Schwangerschaftsabbruch – was in der Schweiz gilt
In den USA wurde das Recht auf Abtreibung abgeschafft. In der Schweiz gilt seit 20 Jahren die Fristenregelung. Was sie für Frauen bedeutet.
Veröffentlicht am 30. Mai 2022 - 11:54 Uhr,
aktualisiert am 19. August 2022 - 09:33 Uhr
Das oberste Gericht der USA, der Supreme Court, hat das Recht auf Abtreibung gekippt. Damit gelten wieder die Gesetze in den einzelnen Bundesstaaten. Einige der streng konservativen haben sofort Vorschriften verabschiedet, die Schwangerschaftsabbrüche generell verbieten. Weitere Bundesstaaten werden vermutlich folgen. Hilfsorganisationen befürchten, dass Schwangere in diesen Staaten nun öfter illegal abtreiben werden und in manchen Fällen dabei ihre Gesundheit aufs Spiel setzen.
Auch in der Schweiz sehen einige Politikerinnen und Politiker das Recht auf Abtreibung in Gefahr. Letzten Dezember haben verschiedene SVP-Nationalrätinnen und -Nationalräte – darunter Andrea Geissbühler und Yvette Estermann – zwei Initiativen lanciert, die eine Einschränkung des Abtreibungsrechts vorsehen. Die erste will einen Tag Bedenkzeit vor jedem Schwangerschaftsabbruch einführen. Die zweite hat zum Ziel, ungeborenen Babys ein Recht auf Leben zuzugestehen, wenn sie ausserhalb des Mutterleibs überleben und atmen könnten. Sie richtet sich gegen die Praxis der Spätabtreibungen. Die statistische Grenze für die Lebensfähigkeit des Kindes nach einer Frühgeburt liegt zwischen der 23. und 25. Schwangerschaftswoche, sofern es intensivmedizinisch gepflegt wird.
Die Sammelfrist für beide Volksbegehren endet im Juni 2023. Insgesamt haben die Initiantinnen 18 Monate Zeit, um für ihre Anliegen je 100'000 Unterschriften zu sammeln.
Die Fristenlösung sei das Resultat eines harten Kampfes, der auch heute noch täglich weitergeführt werden müsse, schreiben die Juso und die SP-Frauen in einer Mitteilung zum 20-Jahre-Jubiläum der Fristenlösung. Das Thema müsse entstigmatisiert und es sollen Wege aufgezeigt werden, wie die Lage der Betroffenen verbessert werden könne. Es brauche mehr Unterstützungsangebote und mehr Sensibilisierung des Gesundheitspersonals, und Schwangerschaftsabbrüche müssten von der Krankenkassenfranchise ausgenommen werden.
Doch welche Regelungen und Bedingungen gelten hierzulande eigentlich?
- Wie viele Schwangerschaften werden abgebrochen in der Schweiz?
- Seit wann können Frauen in der Schweiz ihre Schwangerschaft abbrechen?
- Bis wann ist eine Abtreibung möglich?
- Wo können sich betroffene Frauen melden?
- Was muss erfüllt sein, damit eine Schwangerschaft abgebrochen werden darf?
- Wer übernimmt bei einer Abtreibung die Kosten?
- Ist vor dem Abbruch der Schwangerschaft eine Bedenkzeit der Betroffenen erforderlich?
- Brauchen Minderjährige die Zustimmung ihrer Eltern?
- Könnte das Bundesgericht das Abtreibungsgesetz in der Schweiz auch plötzlich ändern, wie dies der Supreme Court in den USA getan hat?
Wie viele Schwangerschaften werden abgebrochen in der Schweiz?
Im internationalen Vergleich werden in der Schweiz wenig Schwangerschaften abgebrochen. Im Jahr 2020 entschieden sich insgesamt rund 11'000 Frauen für einen Schwangerschaftsabbruch. Die meisten davon wurden in den ersten acht Schwangerschaftswochen durchgeführt.
Seit wann können Frauen in der Schweiz ihre Schwangerschaft abbrechen?
Die Schweizer Stimmberechtigten sprachen sich im Juni 2002 für die Fristenregelung aus. Sie trat noch im selben Jahr in Kraft, am 1. Oktober. Seither ist ein Abbruch der Schwangerschaft in den ersten drei Monaten legal.
Bis wann ist eine Abtreibung möglich?
Bis zur zwölften Schwangerschaftswoche, also innerhalb von zwölf Wochen seit Beginn der letzten Periode. Nach dieser Frist ist ein Abbruch nur noch möglich, wenn die physische und/oder psychische Gesundheit der Frau gefährdet ist. Die Beurteilung und die Entscheidung, ob eine Abtreibung dann noch in Frage kommt, liegen bei einer ärztlichen Fachperson.
Wo können sich betroffene Frauen melden?
Kommt es zu einer ungewollten Schwangerschaft, können sich Frauen und auch ihr Umfeld vertraulich bei einer kantonal anerkannten Beratungsstelle beraten lassen. Das Gespräch ist kostenlos und freiwillig. Ziel der Beratung ist, die Betroffenen beim Entscheidungsprozess zu unterstützen, sie über Risiken und Methoden des Schwangerschaftsabbruchs aufzuklären und bei der Vereinbarung eines Termins zu unterstützen. Auch allfällige psychische Belastungen und mögliche finanzielle Unterstützung für die Betroffenen sollen besprochen werden.
Was muss erfüllt sein, damit eine Schwangerschaft abgebrochen werden darf?
Entscheidet sich eine Frau für einen Abbruch, ist zuerst ein obligatorisches Vorgespräch mit einem Arzt oder einer Ärztin erforderlich. Die Frau wird dabei über die verschiedenen Methoden eines Abbruchs, über die medizinischen Risiken und über Verhütungsmittel informiert. Dieses Gespräch kann einige Tage davor oder auch direkt vor der Behandlung stattfinden. Ein paar Tage danach findet nochmals eine Nachkontrolle statt.
Wer übernimmt bei einer Abtreibung die Kosten?
Die Preise eines Schwangerschaftsabbruchs variieren je nach Methode und Kanton und liegen zwischen 600 und 3000 Franken. Sie werden nach Abzug der Franchise und des Selbstbehalts von der Grundversicherung übernommen.
Ist vor dem Abbruch der Schwangerschaft eine Bedenkzeit der Betroffenen erforderlich?
Im Schweizerischen Strafgesetzbuch ist keine Bedenkzeit vorgeschrieben. Sie ist also nicht obligatorisch.
Brauchen Minderjährige die Zustimmung ihrer Eltern?
Nein. Die Person muss aber urteilsfähig sein. Für Mädchen und Jugendliche unter 16 Jahren ist ein vorgängiges Beratungsgespräch bei einer anerkannten Beratungsstelle obligatorisch.
Könnte das Bundesgericht das Abtreibungsgesetz in der Schweiz auch plötzlich ändern, wie dies der Supreme Court in den USA getan hat?
Nein, meint Pierre Tschannen, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Uni Bern. Das Bundesgericht habe keine Möglichkeit, ein Bundesgesetz aufzuheben oder abzuändern. Die Bestimmung des Strafgesetzbuchs, dass Schwangerschaftsabbrüche legal sind, sei für das Bundesgericht unabänderlich. Geändert werden könne das nur durch das Parlament.
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