Klauen mit Störsendern
Die Zahl der Ladendiebstähle steigt, die Methoden werden raffinierter. Und welchen Einfluss haben die Selfscanning-Kassen?
Veröffentlicht am 10. April 2017 - 11:26 Uhr
Ladendetektiv Florim Abazi fiel ein Mann auf, der das Kleidergeschäft mit einer prall gefüllten Tasche verliess, ohne an der Kasse etwas bezahlt zu haben. Auch die Körpersprache des Mannes erschien dem Detektiv seltsam. Als Abazi den Verdächtigen vor dem Laden anhielt und zur Rede stellte, kam eine Fernbedienung zum Vorschein, so klein wie ein Garagentüröffner.
Damit konnte der Dieb per Knopfdruck die Detektoren am Ausgang des Ladens lahmlegen. Exakt in dem Moment, als er die Sicherheitsschleuse passierte, war der Alarm durch diesen Störsender ausser Betrieb gesetzt. In der Tasche befanden sich Kleider im Wert von rund 1500 Franken.
Detektiv Abazi, der mit seiner Firma Prime Security in Baumärkten, Detailhandels- und Sportgeschäften tätig ist, hat in letzter Zeit viele solche Geschichten erlebt: «Störsender sind im Trend, und die moderne Technik erleichtert den Dieben ihr Treiben, vor allem, wenn sie bandenmässig arbeiten.» Während einer der Täter ausserhalb des Geschäfts in der Nähe des Eingangs stehen bleibt, betritt der andere den Laden und packt das Diebesgut ein. Sobald er bereit ist, das Geschäft wieder zu verlassen, gibt er dem Komplizen draussen per SMS ein Zeichen, den mitgebrachten Störsender zu betätigen.
Den Dieben kommt entgegen, dass es heutzutage gang und gäbe ist, auch in einem Laden auf dem Handy herumzutippen oder mit Kopfhörern zu telefonieren. «Ausserdem wurde in vielen Geschäften aus Kostengründen Sicherheitspersonal abgebaut», sagt Abazi. Aber auch ein Abbau beim normalen Verkaufspersonal hilft Ladendieben. «Die Gefahr, entdeckt zu werden, ist umso kleiner, je weniger Mitarbeitende anwesend sind.»
Die Folgen des Sparens kennt auch Marco Knöpfel, Vizepräsident der Vereinigung für Sicherheit im Detailhandel. Mitglieder sind etwa Coop, Migros, Jumbo, Manor oder Globus. «Vor allem kleinere Geschäfte verzichten auf Sicherheitspersonal, weil sie es sich nicht leisten können», sagt er.
«Professionelle Banden sind uns einen Schritt voraus. Da müssen wir Gegensteuer geben.»
Marco Knöpfel, Vereinigung für Sicherheit im Detailhandel
In der Vereinigung für Sicherheit im Detailhandel werden ständig Abwehrmassnahmen diskutiert. Das ist auch nötig: Die Zahl der Ladendiebstähle ist in der Schweiz im vergangenen Jahr um drei Prozent gestiegen, zeigt die polizeiliche Kriminalstatistik. Die Zahlen der Straftaten in allen anderen Diebstahlkategorien – darunter Entreiss-, Taschen- und Trickdiebstahl – waren hingegen rückläufig, zum Teil nahmen sie im zweistelligen Prozentbereich ab.
Knöpfel will die Situation nicht beschönigen. «Professionelle Banden sind uns immer einen Schritt voraus. Da müssen wir Gegensteuer geben.» In der Vereinigung setze man vor allem auf die Vernetzung der Mitglieder. «Man hilft einander, indem man sich über aktuelle Fälle austauscht.» Wenn eine Diebesbande unterwegs ist, die im grossen Stil Unterhaltungselektronik abräumt, wird die Branche über die Signalemente der Täter und ihre Vorgehensweise informiert. Wenn ein Filialleiter gewarnt ist und er weiss, wie eine Bande vorgeht, kann er bei Verdacht die Polizei alarmieren.
Aus Sicht der Polizei ist der beste Schutz vor Ladendieben eine Kombination von Massnahmen: Einsatz von Ladendetektiven, technische Sicherungen sowie Videoüberwachung.
Die Technik werde ständig besser, sagt Franz Bättig, Leiter Regionalpolizei bei der Kantonspolizei Zürich. Früher habe man nur den Vorgang an sich sehen können, ohne Details der beteiligten Personen zu erkennen. Heute lieferten Videokameras gestochen scharfe Bilder – ein Segen für die Beweisführung.
Die Statistik der Ladendiebstähle ist laut Bättig allerdings mit Vorsicht zu betrachten. Er sagt, in der Realität dürften es um ein Vielfaches mehr Diebstähle sein. «Die Statistik erfasst nur die Fälle, in denen der Dieb geschnappt und angezeigt wurde. Die Dunkelziffer ist enorm hoch.» Schätzungen gehen davon aus, dass in der Schweiz jährlich Waren im Wert von knapp einer Milliarde Franken gestohlen werden.
Franz Bättig sagt, manchmal wüssten die Geschäfte selber nicht, wie viel entwendet wird, etwa wenn das Lager ungenau geführt werde. Da fällt es unter Umständen nicht auf, wenn hochprozentiger Alkohol, Parfüms oder Rasierklingen verschwinden. Letztere, sagt Bättig, seien bei Banden aus dem Ausland begehrt, da sie teuer, aber klein und leicht und damit einfach per Post zu verschicken seien.
Steigt die Zahl der Ladendiebstähle auch, weil die Grossverteiler Selfscanning-Systeme und Self-Checkout-Kassen eingeführt haben? Migros und Coop wollen sich dazu nicht äussern. Sie teilen auf Anfrage lediglich mit, es gebe keine signifikanten Abweichungen im Vergleich zu Verkaufsstellen mit herkömmlichen Kassen.
Detektiv Florim Abazi kann seine Augen auch in der Freizeit nicht vor Diebstählen verschliessen. Er beobachtete kürzlich zwei Frauen an einer Self-Checkout-Kasse in einem Möbelgeschäft. Dabei fiel ihm auf, dass die Kasse auch beim Scannen von grundsätzlich teuren Gegenständen nur kleine Beträge anzeigte. Abazi meldete sich bei der Filialleitung, worauf der Einkauf der Frauen kontrolliert wurde. Dabei stellte sich heraus, dass sie Strichcodes von billigen Waren auf teure Waren geklebt hatten. Nicht immer braucht es Hightech, um sich an fremdem Eigentum zu bereichern.