Strafbar oder einfach nur daneben?
Fremdenfeindliche Begebenheiten aus dem schweizerischen Alltag, beurteilt von Marcel A. Niggli, Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Freiburg.
Sachverhalt: Im Eingangsbereich eines Mehrfamilienhauses wird anonym ein Flugblatt aufgehängt: «An die Jugos im 3. Stock: Entsorgt euren Abfall gemäss Hausordnung! Wir sind hier schliesslich nicht in eurem Drecksland!»
Nigglis Beurteilung: Schwierig zu beurteilen. Das Flugblatt müsste unter dem Aspekt der Ehrverletzung geprüft werden. Moniert wird ein konkreter Sachverhalt, es werden keine allgemeinen Aussagen über eine bestimmte Gruppe gemacht. Zwar wird das Herkunftsland als «Drecksland» bezeichnet, aber das dürfte als Tatbestand im Sinne der Antirassismus-Strafnorm nicht ausreichen. Der Vorfall erscheint mehr als Beleidigung denn als Diskriminierung.
Sachverhalt: Eine Pflegerin brasilianischer Herkunft erhält auf ihre Bewerbung bei einem Spitex-Dienst eine Absage mit der schriftlichen Begründung: «Es kann unseren betagten Patienten nicht zugemutet werden, sich mit einer dunkelhäutigen Hauspflegerin konfrontiert zu sehen.»
Nigglis Beurteilung: Das dürfte gegen Absatz 5 der Antirassismus-Strafnorm verstossen, die so genannte Leistungsverweigerung. In der Praxis ist bislang jedoch noch nicht geklärt, ob auch Arbeitsstellen durch diesen Absatz erfasst werden.
Sachverhalt: Ein Brauchtums-Verein hat in seinen Statuten explizit festgehalten: «Die Mitgliedschaft steht nur Schweizern offen.»
Nigglis Beurteilung: Das ist nach schweizerischen Strafgesetzbuch zulässig. Eine sogenannte positive Diskriminierung — also eine Beschränkung des Angebots auf eine bestimmte Gruppe, insbesondere eine nationale Gruppe — ist nicht strafbar.
Sachverhalt: Ein kroatischer Familienvater freut sich, dass er eine grössere Wohnung gefunden hat. Der private Vermieter macht den Vertragsabschluss allerdings davon abhängig, dass der neue Mieter nicht wie üblich einen, sondern drei monatliche Mietzinse als Kaution hinterlegt. Auf Nachfrage rechtfertigt sich der Vermieter: «Ich muss mich absichern, sonst werde ich hinterher übers Ohr gehauen. Man macht ja so seine Erfahrungen mit Leuten aus diesen Ländern.»
Nigglis Beurteilung: Eine Diskriminierung im Bereich der Leistungsverweigerung besteht nicht nur dann, wenn eine Leistung insgesamt verweigert wird, sondern auch dann, wenn Bedingungen gesetzt werden, die von anderen Gruppen nicht verlangt werden. Das ist hier mit der erhöhten Kaution klar der Fall. Allerdings ist in der Praxis umstritten, ob der Artikel der Leistungsverweigerung auch Mietverträge erfasst.
Sachverhalt: Ein tamilischer Küchenangestellter wird von seinen gleichgestellten Arbeitskollegen herumkommandiert und andauernd mit Tamilen-Witzen blossgestellt. Der Mann beklagt sich beim Chef, doch der hat kein Musikgehör: «Geh doch, wenn es dir hier nicht passt.»
Nigglis Beurteilung: Das blosse Witzeln mag unangenehm sein, strafrechtlich relevant ist es jedoch nicht. Arbeitsrechtlich könnte dem Arbeitgeber indes die Pflicht zukommen, derartige Vorkommnisse (Mobbing) abzustellen.
Sachverhalt: Ein Wohnungsinserat in der Zeitung enthält den Zusatz: «Keine Türken und Ex-Jugoslawen.»
Nigglis Beurteilung: Es ist umstritten, ob der Passus der Leistungsverweigerung auf Wohnungsvermietungen anwendbar ist. Die Formulierung im Inserat selbst jedoch dürfte Absatz 4 der Strafnorm erfüllen, die öffentliche Diskriminierung.
Sachverhalt: Obwohl er schon länger am Taxistand wartet und mehrere Wagen frei sind, wird ein Schwarzer von den Chauffeuren geflissentlich ignoriert. Andere Wartende, dem Aussehen nach Einheimische, werden hingegen sofort bedient.
Nigglis Beurteilung: Hier gibt es keine Zweifel: Ein Taxi ist eine für die Allgemeinheit bestimmte Leistung — jemanden davon auszuschliessen, erfüllt den Tatbestand der Leistungsverweigerung. Allerdings wird es nicht einfach nachzuweisen sein, dass es sich um eine Diskriminierung wegen der Hautfarbe handelt.
Sachverhalt: Grümpelturnier: In bierseliger Stimmung machen Zuschauer Affengeräusche, wenn ein dunkelhäutiger Spieler an den Ball kommt.
Nigglis Beurteilung: Das dürfte unterhalb der Schwelle der Rassendiskriminierung liegen. Doch stellt sich auch hier die Frage nach der Ehrverletzung, ähnlich wie dann, wenn man jemanden als «Esel» oder «Schwein» tituliert.
Sachverhalt: Ein Arbeitgeber will für die frei gewordene Stelle in seinem Gewerbebetrieb keinesfalls einen Ausländer einstellen. Öffentlich will es das aber nicht sagen. Deshalb formuliert er das Stelleninserat so: «Voraussetzung ist Deutsch als Muttersprache.»
Nigglis Beurteilung: Strafrechtlich ist das nicht zu beanstanden. Sprachkenntnisse sind wichtig. Abzuklären wäre höchstens, inwieweit diese Forderung sachfremd ist, weil Sprachkenntnisse für eine bestimmte Stelle gar nicht notwendig sind. Aber selbst wenn eine Diskriminierung als eigentliches Motiv des Arbeitgebers im Raum steht, handelt es sich nicht um eine strafrechtsrelevante Diskriminierung. Die Einschränkung eines Angebots auf eine bestimmte Nationalität ist zulässig.