Was soll das bedeuten?
Juristen gehen mit der Sprache oft derart akrobatisch um, dass kein Mensch mitkommt. Bisweilen nicht einmal sie selber. Doch sie können damit Eindruck schinden. Und Geld machen.
Veröffentlicht am 23. November 2008 - 16:08 Uhr
Sie glauben, «Kognition» habe etwas mit Denken zu tun und ein «Rechtsvorschlag» sei gut gemeint? Glückwunsch! Sie hatten noch nie mit Juristen zu tun.
«Eigentlich sollte die Juristensprache helfen, sich in der Rechtsprechung möglichst unzweideutig auszudrücken. Doch dummerweise ist oft genau das Gegenteil der Fall», erklärt Vinzenz Rast. Er bietet in Luzern Sprachkurse eigens für Juristen an. Sie scheinen dringend nötig: So entpuppt sich etwa «Kognition» als Bezeichnung für das, was ein Gericht prüfen darf - wenn es bei einem Fall nicht nur untersucht, ob das Recht korrekt angewendet, sondern auch ob der Sachverhalt richtig ermittelt wurde, spricht der Jurist von «voller Kognition».
Und ein Rechtsvorschlag ist eher mühsam, wenn Ihnen jemand Geld schuldet: Der Schuldner schickt Ihnen einen solchen, wenn Sie ihm die Richtigkeit Ihrer Forderung erst mal nachweisen sollen.
So richtig verwirrend wird es gemäss Fachmann Rast aber, wenn Begriffe sowohl im Juristendeutsch als auch in der Alltagssprache gebräuchlich sind, jedoch unterschiedliche Bedeutungen haben. Wird etwa jemand «arbeitsunfähig» geschrieben, heisst das für einen Richter nicht, dass diese Person nicht arbeiten kann - die Unfähigkeit bezieht sich nur auf den bisherigen Beruf, sonst wäre der oder die Betroffene nämlich «erwerbsunfähig». Und wenn ein Jurist von einer Angelegenheit spricht, die «regelmässig» sei, verweist er nicht etwa auf ein wiederkehrendes Ereignis, sondern meint damit, sie sei «der Regel gemäss».
Wortkreationen wie «rechtshilfemässige Zustellung der Weisung» oder «eine Klage anhängig machen» hätten nicht viel mit einer präzisen Fachsprache zu tun, findet Vinzenz Rast, sondern seien schlicht eine sprachliche Zumutung. Wie wahr: Dass mit «Kindskauf» nicht der Kauf eines Kindes, sondern der Kauf des elterlichen Hofs durch die Kinder gemeint ist, liegt nicht gerade auf der Hand. Und wer versteht schon, wenn es im Urteil heisst: «Die Kosten werden wettgeschlagen»? Klingt irgendwie nach Schmerzen, gemeint ist aber, dass beide Parteien gemeinsam für die Gerichtskosten aufkommen müssen.
Die Gründe, weshalb Rechtsgelehrte sich gerne etwas gestelzt ausdrücken, sind vielfältig. Einerseits sind die Karriereverläufe in der Jurisprudenz relativ starr strukturiert. Wer hochklettern will, braucht einen langen Atem und eignet sich in all den Jahren automatisch einen Fachjargon an. Linguist Rast spricht von «Betriebsblindheit», die es zwar in allen Berufen gebe, aber in der Rechtsprechung besonders verbreitet sei. Anderseits ist die Jurisprudenz eine sehr alte Wissenschaft, die sich für ihre Fachbegriffe nicht aus modernen Fremdsprachen wie dem Englischen bedient. Und dann gibt es auch Anwälte, die die Sprache gezielt einsetzen, um dem Gegenanwalt, dem Richter oder dem Klienten zu imponieren - oder allen zusammen.
Manchmal hat die Phrasendrescherei auch einen finanziellen Hintergrund. Anwälte richten ihre Honorare teilweise nach dem Seitenumfang von Eingaben. Mit ein paar Schachtelsätzen, die dann wieder erklärend auseinanderdividiert werden, lassen sich locker zusätzliche Seiten füllen. Manche Klienten finden das sogar toll: «Es klingt dann alles wahnsinnig kompliziert, fachlich kompetent, und der Klient hat den Eindruck, es habe sich wirklich gelohnt, für den Fall einen Anwalt beizuziehen», sagt Rast. Manchmal kann das aber auch danebengehen: Gerichte können Eingaben, die offensichtlich absichtlich umständlich formuliert sind, zurückweisen. Der Gelackmeierte ist dann der Klient. Der Anwalt darf nämlich nochmals alles neu formulieren - gegen Honorar, versteht sich.
Fahrlässigkeit: Wenn jemand die Folgen einer Handlung nicht oder nicht sicher voraussieht und diese auch nicht herbeiführen will, handelt er im Verständnis der Juristen fahrlässig. Lässig ist das nicht. Angenommen, Sie rutschen beim Holzschnitzen mit dem Messer ab und verletzen jemanden, müssen Sie sich unter Umständen wegen fahrlässiger Körperverletzung verantworten.
Überzeit: Juristen sprechen von Überzeit, wenn sie Mehrarbeit meinen, die über die gesetzlich festgelegte Höchstarbeitszeit hinausgeht. Etwas ganz anderes sind Überstunden. Dieser Begriff steht nämlich für Mehrarbeit, die über die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit hinausgeht. Überzeit muss zwingend entschädigt werden. Überstunden jedoch können im Arbeitsvertrag davon ausgenommen werden.
Stundung: Von Stundung sprechen Juristen, wenn ein Gläubiger für eine bestimmte Zeit auf die Bezahlung einer Forderung durch den Schuldner verzichtet. Das dauert zwar meist länger als ein paar Stunden, heisst aber trotzdem nicht Monatung oder gar Jahrung.
Subsumption: Klingt kompliziert, ist es auch. Eine Subsumption ist die rechtliche Würdigung eines Sachverhalts. Mit dem Sachverhalt ist der Hergang eines Geschehens gemeint, wie er aufgrund der Beweise als erhärtet gilt. Ist er durch die Richter einmal festgelegt, prüfen sie weiter, unter welche rechtlichen Begriffe dieser Sachverhalt fällt - und sprechen dann von Subsumption.
Tipp: Haben Sie einen Anwalt engagiert, verstehen aber nur Bahnhof bei allem, was er sagt? Scheuen Sie sich nicht nachzufragen. Schafft er es dennoch nicht, sich verständlich auszudrücken, ist es vielleicht besser, ihm das Mandat zu ent-ziehen: Wirre Wortkreationen und unverständliche Schachtelsätze deuten nicht unbedingt auf klare Gedankengänge hin.
Quelle: «Mein Recht im Alltag»