Mein Wille geschehe
Selbsttötung ist ein Menschenrecht. Auch das Bundesgericht anerkennt das. Heikel wird es aber, wenn Drittpersonen am vorzeitigen Tod beteiligt sind.
aktualisiert am 19. Juli 2017 - 13:41 Uhr
Die einen sprechen von Selbstmord, andere von Selbsttötung oder Suizid, wieder andere von Freitod. In den verschiedenen Bezeichnungen stecken Wertungen: Während Selbsttötung und Suizid neutral klingen, schwingt beim Freitod der Hinweis auf den freien Willen des Menschen mit. Beim Selbstmord dagegen rückt Mord als besonders verwerfliche Art der Tötung in den Vordergrund.
Egal, welche Bezeichnung man benützt: Hierzulande bringen sich jedes Jahr über 1000 Menschen um. Die Schweiz hat damit eine hohe Suizidrate. Dieser Umstand löst aber weit weniger Diskussionen aus als die Frage, ob und unter welchen Umständen Sterbehilfe erlaubt sein soll. Von Sterbehilfe spricht man, wenn eine Drittperson in den vorzeitigen Tod involviert ist. In der Schweiz werden Sterbehelfer nur bestraft, wenn sie jemanden auf dessen Wunsch eigenhändig töten oder ihm aus egoistischen Gründen bei der Selbsttötung helfen. Alle anderen Formen der Sterbehilfe sind legal (siehe unten). Damit gilt die Schweiz nach Belgien, den Niederlanden und Luxemburg als eines der liberalsten Länder in Europa.
Bestrebungen auf politischer Ebene, die Beihilfe zur Selbsttötung durch Organisationen wie Exit oder Dignitas einzuschränken oder zu verbieten, scheiterten wiederholt. Unbestritten ist Sterbehilfe durch Verzicht auf lebensverlängernde Massnahmen oder durch das Verabreichen von lebensverkürzenden Medikamenten zur Leidenslinderung. Diese Arten von Sterbehilfe kann jeder Mensch fordern, auch im Voraus in einer Patientenverfügung.
1. Direkte aktive Sterbehilfe: strafbar
Darunter versteht man das Töten eines Menschen aus Mitleid auf dessen Verlangen. Aktive Sterbehilfe leistet etwa, wer einem Sterbewilligen eine tödliche Substanz spritzt. Diese Art der Sterbehilfe ist strafbar, wird aber milder bestraft als eine Tötung aus selbstsüchtigen Motiven.
2. Indirekte aktive Sterbehilfe: erlaubt
Hier geht es um das Verabreichen von Substanzen zur Leidenslinderung. Sie bezweckt nicht die Herbeiführung des Todes, kann aber lebensverkürzende Nebenfolgen haben. Wer bei Sinnen ist, kann ausdrücklich eine entsprechende Behandlung fordern. In einer Patientenverfügung lässt sich zudem ein entsprechendes Einverständnis im Voraus geben für den Fall, dass man nicht mehr ansprechbar sein sollte.
Welche lebensverlängernden Massnahmen möchte ich nach einem schweren Unfall? Wer tritt für meine Interessen ein, wenn ich urteilsunfähig werden sollte? Mit der Mustervorlage «Patientenverfügung» und «Vorsorgeauftrag» können Beobachter-Mitglieder heute schon entscheiden.
3. Passive Sterbehilfe: erlaubt
Dabei wird auf lebensverlängernde Massnahmen verzichtet, indem man zum Beispiel die künstliche Ernährung einstellt oder die Beatmungsmaschine ausschaltet. Wie bei der indirekten aktiven Sterbehilfe kann man in einer Patientenverfügung im Voraus festlegen, welche medizinische Behandlung man in welchem Zeitpunkt verbietet oder fordert.
4. Beihilfe zur Selbsttötung: erlaubt...
...ausser bei eigennützigen Motiven. Die sterbewillige Person tötet sich selber mit einem Mittel, das ein Dritter ihr beschafft. Exit und Dignitas zum Beispiel besorgen ihrem Mitglied einen Todestrunk. Die tödliche Substanz muss die sterbewillige Person aber selber einnehmen – und sie muss urteilsfähig sein. Der Sterbehelfer macht sich nur strafbar, wenn er aus selbstsüchtigen Motiven handelt, zum Beispiel, um erben zu können oder sich von der Belastung durch einen Kranken zu befreien.
Selbstmörder: Nach dem Tod bestraft
In der Bibel wird die Selbsttötung nicht ausdrücklich verboten. Schon das frühe Christentum verurteilte sie aber als Sünde. Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit behandelte man den toten Selbstmörder wie einen Kriminellen. Sein Vermögen wurde meist konfisziert. Die Leiche schleifte man zum Schindanger, jenem Platz, wo Nutztiere gehäutet und die Kadaver verscharrt wurden. Dort wurde der tote Körper gerädert, danach aufgehängt oder geköpft. Ein christliches Begräbnis war verboten. Selbstmörder wurden wie Esel oder anderes Vieh ausserhalb des Friedhofs verscharrt – ein sogenanntes Eselsbegräbnis.
Erst ab dem 16. Jahrhundert durften Selbstmörder wieder vermehrt innerhalb der Friedhofsmauern begraben werden. Allerdings trennte man ihr Grab bis ins 20. Jahrhundert meist von den Ruhestätten der «guten Christen» ab. Heute gibt es keine solchen Ausgrenzungen mehr.
Wer sich mit der letzten Lebensphase auseinandersetzt und eine Sterbebegleitung in Erwägung zieht, sollte sich über verschiedene Dinge frühzeitig Gedanken machen. Mitglieder des Beobachters erfahren nicht nur, wie es um die rechtlichen Bestimmungen zur Sterbehilfe in der Schweiz steht, sondern auch, welche Entscheidungen nach dem Tod zu treffen sind und wie sie zugunsten ihrer Liebsten vorsorgen können.