Doch keine Bestrafung für verzweifelten Vater
Ein Mann musste sich vor dem Aargauer Obergericht für den Tod seines Sohnes verantworten. Warum die Richter von einer Strafe abgesehen haben.
Veröffentlicht am 11. Januar 2018 - 11:51 Uhr,
aktualisiert am 12. Januar 2018 - 11:39 Uhr
Im April 2015 spaziert ein 47-jähriger Mann mit seinem 2-jährigen Sohn wie schon oft zuvor der Reuss entlang. Nachdem er ihn kurz aus den Augen verloren hatte, war der Junge plötzlich verschwunden. Der Mann suchte offenbar während 45 Minuten verzweifelt nach ihm, ehe er Alarm schlug. Drei Wochen später wurde die Leiche des Jungen in einem Wasserkraftwerk flussabwärts aufgefunden – er war in der Reuss ertrunken.
Vor dem Aargauer Obergericht musste sich der Mann nun gegen den Vorwurf der fahrlässigen Tötung verteidigen. Die Vorinstanz hatte ihn im November 2016 zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 18 Monaten und einer Busse von 2000 Franken verurteilt. Ursprünglich stand der Mann, der sich zum Zeitpunkt der Tat in einer schwierigen Scheidung befunden hatte, offenbar sogar unter Mordverdacht. Schliesslich aber überwog auch bei der Staatsanwaltschaft die Überzeugung, dass es ein Unfall war.
Das Obergericht bestätigte nun das Urteil der Vorinstanz, wonach der Mann fahrlässig gehandelt und seine Sorgfaltspflicht verletzt habe. Er hätte den Sohn an der Hand nehmen oder zumindest vor sich laufen lassen müssen. Trotzdem machten die Richter von Artikel 54 im Strafgesetzbuch Gebrauch, der einen Straferlass vorsieht, wenn der Täter durch die unmittelbaren Folgen seiner Tat so schwer betroffen ist, dass eine Strafe unangemessen wäre.
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«Zu einem solchen Straferlass kommt es immer wieder», sagt Daniel Leiser, Experte für Strafrecht im Beobachter-Beratungszentrum. Das Gesetz sehe das ausdrücklich vor. Der Vater, der mittlerweile arbeitslos ist und eine psychologische Therapie besucht, leide offensichtlich unter dem Verlust und sei noch immer betroffen, berichtete die Aargauer Zeitung: «Der hagere Mann hatte Mühe, über das Geschehene und seine Gefühle offen zu reden. Er mache sich Vorwürfe und vermisse seinen Sohn, sagte er: ‹Ich wollte ein guter Vater sein, und ich hätte besser aufpassen müssen›.»
Für Leiser macht der Straferlass denn auch völlig Sinn: «Es bringt dem Staat hier nichts, dem Täter eine Strafe aufzubrummen, denn dieser ist mit dem erlittenen Verlust schon genug bestraft.» Oft sei ja davon die Rede, die Gerichte sollten mehr Menschenverstand walten lassen und weniger auf die Paragrafen schauen: «Das ist in diesem Fall passiert.»
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