gegen den FC Basel, sie wärmt sich am Spielfeldrand auf. Da beginnen auf der Tribüne zwei Männer laut zu pöbeln. Als Flury sich dehnt, machen sie Stöhngeräusche, kommentieren ihren «geilen Arsch». Zwanzig Minuten dauern die Herabwürdigungen und sexistischen Beleidigungen. Niemand greift ein. 

Nur Flury selber wird aktiv: Sie will den grassierenden Sexismus auf dem Fussballplatz nicht länger überhören. Will sich nicht mehr machtlos ausgestellt fühlen und ihren Körper taxieren lassen. Nach dem Match schildert sie den Vorfall auf Instagram, emotional und unverblümt. «Ich wollte aufzeigen: Hey, schaut mal, solche Dinge passieren dir als Frau – nicht bloss im Sport, sondern überall.» 

Der Beitrag wird im Netz geteilt, wodurch der Übergriff schlagartig breite Beachtung findet – und die Sportlerin zur Fahnenträgerin einer öffentlichen Auseinandersetzung wird. Das Risiko, sich zu exponieren und dadurch erneut zur Zielscheibe zu werden, nimmt Flury auf sich: Dass diese Debatte endlich geführt wird, ist ihr das wert. 

Prompt erhält sie unliebsame Reaktionen, doch mehrheitlich gibt es Zuspruch. Frauen bedanken sich: «Endlich sagt mal jemand, wie es sich anfühlt, was wir im Alltag dauernd erleben.»

Das Porträt von Leandra Flury mit Podcast und Video finden Sie hier.

 

Prix Courage 2024: Wählen Sie Ihre Favoritin, Ihren Favoriten

Der Beobachter verleiht jedes Jahr den Prix Courage an inspirierende Menschen, die durch uneigennützige, unerschrockene und mutige Taten beeindrucken. Stimmen Sie jetzt ab: Wer ist Ihre Favoritin, Ihr Favorit?

Das Publikumsvoting läuft bis am 18. Oktober 2024. Danach werden jene drei Nominationen, die am meisten Stimmen erhalten haben, der Jury unter der Leitung Eveline Widmer-Schlumpf vorgelegt. Dieses Gremium entscheidet, wer den Prix Courage 2024 erhält. Am 21. November wird der Preis im Papiersaal in Zürich an die Gewinnerin, den Gewinner verliehen.

Hier können Sie Ihre Favoritin, Ihren Favoriten wählen:

Jetzt abstimmen

Abstimmen können Sie auch per E-Mail (prixcourage@beobachter.ch) oder brieflich (Redaktion Beobachter, Flurstrasse 55, 8021 Zürich).

Für Ihre ganz persönlichen Heldinnen und Helden

Jedes Jahr verleiht der Beobachter den Prix Courage an Menschen, die sich unerschrocken für andere einsetzen. Das ist richtig und wichtig.

Aber es gibt auch all die Menschen, die unser Leben mit ihren kleinen Heldentaten besser, leichter und schöner machen – indem sie uns den neuen Compi einrichten, die Kinder hüten, Katzen füttern. Menschen, die einfach da sind, wenn wir sie brauchen.

Leider sagen wir ihnen viel zu selten, wie viel uns das bedeutet.

Postkarte Du bist meine Heldin
Quelle: Sarina Joos

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