Mehr Licht in die Dunkelkammern von Museen
Mit der Aufnahme der Sammlung Bührle riskiert das Kunsthaus Zürich einen Imageschaden: Die Herkunft mancher der 160 Werke von Degas bis Manet könnte problematisch sein.
Veröffentlicht am 1. September 2015 - 09:19 Uhr
Zur Person
Thomas Buomberger befasst sich als Autor und Historiker seit über 20 Jahren mit Raubkunst. In einzelnen Fällen war er als Gutachter tätig.
Vor wenigen Wochen haben die Arbeiten für den Erweiterungsbau des Kunsthauses Zürich begonnen, der 2020 abgeschlossen sein wird und Zürich in die Topliga der Kunstmuseen befördern soll. Aufgewertet wird das Kunsthaus nicht nur durch den Neubau des britischen Stararchitekten David Chipperfield, sondern auch durch die Sammlung von Emil Georg Bührle, die dort untergebracht wird. Bührle legte den Grundstock seiner Sammlung im Zweiten Weltkrieg, als er ein immenses Vermögen dank Waffen- und Munitionsverkäufen vor allem an Nazi-Deutschland machte. Allein im letzten Kriegsjahr 1945 versteuerte er ein Einkommen von über 50 Millionen Franken.
Bührle, der den 1958 eröffneten Erweiterungsbau des Kunsthauses finanzierte, aber selber nicht mehr erlebte, war eine umstrittene Figur. Er kaufte während des Krieges über ein Dutzend Gemälde, die die Nazis Juden gestohlen hatten. Zwar musste er diese nach dem Krieg aufgrund eines Urteils des Bundesgerichts zurückgeben und ein zweites Mal rechtmässig kaufen. Doch noch immer gibt es eine Anzahl von Gemälden, deren Herkunft Lücken aufweist oder bei denen es Ansprüche von Nachkommen früherer Eigentümer gibt. Solange die Herkunft dieser Werke, die sogenannte Provenienz, nicht geklärt ist, liegt ein Schatten darauf, und das Kunsthaus Zürich riskiert, mit Rückgabeforderungen konfrontiert zu werden. Für den Ruf des Hauses wäre das nicht vorteilhaft.
Weltweit wurden Tausende von Raubbildern zurückgegeben. In der Schweiz einige Dutzend.
Doch die lückenhafte Provenienz der Bührle-Bilder ist nur ein Teil eines viel umfassenderen Versagens von Museumsverantwortlichen, von Behörden und Kunsthändlern. Denn die Provenienzen Tausender von Gemälden in Museen sind noch nicht geklärt – obwohl sich die Schweiz in einem 1998 unterzeichneten Abkommen dazu verpflichtet hat. Die von 44 Staaten abgeschlossenen «Washingtoner Prinzipien» verpflichten die Staaten, von den Nazis konfiszierte Kunstwerke zu identifizieren, Recherchen nach solchen Kunstwerken zu erleichtern und mit den Nachkommen von Bestohlenen «gerechte und faire Lösungen» zu finden.
In der Schweiz ist – mit Ausnahmen – in den vergangenen 17 Jahren wenig getan worden, um dieser Pflicht nachzukommen. Während die einen es als lästige Mehrarbeit betrachten, für die sie weder Geld noch Zeit haben, wollen andere – nicht zuletzt Sammlerkreise und der Kunsthandel – am liebsten den Mantel des Schweigens über unlautere Transaktionen in der Nazizeit legen.
Worum es geht, verdeutlicht Bundesrat Alain Berset in der Kulturbotschaft 2016–2019: «Eine nicht einwandfrei durchgeführte Provenienzforschung birgt ein erhebliches Risiko für den guten Ruf eines Staates. Seitens Bund besteht deshalb der Wunsch, dass die öffentlichen und privaten Eigentümer von Kulturgütern ihre Provenienzforschung intensivieren und die dafür notwendigen finanziellen Mittel bereitstellen.» Künftig sollen Museen vom Bund Mittel erhalten, um Objekte von zweifelhafter Herkunft zu identifizieren. Die Museen können konkrete Projekte einreichen. Zudem sollen Subventionen an Museen mit der Pflicht verbunden sein, die Provenienzen zu recherchieren.
Es wäre an der Zeit, diesen Rückstand aufzuholen, gibt doch etwa Deutschland jährlich mehrere Millionen Euro für Forschung nach Raubkunst aus. Zudem gibt es dafür Ausbildungen an Universitäten und spezifische Schulungsprogramme in Museen.
Weltweit wurden Tausende von Raubbildern an die rechtmässigen Eigentümer oder deren Nachkommen zurückgegeben. In der Schweiz dürften es nur einige Dutzend sein, obwohl sie eine Drehscheibe für Nazi-Raubkunst war. Man stellt sich hierzulande auf den Standpunkt, dass nur das, was eindeutig als Raub oder Diebstahl im engeren Sinn identifiziert werden kann, auch restitutionsfähig sei, wie es die «Washingtoner Prinzipien» festgelegt haben.
Nun hat allerdings die Forschung seither enorm viele Erkenntnisse über diesen grössten Kunstraubzug der Geschichte zutage gefördert. Tausende von Büchern, Hunderttausende von Artikeln haben beinahe jeden Aspekt beleuchtet, Mechanismen und Strukturen aufgezeigt, Täter und Opfer benannt. Und dabei festgestellt, dass es die vielfältigsten Formen der Entwendung gab: Raub, Diebstahl, Erpressung, Drohung, Verkauf zum Begleichen der «Reichsfluchtsteuer», zur Finanzierung von Flucht und Exil oder aufgrund wirtschaftlicher Zwangs-massnahmen der Nazis. Deutschland hat deshalb schon vor Jahren den Begriff «NS-verfolgungsbedingter Verlust» eingeführt, der alle Transaktionen umfasst.
Einen NS-verfolgungsbedingten Verlust in der Sammlung Bührle stellt das Gemälde «La Sultane» vom französischen Impressionisten Edouard Manet dar. Es hatte einst dem Breslauer Industriellen Max Silberberg gehört, der während des Krieges in einem Konzentrationslager starb. Silberberg war ab 1935 durch Druck der Nazis derart in finanzielle Schwierigkeiten geraten, dass er seine grossartige Kunstsammlung sukzessive verkaufen musste. «La Sultane» veräusserte er 1937. Das Bild gelangte in die USA, wo Bührle es 1953 kaufte. Lukas Gloor von der Stiftung Sammlung E.G. Bührle argumentiert, dass Silberberg schon ab 1932 wirtschaftliche Schwierigkeiten hatte und der Verkauf darum nicht auf Druck der Nazis erfolgte. Forderungen nach Rückgabe weist die Stiftung von sich. Bemerkenswert ist, dass das Kunstmuseum Chur bereits vor Jahren ein Gemälde aus der Sammlung Silberberg zurückgab, das er 1934 verkauft hatte, als der Druck der Nazis noch geringer war.
Die Schweiz ist das einzige Land, das fein säuberlich zwischen «Raub-kunst» und «Fluchtgut» unterscheidet. Fluchtgut meint diejenigen Kunstwerke, die in die Schweiz geflüchtete Juden hier verkauft haben, um damit ihren Aufenthalt oder – häufiger – ihr Exil anderswo zu finanzieren. Man geht dabei von der völlig realitätsfremden Vorstellung aus, dass die Verkäufer ihre Werke freiwillig veräussert haben, die Preisgestaltung fair und der Markt transparent war. Man tut so, als wären die geflüchteten Juden Touristen gewesen, die ein paar Kunstwerke mitnahmen und diese während ihrer Ferien verkauften.
Man unterscheidet nicht ohne Absicht zwischen Raubkunst und Fluchtgut, denn in der Schweiz dürften sich Hunderte, wenn nicht Tausende von Kunstwerken befinden, die Fluchtgut sind. Ein Beispiel: Im vergangenen Jahr veranstaltete das Museum Oskar Reinhart in Winterthur eine Ausstellung mit Werken des Malers Max Liebermann. Ein Drittel der Leihgaben war Fluchtgut.
Man tut so, als wären die Juden Touristen gewesen, die in den Ferien ein paar Kunstwerke verkauften.
Auch in der Sammlung Bührle befindet sich Fluchtgut. Dazu könnte auch das Gemälde «La Butte Pinson» vom französischen Künstler Maurice Utrillo zählen. Bührle kaufte es 1943 beim Zürcher Galeristen Toni Aktuaryus, der wegen Handels mit Raubkunst übel beleumdet war. Das Bild war zuvor in der Kunsthalle Basel ausgestellt gewesen und in den Verkauf gegeben worden. Wer der Besitzer ab 1905 war, ist unbekannt. Oft wurden Kunstwerke von jüdischen Kunstsammlern als Deposita in Museen gegeben. Allein die Kunstmuseen in Zürich, Basel und Winterthur enthielten rund 1000 Werke. Im grossen Stil wurden über die Galerie Fischer in Luzern Tausende von Gemälden, Möbeln, Uhren, Tapisserien und andere Wertgegenstände jüdischer Emigranten verkauft, auch unter Preis, wie diese oft beanstandeten.
Der Erwerb von Fluchtgut gilt bis heute in der Schweiz als legal, selbst wenn diese Verkäufe aus einer Notlage erfolgten. Denn die jetzigen Besitzer, Museen, Kunsthändler Privatsammler, befürchten eine Welle von Forderungen, wenn Fluchtgut restitutionsfähig wäre. Sie wehren sich mit allen Mitteln des Lobbyismus. Doch der Druck, von dieser Position abzurücken, nimmt zu – auch aus dem Ausland.
Man sollte sich die Affäre um die nachrichtenlosen Vermögen in den neunziger Jahren in Erinnerung rufen. Auch hier musste man schliesslich nachgeben, nachdem die Banken versucht hatten, das Problem während Jahrzehnten auszusitzen. Die Sache kostete die beiden Grossbanken UBS und Credit Suisse 1,25 Milliarden Dollar und die Schweizer Banken insgesamt weitere Hunderte von Millionen für Recherchen. Und sie verursachte einen nicht zu beziffernden Reputationsschaden für die Schweiz.
Transparenz ist der erste Schritt zur Aufarbeitung. Einen Anfang hat die Stiftung Sammlung E.G. Bührle gemacht, indem sie die bisherigen Erkenntnisse ins Internet gestellt hat. Doch die veröffentlichten Provenienzen weisen bei etlichen Bildern Lücken auf – gerade während der Nazizeit. Ebenso lückenhaft sind die Provenienzen der Gemälde der kunsthauseigenen Sammlung, insbesondere der Leihgaben. Zwar sind die Bestände im Sammlungskatalog angegeben, doch genügt ein Katalog in der Regel den erhöhten Anforderungen an Provenienzrecherchen nicht. Auch hat das Kunsthaus nie transparent gemacht, welche Recherchen es durchgeführt hat.
Dass gerade diese Institution sich hartnäckig weigert, mehr Transparenz zu schaffen, ist umso erstaunlicher, als immerhin mehrere Vertreter der öffentlichen Hand, darunter Stadtpräsidentin Corine Mauch, im Vorstand der Zürcher Kunstgesellschaft sitzen. Der Chipperfield-Bau soll der Stadt Zürich im internationalen Standortmarketing zu besseren Karten verhelfen. Doch falls auf dem künstlerischen Inhalt dieses edlen Bauwerks ein Schatten liegen sollte, könnte sich das Ganze als rufschädigend erweisen.
Buchtipp
Thomas Buomberger, Guido Magnaguagno (Hg.): «Schwarzbuch Bührle. Raubkunst für das Kunsthaus Zürich?»; Rotpunktverlag, 2015, 280 Seiten, CHF 39.90