Für die Schönheit leiden sie jetzt weniger
In der EU dürfen seit März keine Kosmetika mehr verkauft werden, hinter denen Tierversuche stecken – ein Lichtblick. Doch noch immer gibt es allein in der Schweiz 750'000 Versuchstiere.
Veröffentlicht am 19. März 2013 - 08:54 Uhr
Kaninchen mit blutunterlaufenen Augen, geschorene Affen mit Entzündungen – man hat die Bilder der Kreaturen noch vor sich, die für die Schönheit der Menschen leiden. Diese Zeiten sind zum Glück vorbei: Tierversuche für Kosmetika sind sowohl in der EU als auch in der Schweiz verboten. Allerdings gibt es einige wenige Ausnahmen: dann, «wenn der Nutzen für die menschliche Gesundheit grösser bewertet wird als das Leiden der Tiere im Tierversuch», sagt Regula Kennel vom Bundesamt für Veterinärwesen. Ein Beispiel dafür sind UV-Filter für Sonnencremen. Dazu wurden im Jahr 2010 vier Ratten eingesetzt, 2011 waren es 19. Laut Bundesamt waren das die einzigen Versuchstiere, die für Kosmetiktests verwendet wurden.
«Tierversuche ausschliesslich für Kosmetika sind in der Schweiz zahlenmässig so gut wie kein Thema mehr», sagt Stefanie Schindler von Animalfree Research. «Ich fürchte aber, dass Substanzen aus Ländern importiert werden, wo die Tierschutzgesetzgebung weniger strikt ist.» Doch darüber könne man nur spekulieren – an firmeninterne Zahlen kommt man nicht heran.
Skeptisch ist auch Julika Fitzi, Fachfrau für Tierversuche beim Schweizer Tierschutz. Sie warnt: «Ein Teil der Inhaltsstoffe von Kosmetika besteht aus chemischen Substanzen, von denen oft die Firmen selber nicht wissen, wie sie getestet worden sind – die wohl aber grösstenteils auf Tierversuchen basieren.» Das sieht Coop Schweiz ähnlich, sagt Sprecherin Denise Stadler. Ein Teil der Substanzen für Kosmetika unterstehe dem Chemikalienrecht, wo Tierversuche zugelassen sind. «Wir haben daher schon immer grosse Vorbehalte gegenüber Aussagen zu ‹tierversuchsfreier Kosmetik› gehabt.» Kosmetika werden auch in Zukunft solche Substanzen enthalten – Zahlen dazu sind nicht bekannt.
Seit dem 11. März 2013 ist in der EU der Verkauf von tiergetesteten Kosmetika verboten. In der Schweiz ist er weiterhin erlaubt. Dass tiergetestete Produkte nun aber massenhaft in der Schweiz landen, ist nicht zu befürchten. Die Migros, so Sprecherin Monika Weibel, halte sich bereits jetzt an die EU-Kosmetikverordnung. Und bei der Eigenmarke Mibelle seien nie Tierversuche durchgeführt worden. Dasselbe trifft auch für die Coop-Eigenmarken zu. Die Fremdmarken bei Coop stammen zu 85 Prozent von internationalen Firmen, die sich an die EU-Richtlinie halten. Zu Coop gehört auch Body Shop Schweiz, der als erster Kosmetikproduzent schon vor Jahrzehnten eine Kampagne gegen Tierversuche lancierte.
Die Kosmetikindustrie müsste eigentlich dankbar sein, dass sie in der EU gezwungen wurde, auf Tierversuche zu verzichten: «Das Verbot von Tierversuchen für Kosmetika hat einen enormen Innovationsschub ausgelöst», sagt Stefanie Schindler von Animalfree Research. Zellkulturen, menschliches Gewebe oder Computersimulationen haben Tierversuche abgelöst. Diese Methoden liefern nicht nur präzisere Resultate, sondern sind auch kostengünstiger.
Der Zürcher Tierschutzrechtsspezialist Antoine F. Goetschel freut sich über weitreichende Folgen des Tierversuchsverbots für Kosmetika: «Dieses Verbot hat auch Signalwirkung für die Pharmaindustrie. Es wird ihr gezeigt, dass dank alternativen Methoden Tests ohne Tiere auch in anderen Bereichen durchgeführt werden können.» Bei Salben etwa gebe es durchaus Parallelen, bestätigt Mediensprecherin Karin Blumer von Novartis: «Einige der Innovationen, die in der Kosmetikindustrie angewendet werden, können daher von beiden Sektoren genutzt werden.»
In der Tat ist laut Stepan Kracala von Roche in der Schweizer Pharmaindustrie die Zahl der Versuchstiere zwischen 1994 und 2010 um rund die Hälfte zurückgegangen. Insgesamt aber, also inklusive der Forschung an Hochschulen, ist sie allerdings nur um knapp zehn Prozent gesunken, nämlich von rund 840'000 auf 762'000 Tiere.
Tierversuche lassen sich vorerst nicht beliebig reduzieren. Denn die Pharmaindustrie stellt vor allem Produkte her, von denen die Zulassungsbehörden verlangen, dass Sicherheit und Unbedenklichkeit im Tierversuch getestet wurden. Und: «70 Prozent aller schweren Nebenwirkungen neuer Medikamente sind nur im Tierversuch feststellbar», sagt Stepan Kracala.
Novartis, Roche und die Johnson-&-Johnson-Tochter Janssen Cilag betonen, man ersetze Tierversuche wo immer möglich durch alternative Testmethoden. Sie bekennen sich deshalb bei Tierversuchen zum «Prinzip der drei R» (reduce, refine, replace: reduzieren, verfeinern, vermeiden). «Das Ziel muss aber immer das Vermeiden sein», meint Stefanie Schindler von Animalfree Research. Sie ist jedoch optimistisch: «Ich finde es nicht unrealistisch zu hoffen, dass es in 10 bis 15 Jahren so gut wie keine Tierversuche mehr gibt.» Die Pharmabranche ist da zurückhaltender. So meint etwa Stefan Gijssels von Janssen: «Das erscheint sehr schwierig. Man ist noch weit davon entfernt, die Komplexität des lebenden Organismus zu reproduzieren.»
Auch wenn die Pharmaindustrie in der nächsten Dekade noch nicht völlig auf Tierversuche verzichten kann oder will, wird sich die Zahl der Versuchstiere dennoch verringern. Zum einen aus eigenem wirtschaftlichem Interesse, zum andern aus gesellschaftlichen Gründen. «Tierschutz ist ein Megatrend», sagt Julika Fitzi vom Schweizer Tierschutz. «Und die Chemie- und Pharmakonzerne haben darauf reagiert. Der Druck von Seiten des Tierschutzes, der Konsumenten und selbst der Angestellten hat zu einem Umdenken geführt.» Das merke man auch, wenn man mit der Industrie verhandle. «Das Klima ist entspannter und professioneller als vor einigen Jahren, als die Industrie Tierschützer oft noch als fanatische Spinner wahrgenommen hat.»