So können Sie (fast) jede Gerichtsverhandlung besuchen
Vor dem Regionalgericht Bern-Mittelland liefern sich verfeindete Rocker eine Strassenschlacht. In der Regel können aber justizinteressierte Bürgerinnen und Bürger problemlos fast jeden Prozess live mitverfolgen. Worauf ist zu achten?
Veröffentlicht am 31. Mai 2022 - 18:46 Uhr
22 Mitglieder verfeindeter Rockergangs müssen sich derzeit vor dem Regionalgericht Bern-Mittelland verantworten – ihre Anhänger liefern sich derweil auf den Strassen vor dem Gericht erbitterte Kämpfe mit der Polizei. Schade, denn das Interessante, das Wesentliche findet im Gerichtssaal statt: Stellt der Richter die richtigen Fragen? Wie erklärt der Beschuldigte sein Verhalten? Wie argumentieren die Staatsanwältin, die Verteidigerin?
Wer wissen will, wie so eine Gerichtsverhandlung abläuft, hat in der Schweiz grundsätzlich einfaches Spiel. Zumindest bei weniger spektakulären Prozessen, denn der Rockerprozess stösst auf ein so grosses Interesse, dass die für die Öffentlichkeit reservierten Plätze im Gerichtssaal rasch belegt sind. Aber tagtäglich finden landauf, landab Dutzende von Gerichtsverhandlungen statt: Es werden Einbrecher verurteilt, Schwarzarbeiterinnen freigesprochen, Wirtschaftskriminelle befragt oder Tötungsdelikte verhandelt.
Die Schweizer Gerichte tagen öffentlich: Wer will, kann an den Verhandlungen teilnehmen, zuschauen, zuhören (siehe Box «Gerichtsprozesse besuchen»). «Es ist ein zentraler Pfeiler unserer demokratischen Ordnung und unseres Justizsystems, dass alle die Möglichkeit haben, einem Gerichtsverfahren beizuwohnen und damit auch ein Stück weit die Justiz zu kontrollieren», sagt Juristin und Beobachter-Redaktorin Nicole Müller. Dieses Recht ist sogar in der Bundesverfassung verankert.
Trotzdem nehmen Privatpersonen nur selten persönlich an Gerichtsverhandlungen teil. Im Rahmen eines Beobachter-Kurses haben am 8. Juni zehn Leserinnen und Leser die Gelegenheit, live einen Prozess am Bezirksgericht Zürich zu verfolgen und Fragen an Beobachter-Expertinnen zu stellen. Der Kurs ist allerdings ausgebucht.
Viele Gerichte publizieren inzwischen ihre Verhandlungstermine im Internet. Dabei ist meist ersichtlich, worum es grob geht, etwa um welchen Straftatbestand – natürlich ohne die Angeklagten namentlich zu nennen. Wenn es für das Gericht, das Sie besuchen möchten, keine solche Liste gibt, erkundigen Sie sich am besten telefonisch nach den Terminen. Möglich ist aber, dass ein Prozess kurzfristig abgesagt oder verschoben wird – sei es, weil die Angeklagte krank ist, der Anwalt verhindert ist oder einen Verschiebungsantrag durchgebracht hat oder weil sonst etwas dazwischenkommt.
Teilnehmen kann im Prinzip jedermann, jedefrau. Viele Gerichte empfehlen, sich anzumelden, weil je nach Gerichtssaal nur wenige Plätze zur Verfügung stehen. Wer ohne Anmeldung spontan vorbeischaut, läuft deshalb Gefahr, nicht eingelassen zu werden. Insbesondere Schulklassen, die im Rahmen des Unterrichts eine Verhandlung besuchen wollen, aber auch andere Gruppen müssen sich deshalb anmelden. Einige Gerichte verlangen, dass man einen Ausweis vorlegt; das Bundesstrafgericht (in Bellinzona) setzt zudem «angemessene Kleidung» voraus, ohne dies näher zu definieren.
Je nach Gericht gelten weitere Regeln. So ist vielerorts festgelegt, dass man nur zu Beginn der Verhandlung reingehen kann und den Raum nur während der Pausen oder ganz am Schluss wieder verlassen darf, um ein «Gläuf», das den Prozess stören würde, zu vermeiden. Auch ist klar, dass man weder essen noch trinken noch reden darf – Notizen zu machen, ist erlaubt, der Gebrauch von Handys oder Kameras hingegen nicht.
Im Prinzip sind alle Verhandlungen öffentlich, es gibt aber Ausnahmen. Familienrechtliche Verfahren – also beispielsweise Kampfscheidungen – sind nicht öffentlich. Und das Gericht kann die Öffentlichkeit ausschliessen, wenn die öffentliche Sicherheit oder Ordnung oder «das schutzwürdige Interesse einer beteiligten Person es erfordert». Bei Strafprozessen auch bei «grossem Andrang». Darunter fällt auch der Opferschutz, wenn es etwa um Sexualdelikte geht. Möglich ist auch, dass die Öffentlichkeit zwar zugelassen ist, aber von gewissen Zeugenbefragungen ausgeschlossen wird oder dass nur Medienschaffende zugelassen sind, wenn sie sich zur Einhaltung gewisser Regeln verpflichten, etwa auf die Namensnennung verzichten.
Eine unvollständige Auswahl von Gerichten, die ihre Verhandlungstermine öffentlich machen:
- Aargau
- Basel-Landschaft
- Basel-Stadt (Appellationsgericht)
- Basel-Stadt (Strafgericht)
- Bern
- Glarus
- Graubünden
- Luzern
- Solothurn
- St. Gallen
- Zug
- Zürich (Bezirksgerichte und Obergericht)
- Zürich (Verwaltungsgericht)
- Bundesgericht
- Bundesstrafgericht
2 Kommentare
Regionalgericht Chur (vor einigen Jahren): als alle an ihren Plätzen sassen, forderte der Richter (Gerichtspräsident ist wohl die Bezeichnung), dass jeder Besucher seinen Namen und Grund für Anwesenheit laut nennt. Als ein Besucher umgekehrt (quasi: vor dem Recht sind alle gleich) den Name des Richters wissen wollte, verweigerte dieser die Antwort. Später, nach der normalen grossen Pause, erklärte er, eine Nebenrichterin habe ihn gebeten, es doch zu tun, also nannte er tatsächlich seinen Namen, wenn auch es so klang, als mache er dies einzig der Nebenrichterin zuliebe und nicht wegen dem Fragesteller.
Liest sich sonderbar! Ich wurde vor ca. 3 Jahren im Bezirksgericht Meilen, als Klaeger, nicht eingelassen mit einem CH-Pass als Ausweis!? (zugegeben, der war abgelaufen, aber....). Die wollte unbedingt meinen auslaendischen Pass sehen, in schweizer Gericht!??