Ein goldener Chip und viele rote Köpfe
Ab 2013 sind Ärzte verpflichtet, auf der elektronischen Versichertenkarte zu prüfen, ob eine Patientenverfügung vorliegt. Das wird kaum ein Arzt tun können.
Veröffentlicht am 20. November 2012 - 08:40 Uhr
Die Ärzte sind verärgert und das Bundesamt für Gesundheit (BAG) ist machtlos. Grund für die Aufregung ist ein goldener Chip, der sich auf der neuen Versichertenkarte befindet, die mittlerweile alle Krankenkassen verschickt haben. Dort sollten das gesamte medizinische Personal, Apotheker und Krankenkassen ab 2013 Notfalldaten hinterlegen können, darunter auch die Information, ob der Versicherte eine Patientenverfügung besitzt. Mit dieser kann jeder schriftlich festhalten, welche medizinischen Massnahmen er wünscht, sollte er sich irgendwann nicht mehr dazu äussern können. Ärzte sind ab Januar 2013 gesetzlich verpflichtet, die Karte auf einen entsprechenden Hinweis zu prüfen.
Für das Lesen und Beschreiben dieser Karte ist ein spezielles Gerät nötig. Zwei Hersteller bieten es an, doch da sie nicht denselben technischen Standard verwendeten, ist eine zusätzliche Software nötig, damit dasselbe Gerät für alle Karten benutzt werden kann.
Dass es überhaupt zu diesen unterschiedlichen Ausführungen kommen konnte, ist gemäss einem Expertenbericht, den das BAG in Auftrag gegeben hatte, auf eine «unzureichende Koordination und Zusammenarbeit» zurückzuführen. «Grundsätzlich ist es seit Ende Oktober technisch möglich, die medizinischen Notfalldaten auf die Versichertenkarte zu speichern», erklärt Sandra Schneider, Leiterin der Abteilung Leistungen beim BAG. Doch eben nur grundsätzlich. Wann genau diese zusätzliche Software für die Fachpersonen verfügbar sein wird, kann das BAG nicht sagen. Um ab Januar nach geltendem Recht zu handeln, müssten Hausärzte und Spitäler somit zwei Geräte anschaffen, um die Karten beider Hersteller bedienen zu können. Sobald die Software verfügbar ist, wird eins der beiden Geräte überflüssig.
Entsprechend gross ist die Verwirrung in den Kantonen, wie eine Umfrage des Beobachters zeigt. «Wir wissen erst seit Herbst, dass eine solche Neuerung in Kraft tritt. Es ist absolut unmöglich, eine so gewichtige Veränderung in nicht einmal vier Monaten umzusetzen», kritisiert Hansjörg Looser, Verantwortlicher für E-Health im Kanton St. Gallen, und fasst damit den Tenor der meisten Befragten zusammen. Für eine solche Umstellung benötige man ein Jahr oder länger. «Die elektronischen Versichertenkarten wurden bisher ausschliesslich für administrative Zwecke benutzt. Werden sie nun zusätzlich für medizinische Abläufe relevant, müssen wir diese Prozesse genau planen, um identifizieren zu können, wer wann wo ein solches Gerät benötigt», erklärt Looser. Schliesslich müsse alles budgetiert werden.
Marc Müller, Präsident der Hausärzte Schweiz, sieht ein weiteres Problem. «Gerade mal 15 Prozent der Hausärzte führen heute elektronische Krankengeschichten. Es ist eine Illusion, dass die Hausärzte ab 2013 dazu in der Lage sein werden, diese Versichertenkarten zu beschreiben», erklärt Müller. Auch bei ihm sei die Information über diese Neuerung erst in den letzten Wochen durchgesickert. Jedoch seien weder die Entschädigung für diesen Aufwand noch die Verantwortlichkeit für die Daten oder Informationen zum Ablauf kommuniziert worden. «Sofern nicht alle Hausärzte in den nächsten Wochen ein solches Gerät vom BAG zugeschickt bekommen, wird am 1. Januar überhaupt nichts passieren. Das Ganze ist ein Schnellschuss: Der Bundesrat muss das unbedingt auf Eis legen, solange es so viele Unklarheiten gibt», hält Müller fest.
Auch das Bundesamt für Justiz spielt den Ball zurück und erklärt: «Die Kantone sind bereits seit Jahren über die Änderungen des Rechts informiert.» Das BAG nimmt die Verwirrung bei den Ärzten zwar zur Kenntnis, kann allerdings auch keine Lösung bieten. «Wir bemühen uns darum, dass diese Software möglichst bald einsatzbereit ist», erklärt Sandra Schneider vom BAG. Auf die Frage, wie die Ärzte ab Jahreswechsel konkret mit dem nicht praktikablen Gesetzesartikel umgehen sollen, weiss das BAG allerdings auch keine Antwort. Dafür seien die Leistungserbringer und nicht das BAG zuständig.
Diese Haltung sorgt bei den Ärzten für rote Köpfe. Hanspeter Kuhn von der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH) steht der Einführung der Versichertenkarten sehr kritisch gegenüber: «Auch wenn die technischen Probleme dereinst behoben sein sollten, ist es aus Sicht der Ärzteschaft nicht sinnvoll, dass Patienten medizinische Daten auf den Chip laden lassen.» Weil mit einer isolierten Chipkartenlösung Aktualität und Vollständigkeit nicht sichergestellt werden könnten, werde die Sicherheit der Patienten gefährdet. Die einfachste und sicherste Lösung besteht gemäss Kuhn nach wie vor darin, ein Exemplar der Patientenverfügung im Portemonnaie zu tragen und je eine Kopie beim Hausarzt sowie einer Vertrauensperson zu deponieren. «Sinnvollerweise würde der entsprechende Artikel zur Versichertenkarte bald wieder aus dem Gesetz gestrichen», findet Kuhn.