Die Liste der ganz oder teilweise steuerbefreiten Organisationen im Kanton Zürich ist eigentlich ein Buch: 109 Seiten, mehr als 5500 Vereine, Stiftungen und weitere Institutionen. Offenbar ist man in Zürich grosszügig mit den Steuerbefreiungen, könnte man meinen. Doch das wäre ein Fehlschluss.

Das musste David Siems erfahren. Siems ist Vorstandsmitglied des Vereins Selbstbestimmung.ch. Die Organisation setzt sich ein für die Anliegen von Menschen mit Behinderung und deren Recht auf Selbstbestimmung. Unter anderem betreibt sie eine Website, auf der sie Nachrichten aus dem Behinderten- und Sozialversicherungswesen verlinkt und teils recht bissig kommentiert. Der Service wird laut Siems auch von Fachleuten rege genutzt. Selbstbestimmung.ch macht sich insbesondere stark für barrierefreies Webdesign, das auch Seh- oder Hörbehinderten zugänglich ist. Ein Projekt, mit dem man Webagenturen auf die Problematik aufmerksam machen und schulen will, ist in Vorbereitung.

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Weg zu Spendengeldern ist verbaut

Doch Selbstbestimmung.ch ist ein kleiner Verein mit wenigen Mitgliedern, die meist von IV-Renten oder von Sozialhilfe leben. Um Spenden für seine Arbeit zu erhalten, ist es wichtig, dass der Verein von der Steuerpflicht befreit wird. Denn gemeinnützige Stiftungen, von denen man Unterstützung erhoffen könnte, berücksichtigen selber nur steuerbefreite, als gemeinnützig anerkannte Vereine. Und private Spender können ihre Beiträge nur dann von der Steuer abziehen, wenn sie an steuerbefreite Organisationen gehen.

Dem Verein bleibt nur der Rechtsweg - und der kostet. Jetzt werden dazu Spenden gesammelt.

Siems stellte also ein entsprechendes Gesuch. Die Standortgemeinde Dübendorf stimmte dem Antrag auf Steuerbefreiung zu, zuständig ist aber der Kanton. Und von dort kam ein anderes Echo: Der Verein habe ideelle Zwecke und vertrete «mit Vehemenz» Forderungen einer Anspruchsgruppe. Er verfolge somit primär eigene Interessen und greife in den öffentlichen Meinungsbildungsprozess ein. Kurz: Das Steueramt erachtet die Behindertenorganisation als politische Gruppierung – damit geht sie steuerrechtlich nicht als gemeinnützig durch.

Manchmal zeigt das Amt viel Fantasie

Siems besserte sein Gesuch nach und ging ausführlich ein auf die gemeinnützigen Aktivitäten und den weit gefassten Nutzerkreis, nämlich alle Menschen mit Behinderung. Doch das Steueramt blieb dabei: Die «primär politische Tätigkeit» des Vereins lasse eine Steuerbefreiung nicht zu. Erstaunlich daran: Es gibt im Kanton Zürich durchaus Organisationen, die man als «primär politisch tätig» bezeichnen könnte, die aber dennoch Steuerbefreiung geniessen.

Das Liberale Institut etwa gehört dazu: ein Thinktank, der mit Studien und Vorträgen seine wirtschaftsliberale Weltanschauung unter die Leute bringt. Oder die Offiziersgesellschaft, die sich gemäss ihrer Website «aktiv für die Belange der Sicherheitspolitik bei Abstimmungskämpfen, der Gestaltung von Rechtsgrundlagen und der Weiterentwicklung der Armee» einsetzt. Man kann mit etwas Fantasie und der rechten politischen Gesinnung sicher hinter beiden Organisationen auch so etwas wie Gemeinnützigkeit ausmachen. Doch bei Siems’ Antrag fehlte dem Steueramt offenbar jegliche Fantasie.

«Mir geht es keinesfalls darum, gleichgesinnten Organisationen die Steuerbefreiung abzusprechen. Aber der Vergleich verdeutlicht, wie merkwürdig der Entscheid in unserem Fall ist.»

David Siems, Vorstandsmitglied bei selbstbestimmung.ch

Das war auch schon anders, wie ein Blick auf die Liste der steuerbefreiten Organisationen zeigt. Da finden sich Vereine, die identische Zwecke verfolgen wie Selbstbestimmung.ch. Etwa die Genossenschaft Selbstbestimmtes Leben, aus der Selbstbestimmung.ch sogar hervorgegangen ist; ebenso als gemeinnützig eingestuft wird die Gruppe Mitsprache, eine Gruppierung von Menschen mit Handicaps, die sich für ihre Selbstbestimmungsrechte einsetzt. «Mir geht es keinesfalls darum, gleichgesinnten Organisationen die Steuerbefreiung abzusprechen», sagt David Siems. «Aber der Vergleich verdeutlicht, wie merkwürdig der Entscheid in unserem Fall ist.»

Wie kommt es dazu? Beim kantonalen Steueramt ist wenig Erhellendes zu erfahren. «Juristische Personen, die statuarisch und tatsächlich die gleichen Tätigkeiten verfolgen und alle Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung erfüllen, werden gleichermassen steuerbefreit», sagt Mediensprecher Roger Keller. Zu einzelnen Organisationen könne man wegen des Steuergeheimnisses aber keine Auskunft geben. Grundsätzlich stütze sich Zürich bei der Beurteilung der Gesuche wie alle Kantone auf ein Kreisschreiben der Eidgenössischen Steuerverwaltung. Nur: Dieses ist alles andere als glasklar. Der Ermessensspielraum für die Beurteilung der Gemeinnützigkeit ist so gross, dass Ungleichbehandlungen programmiert sind – vermutlich auch in anderen Kantonen und zwischen ihnen sowieso. 

Gerade in Bezug auf politische Aktivitäten gibt es frappante Unterschiede. Im Kanton Bern etwa sind dank einer Sonderregelung sogar politische Parteien nicht steuerpflichtig, während in St. Gallen jegliche politische Tätigkeit als Ausschlusskriterium gewertet wird. Im Aargau wiederum kommt es darauf an, ob eine Institution politische Ziele verfolgt oder ob sie zur Erreichung eines gemeinnützigen Ziels politische Mittel einsetzt. Nur im zweiten Fall kann sie von der Steuerpflicht befreit werden.

Der Verein kämpft weiter

Für David Siems’ Verein Selbstbestimmung.ch bleibt der Rechtsweg. Und der ist nicht gratis: Um überhaupt eine rekursfähige Verfügung zu erhalten, muss er erst mal 1500 Franken hinblättern. Die hat er nicht. «Genau darauf hat das Steueramt wohl spekuliert», sagt Siems. Klein beigeben wollen er und die anderen Vorstandsmitglieder aber nicht, im Gegenteil: «Wir sammeln jetzt Spenden.»