Was tun nach der Tat?
Wie sich Frauen nach einer Vergewaltigung verhalten sollen – und was sie juristisch erwartet.
Veröffentlicht am 27. Februar 2020 - 15:20 Uhr,
aktualisiert am 31. März 2023 - 11:33 Uhr
Gedanken sortieren
Eine Vergewaltigung ist ein massiver Angriff auf Körper und Seele – ein Schock. Es wäre deshalb gut, nichts zu übereilen, sondern erst die heftigsten Emotionen zu dämpfen. Unabhängig von einer späteren Anzeige sollten sich Betroffene bei einer Opferhilfestelle melden. Dort erhalten sie vertraulich und kostenlos Beratung zu Anzeige, Verfahren und ihrer psychischen Situation. «Ziel ist, möglichst ruhig und vorbereitet an eine Einvernahme zu gehen», sagt Corina Elmer von der Frauenberatung sexuelle Gewalt. «Es braucht einen Mittelweg zwischen den persönlichen und den ermittlungstechnischen Bedürfnissen.»
Ärztliche Untersuchung
Idealerweise innerhalb von 48, spätestens 72 Stunden nach der Tat sollten sich Frauen bei ihrer Frauenärztin oder im Spital ärztlich versorgen lassen. So werden Verletzungen dokumentiert und Spuren gesichert. Wenn der Verdacht besteht, dass K.-o.-Tropfen im Spiel waren, sollte dies innerhalb von acht Stunden abgeklärt werden. In vielen Kantonen gibt es die Möglichkeit, die Spuren aufbewahren zu lassen und erst später Anzeige zu machen. Das sollten Opfer unbedingt nachfragen.
Gesundheitsprophylaxe
Beim Arztbesuch geht es auch darum, Krankheiten und eine Schwangerschaft zu verhindern. Die HIV-Prophylaxe sollte spätestens
48 Stunden nach einer Vergewaltigung eingeleitet werden, für die «Pille danach» bleiben bis zu 72 Stunden Zeit.
Beweise sichern
Es kann wichtig sein, Belege der Gewalttat zu sammeln – etwa Fotos und Kleidungsstücke. In jedem Fall sollte alles Schriftliche wie SMS oder E-Mails behalten werden. «Täter kommunizieren nach einer Vergewaltigung erstaunlich oft mit den Opfern, versenden etwa ein ‹Es tut mir leid›», sagt Bettina Steinbach von der Frauenberatung.
Notizen machen
Wann genau und in welchem Ablauf ist was passiert? Traumatischer Stress kann später zu Erinnerungslücken führen. Es hilft, sich Notizen über den Hergang der Vergewaltigung zu machen, auch zur Zeit vor und nach der Tat. Die Notizen dienen primär der eigenen Sicherheit, damit man später nichts durcheinanderbringt. Dies könnte die Gegenpartei sonst ausnutzen.
Unterstützung holen
Nach Möglichkeit eine Freundin, einen Freund oder eine Verwandte einbeziehen. Die ersten Reaktionen aus dem Umfeld sind wichtig für die Verarbeitung. «Opfer von sexueller Gewalt brauchen die Bestätigung, dass ihnen Unrecht geschehen ist», sagt Corina Elmer. Die erste Ansprechpartnerin kann später auch eine wichtige Zeugin sein.
Anzeige machen
Wer sicher ist, Anzeige erstatten
zu wollen, sollte dies möglichst rasch nach der Tat tun. Das ist auf jedem Polizeiposten möglich. Empfehlenswert ist, sich vorher auf einer Opferhilfestelle beraten zu lassen.
Auf dem Polizeiposten
Gewaltopfer dürfen eine Begleitperson zur Befragung mitnehmen. Sie haben das Recht, von einer Person des gleichen Geschlechts einvernommen zu werden.
Ablauf
Die polizeiliche Befragung dauert oft Stunden – darauf sollte man sich einstellen. Ebenso darauf, dass nach den intimsten Details der Tat gefragt wird. Obwohl das unangenehm ist, sollte die Frau unbedingt versuchen, auf alle Fragen zu antworten. «Wenn jemand etwas nicht genau weiss, ist es völlig okay, dies auch so zu sagen», sagt Bettina Steinbach. «Bloss nicht raten!» Um dem Stress der Befragung standzuhalten, sollten regelmässige Pausen eingefordert werden.
Protokoll
Wichtig ist, sich genügend Zeit zu nehmen, bevor man das Vernehmungsprotokoll unterschreibt. Also: Die Niederschrift genau durchlesen und bei Ungereimtheiten intervenieren. «Das Protokoll der ersten Befragung ist das wichtigste Dokument im ganzen Verfahren», sagt Opferberaterin Steinbach.
Wichtiges Formular
Kurz nach der Anzeige erhält die Betroffene von der Staatsanwaltschaft ein Formular, mit dem sie ihre Opferrechte geltend machen kann. Darin wird gefragt, ob sie privat klagen will. Dabei geht es etwa um das weitere Verfahren und allfällige Genugtuung. «Um die Konsequenzen zu verstehen, sollte man sich von Juristen helfen lassen», sagt Corina Elmer.
Lange Wartezeit
Danach dauert es oft Monate, manchmal Jahre, bis die Staatsanwaltschaft den Fall untersucht. Wenn dann plötzlich das Aufgebot zur Einvernahme kommt, wirft das viele Frauen im Verarbeitungsprozess zurück. Helfen können erneute Beratungsgespräche
auf einer Fachstelle. Die Stelle unterstützt einen auch bei der Suche nach einer Anwältin. Ein – bei Bedarf unentgeltlicher – Rechtsbeistand ist unerlässlich.
Fragen der Staatsanwaltschaft
Auch der Staatsanwalt wird teils unangenehme Fragen stellen. Wenn sie zur Tat gehören, müssen sie möglichst präzis beantwortet werden. Haben sie nichts damit zu tun, darf man die Antwort verweigern – insbesondere bei Fragen zur Intimsphäre.
Konfrontation
Auch die Anwälte kommen zu Wort. Der Gegenanwalt wird versuchen, das Opfer in Bedrängnis zu bringen – mit perfiden Fragen oder indem er direkten Blickkontakt herstellen will. Bettina Steinbachs Rat an ihre Klientinnen: «Schauen Sie immer nur den Staatsanwalt an.» Zu einer Konfrontation mit dem Beschuldigten kommt es hingegen nicht. Die Frau kann verlangen, dass sich der Täter nicht im gleichen Raum aufhält, wenn sie befragt wird.
Gerichtsverhandlung
Wenn es zum Prozess kommt, kann es erneut zu einer Fragerunde durch Richterin und Anwalt kommen. Ablauf und Regeln sind gleich wie bei der Staatsanwaltschaft.
Dieser Text entstand mit fachlicher Unterstützung der Frauenberatung sexuelle Gewalt in Zürich, von Psychologin Bettina Steinbach und Geschäftsleiterin Corina Elmer.
Sexualstrafrecht: Der Missstand bei sexueller Gewalt
440'000 Frauen in der Schweiz wurden vergewaltigt. Die wenigsten Fälle landen vor Gericht. Schuld daran sind auch stereotype Vorstellungen von sexueller Gewalt.
4 Kommentare
Bei der immer noch unfähigen "Kuscheljustiz" der Schweiz, welche Gewalt- und Sexualstraftäter jeglicher Abart schützen, verhätscheln, werden sich Opfer hüten, kriminelle Täter zu melden!!Wann handeln wohl endlich "Opferhilfsstellen"???
2020 - Schweizer Gerechtigkeit und "Kuscheljustiz" für TÄTER und NICHT für die Opfer von sexueller Gewalt, Missbrauch, Übergriffen = eine Schande "par excellence"! Wann wird endlich von den Gesetzgebern- und machern gehandelt und zwar FÜR die Opfer und klar gegen die Täter??
Solange die Gesetzgeber-macher und deren psychol.GutachterInnen, nicht und einsichtigerweise, endlich adäquate, rigide Veränderungen vornehmen, betreffend "Gesetzen und Strafmass-Anpassungen" betreffend sexuellen Übergriffen, Missbrauch, sexuellen Gewalttaten-Akten jeglicher Art, solange gibt es keine "Gerechtigkeit" für die "lebenslang traumatisierten" Opfer! Zudem werden Wiederholungstaten und damit weitere Opfer vom "Gesetzgeber" durch "Kuscheljustiz" diese abstrusen Kriminellen bewusst gefördert! Gerechtigkeit für die OPFER und Verhinderung von Wiederholungstaten = lebenslange Verwahrung für die Täterschaft!
Ich habe nur eine Frage...
Und was ist, wenn die Vergewaltigung nur auf der seelischen Ebene stattgefunden hat? Also gar keine "Beweise" existieren? Wie wehrt sich dann Frau, oder auch Mann dagegen?