Aufgezeichnet von Daniel Benz:

Fussball spielen, ohne zu rennen? Als ich zum ersten Mal von Walking Football hörte, hatte ich gleich ein Bild im Kopf: Nietzsche, Sokrates, Marx oder Archimedes im «Spiel der Philosophen». In diesem wunderbaren Sketch der Komikertruppe Monty Python stehen die Figuren gedankenverloren auf dem Platz herum, kratzen sich an der Stirn und bewegen sich dann und wann mehr aus Zufall Richtung Ball. Eine merkwürdige Vorstellung für einen vergifteten Fussballer wie mich. Zumal meine Stärken gerade auch im läuferischen Bereich liegen.

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Trotzdem war ich vor vier Jahren sofort dabei, als mein Verein, der FC Brunnen, eine Fussballreise nach England plante. «Wir spielen gegen Ehemalige des FC Liverpool», hatte es geheissen. Das war natürlich ein Knüller – dass es dabei um Walking Football ging, war eher ein Nebenaspekt. Ich tschutte einfach gern, egal in welcher Form.

Jetzt hat mich der Gehfussball wieder eingeholt. Weil der Schweizerische Fussballverband Walking Football hierzulande etablieren will, wurden diesen Sommer in der Innerschweiz vier Pilotturniere durchgeführt. Die Idee hinter der neuen Spielform: frühpensionierte Hobbyfussballer wieder auf den Platz holen. Sozusagen als Anschlusslösung für diejenigen, denen der normale Fussball zu streng geworden ist, weil ihnen die Knochen wehtun. Die aber gleichzeitig nur ungern auf die «dritte Halbzeit» verzichten wollen.

Das Bier bleibt

Nach den ersten Einsätzen kann ich sagen: Beim Zusammenhöckeln und Biertrinken nach dem Match ändert sich nichts. Bei den Spielregeln aber fast alles. Rennen? Nicht erlaubt, auch nicht ohne Ball. Körperkontakt und Tacklings? Fehlanzeige. Kopfbälle? Kein Thema, weil der Ball nicht höher als einen Meter gespielt werden darf. Das entspricht der Höhe der Goals – umgedrehte Kleinfeldtore. Am schwierigsten ist das Nichtrennen. Denn die Grenzen zwischen Gehen, schnellem Gehen und eben doch Rennen sind fliessend. Da möchte ich nicht Schiedsrichter sein.

«Wir reden auf dem Feld mehr, weil wir weniger schnaufen müssen.»

Reto Inderbitzin, Walking Footballer

Ich werde oft gefragt, ob das überhaupt noch Fussball sei. Klar ist es das! Vieles, was das Spiel ausmacht, bleibt bestehen. Du machst immer noch Körpertäuschungen, brauchst eine gute Ballkontrolle, musst die Räume erkennen, in die du dich freilaufen kannst. Ah nein: freigehen. Und die Pässe müssen sogar noch genauer gespielt werden als sonst. Eine Steilvorlage in den «Lauf» eines gehenden Mitspielers ist die hohe Schule. Solche Pässe musst du schon sehr gut timen.

Und gleich ein Rekord

Was ebenfalls bleibt, ist dieser gewisse Ehrgeiz. Man kann sich noch so vornehmen, dass es gerade beim Walking Football nun wirklich um nichts geht. Aber wenn es draussen auf dem Feld eng wird, will man dann doch gewinnen. Beim Pilotturnier in Erstfeld habe ich in den Startminuten gleich drei Tore gemacht – der erste klassische Hattrick im Schweizer Walking Football. Ich gebe es zu: Das hat mich saumässig gefreut. So sind wir Fussballer eben, gehend oder rennend.     

Ich bin mit 58 immer noch bei den Veteranen des FC Brunnen aktiv. Fussball spiele ich seit der Juniorenzeit, später ging es hinauf bis in die 2. Liga, immerhin. In der ganzen Zeit habe ich mich zum Glück nie ernsthaft verletzt und würde mich als ziemlich fit bezeichnen. Rein vom Gesundheitlichen her muss ich also nicht Walking Football spielen. Die körperliche Belastung ist denn auch moderat. Was mir aufgefallen ist: Wir reden auf dem Feld mehr, weil wir weniger schnaufen müssen. Trotzdem hatte ich nach dem ersten Turnier tatsächlich Muskelkater – die langen Schritte sind ungewohnt.

Ich glaube, Walking Football hat genügend Potenzial, um eine Alternative im Fussballbetrieb zu sein. Es gibt reizvolle Aspekte, die man nur bei dieser Spielform findet: So spielen etwa Männer und Frauen zusammen, verschiedene Altersklassen. Das gefällt mir sehr. Jetzt muss es darum gehen, Walking Football noch bekannter zu machen. «Fussball für alte Leute mit Gehstock» – solche faulen Sprüche musste ich mir oft anhören. Sie zeigen, dass da noch völlig falsche Bilder vorherrschen.

Apropos Bilder im Kopf: Philosophen habe ich auf dem Fussballplatz noch keine getroffen.

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Quelle: Beobachter
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