Wie sich ein Emmentaler Bauer mit der Luftwaffe anlegt
Aus Sorge um sein Vieh liegt ein Landwirt aus dem Emmental im Dauerstreit mit der Luftwaffe. Die Geschichte eines Mannes, der nicht klein bei gibt.
aktualisiert am 22. Juni 2017 - 15:37 Uhr
Landwirt Leuenberger hat einen harten Grind. Wenn er das Gefühl hat, man nehme ihn nicht ernst, wird er schon mal laut: «Ich kann jähzornig sein.» Oder er lässt in E-Mails beissenden Sarkasmus aufblitzen: «Immer noch in Erwartung Ihrer umgehenden Informationen sende ich Ihnen Liebesgrüsse vom Vorder Buhus.» So erinnert Ulrich Leuenberger am 1. Oktober 2013 den Chef Schadenzentrum VBS nach wochenlangem Warten daran, dass da noch Fragen offen sind. Um Liebe gehts beim Austausch zwischen dem Bauernhof ob Trubschachen BE und den Funktionären der Schweizer Luftwaffe nicht, sondern um das Gegenteil davon. Es herrscht Kleinkrieg.
Grund ist das Schicksal von Piasca. Das Rind aus bester Abstammung, in der Tierverkehrsdatenbank mit der Nummer CH 120.0912.2254.8 eingetragen, verunfallt im August 2013 auf der Weide oberhalb des Hofs tödlich. Dies, und daran gibt es für Leuenberger nicht den Hauch eines Zweifels, nachdem das Tier durch das Landemanöver eines Armeehelikopters in Panik geraten und auf der Flucht im stotzigen Gelände ausgerutscht ist.
Piasca, im neunten Monat trächtig, war das beste Stück im Stall von Vorder Buhus: 20 Hektaren Land, 15 Rinder, ein Dutzend Milchkühe, einige Esel. Auf 6000 Franken schätzt Leuenberger den materiellen Verlust. Und dazu: «keine Nachzucht». Für die Entsorgung des Kadavers bezahlt ihm die Versicherung 1000 Franken, von Seiten der Armee kommt – kein Rappen.
In den Tod stürzt das Rind beim Vermessungspunkt 1138, der auf der Schweizer Karte auf der Linie zwischen Napf und Niesen liegt und die Höhe über Meer angibt. Dort, auf einem Bödeli mit Lindenbaum, führt die Luftwaffe Landeübungen mit Helikoptern durch; auch in jenen Hochsommertagen vor vier Jahren gibt es rege Flugbewegungen. Vom Hof aus ist die dahinterliegende Weide auf der Südseite, auf der Piasca den Halt verlor, nicht einsehbar. Daher kann man letztlich nicht beweisen, dass ein Heli das Tier gescheut hat. Darauf, dass einer der Piloten von sich aus eine Meldung gemacht hätte, wartet Leuenberger vergeblich. «Es gehört wohl zu den Tugenden solcher Leute, ohne handfesten Beweis nichts zuzugeben», giftet es daraufhin von Gotthelfs Scholle hinunter nach Bern zum VBS.
«Betreff: Re: AW: AW: AW: Ihr verunfalltes Rind Piasca» – am Ende des Mail-Disputs bekommt der Bauer aus dem Emmental statt Schadenersatz bloss wohlgefälligen Zuspruch. «Als jemand, der früher selber in der Landwirtschaft tätig war, kann ich Ihren Verdruss sehr gut nachvollziehen», schreibt der Chef Schadenzentrum. Dazu der Hinweis, wie bei künftigen Ereignissen ein Schaden anzumelden sei. Damit gerät er bei Leuenberger an den Falschen: «Ich will keine Schäden melden. Ich will Schäden vermeiden.»
«Die von der Luftwaffe führen sich auf, als gäbe es die Schweiz nur noch ihretwegen.»
Leuenberger, bald 73, kariertes Hemd in grober Hose, graue Haare und Schnauz. Verheiratet, drei Kinder, vier Enkel. Er ruht in sich, wie er da in der Stube seines Hauses mit Weitblick auf die Emmentaler Hügel sitzt, von seinen Tieren erzählt, davon, wie er vom Käser zum Bauern umsattelte, um seinem Sohn, einem Meisterlandwirt, auf Vorder Buhus zur Seite zu stehen. Anfang Jahr hat er den Betrieb ganz dem Sohn überschrieben, packt aber weiter mit an. Und kümmert sich um «die Sache».
Er sei nicht gegen das Militär, sagt Leuenberger, so einer sei er nicht. War ja früher lange genug selber in Grün, bei der Kavallerie. Aber die Herren von der Luftwaffe – und jetzt kippt sein freundliches Wesen schlagartig um –, die von der Luftwaffe, die brächten ihn zur Weissglut. «Führen sich auf, als gäbe es die Schweiz nur noch ihretwegen», wettert er. Die flache Hand kracht auf den Tisch. Zugabe, galliger Unterton: «Und mit Zivilisten wie mir, da kooperiert man doch nicht!»
Leuenbergers Land, auf dem der Vermessungspunkt 1138 liegt, gehört zum Trainings-Luftraum Hohgant. Nach Militärgesetz, Artikel 134, dürfe die Armee und damit auch die Luftwaffe dort grundsätzlich privates Land für Ausbildung, Training und Einsätze benutzen, erläutert Delphine Allemand, Sprecherin der Luftwaffe, die Rechtslage. Und ergänzt: «Der besagte Landeplatz wird durch unsere Helikopter nicht regelmässig angeflogen.»
Nun ist Regelmässigkeit ein dehnbarer Begriff. Landwirt Leuenberger, der seit dem Vorfall mit Piasca in ständiger Sorge um sein Vieh lebt, haut jedenfalls durchaus regelmässig in die Tasten seines Computers oder greift enerviert zum Telefon, um sich zu beschweren, wenn seine Tiere «von der Luftwaffe attackiert werden».
So geschehen etwa am 1. Juni 2016, 18 Uhr, als ein tieffliegender Armeeheli die weidende Herde aufschreckt, so dass die Tiere im Galopp das Weite suchen. Prompt macht Leuenberger gegenüber dem Verantwortlichen der Einsatzzentrale in Dübendorf «meinen Emotionen Luft», wie er es ausdrückt – und erhält kurz darauf die Auflage, den pikierten Obersten im Generalstab nicht noch einmal zu kontaktieren.
Oder zuletzt am 8. Mai 2017, 14.20 Uhr, dokumentiert mit Handyfotos: «Erneut treibt ein Super Puma unsere Rinder in die Flucht», mailt der streitbare Mann aus dem Emmental. Zuerst habe der Heli im Tiefflug den Landeplatz von Süden her angeflogen, um dann aus Norden einen zweiten Anflug durchzuführen. Mittendrin im Manöver: Leuenberger, auf dem Vorplatz seines Hofs stehend, ausser sich vor Wut, die Faust zum Himmel gereckt. «Eine Provokation», vermutet er. Man wolle ihn abstrafen, weil er ständig interveniere, auch bei Luftwaffenkommandant Schellenberg höchstselbst.
Genützt hat es nicht viel. Dass man ihm nicht zuhört, ihn bloss abwimmelt, das sei frustrierend. Doch schon meldet sich der Sarkasmus zurück: «Moll, moll, sie hören mir schon zu. Das sind dort offenbar alles ehemalige Bauern, die immer vollstes Verständnis haben. Aber sie tun nichts!»
Deshalb hat Leuenberger zur Selbsthilfe gegriffen. Oben beim Vermessungspunkt pflanzte er eine sechs Meter hohe Eisenstange ein, um den Helis das Landen zu verunmöglichen. Als er die Einsatzzentrale über diese «Abwehrmassnahme» informiert habe, hätten sie am anderen Ende der Leitung erst leer geschluckt und ihn dann gebeten, er möge am Ende der Stange doch ein Fähnchen montieren, damit die Piloten das Hindernis besser sehen. Aber: «Chasch dänke.» Ein verschmitztes Lächeln huscht über sein Gesicht.
Was wünschen Sie sich von der Luftwaffe, Ulrich Leuenberger? «Mehr Rücksicht.» Dass die Helis anderswo landen, wenn die Piloten sehen, dass Tiere auf der Weide sind. Dass sie ihre Übungen in den 200 Tagen im Jahr machen, wenn keine Weidezeit ist. Oder, wenn schon, die Manöver vorher ankündigen, damit er das Vieh an diesem Tag im Stall lassen kann.
Der Furor des Landwirts vom Vorder Buhus kontrastiert mit der betonten Sachlichkeit – Leuenberger würde sagen: Unverbindlichkeit –, mit der die Luftwaffe die Lage beurteilt. Die Landeorte bei Trainingsflügen würden oft kurzfristig festgelegt, eine Vorinformation sei daher weder praktikabel noch verhältnismässig, sagt Sprecherin Allemand. Bei der Ausbildung lege man aber grossen Wert auf die Umweltsensibilisierung der Piloten und versuche, wenn immer möglich Rücksicht zu nehmen. «Doch leider sind Menschen und Tiere aus der Luft nicht bereits aus grosser Distanz erkennbar, weshalb Störungen nicht ausgeschlossen sind.»
«Ja, aber»: Das wird Bauer Leuenberger nicht zufriedenstellen, zu oft hat er diese Ausflüchte gehört. Er möchte Gewissheit, dass den Tieren nicht noch einmal etwas passiert, «erst dann gebe ich Ruhe». Zwischen Trubschachen und den Funktionären der Luftwaffe dürften auch künftig liebevolle Mails ausgetauscht werden.